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Uni Mainz
Obama im Fokus der transnationalen Amerika-Studien

Dass ein Schwarzer Präsident der USA werden konnte, erscheint auch sechs Jahre nach Barack Obamas Amtsantritt wie ein Wunder der Geschichte. Doch in der Mitte seiner zweiten Amtszeit ist auch Ernüchterung eingekehrt. Ein Tagung der Uni Mainz untersuchte mit Blick auf Obama die heutige Rolle Amerikas in der Welt.

Von Peter Leusch | 23.10.2014
    US-Präsident Obama bei einer Rede im Rosengarten in Washington
    An der Uni Mainz wird ein Blick auf Barack Obama und die heutige Rolle Amerikas in der Welt geworfen. (dpa / Michael Reynolds)
    Barack Obama: "Ich bin nach Kairo gekommen, um einen Neuanfang zwischen den Vereinigten Staaten und den Muslimen überall auf der Welt zu beginnen. Einen Neuanfang, der auf gemeinsamen Interessen und gegenseitiger Achtung beruht und auf der Wahrheit, dass die Vereinigten Staaten und der Islam die jeweils andere Seite nicht ausgrenzen und auch nicht miteinander konkurrieren müssen. Stattdessen überschneiden sich beide und haben gemeinsame Grundsätze der Gerechtigkeit und des Fortschrittes, der Toleranz und der Würde aller Menschen. Natürlich weiß ich, dass sich nicht alles über Nacht ändern kann. [...] Wir müssen uns darum bemühen, einander zuzuhören, voneinander zu lernen, uns gegenseitig zu respektieren und Gemeinsamkeiten zu finden. Wie der Heilige Koran uns lehrt: 'Sei Gott gewärtig und spreche immer die Wahrheit.'"
    Am 4. Juni 2009 hält Barack Obama in der Universität von Kairo eine begeisternde Rede. Er spricht von einem Neuanfang, er wirbt um Vertrauen in der islamischen Welt. Es ist zugleich eine programmatische Rede an die gesamte Weltöffentlichkeit. Obama entwirft eine andere Antwort auf die Terroranschläge des 11. Septembers als sein Amtsvorgänger George W. Bush. Bush hatte einseitig zum zweiten Irakkrieg aufgerufen: Die USA marschieren, andere Länder sollten sich anschließen. Dieses unilaterale Konzept, dass die Weltmacht USA, - notfalls allein - gegen die, so Bush, Achse des Bösen antritt, ist im 21. Jahrhundert grundsätzlich zum Scheitern verurteilt, erklärt Alfred Hornung, Professor für Amerikanistik an der Universität Mainz:
    "Wir haben versucht, eine multilaterale Reaktion auf die Aktivitäten und die Politik im 21. Jahrhundert zu finden, und haben eine Forschungsrichtung etabliert, die davon ausgeht, dass die nationalen Grenzen heute ihre Bedeutung weitgehend verloren haben, wenn man denkt an internationalen Terrorismus, an ökologische Katastrophen oder wie jetzt an Ebola, Krankheiten, die nicht an den nationalen Grenzen halt machen, sondern darüber hinausgehen. Also brauchen wir auch ein Forschungsfeld, das sich diesen neuen Bedingungen angepasst, und das sind für uns die transnationalen Amerika-Studien."
    Das neue interdisziplinäre Forschungsprogramm an der Universität Mainz, an dem Amerikanisten, Historiker, Politik- und Kulturwissenschaftler beteiligt sind, nimmt insbesondere die Politik Obamas unter die Lupe. Obama hat in seiner programmatischen Kairoer Rede eine Neubestimmung der amerikanischen Politik verkündet, dabei aber auch alle Nationen zur Verantwortungsübernahme aufgerufen.
    "Das ist eine schwierige Verantwortung, die wir übernehmen müssen. Die menschliche Geschichte war oft geprägt von Nationen und Stämmen - und auch Religionen- die einander aufgrund ihrer eigenen Interessen unterjochten.
    In dieser neuen Ära ist dieses Verhalten aber völlig sinnlos. Angesichts unserer gegenseitigen Abhängigkeit wird jede Weltordnung, die eine Nation oder Gruppe über andere erhebt, unweigerlich scheitern. Ganz gleich, was wir also über die Vergangenheit denken, wir sollten nicht zu ihren Gefangenen werden. Unsere Probleme müssen durch Partnerschaft gelöst und Fortschritt muss geteilt werden."
    Das neue Verhältnis zwischen Welt und Weltmacht
    Hier wird das Verhältnis zwischen Welt und Weltmacht, die Rolle der USA und aller anderen Länder neu bestimmt - in der sogenannten Obama-Doktrin: Obama gibt darin zwar den Führungsauftrag der USA nicht grundsätzlich preis, aber er will ihn einfügen in ein partnerschaftliches Verhältnis, in eine internationale Verantwortungsteilung, bei der die Nationen und Kulturen gleichberechtigt sind.
    Obama hat den Worten auch politische Taten folgen lassen, deutlich vor allem, als das Kommando über die Luftangriffe zum Schutz der libyschen Bevölkerung an die NATO ging.
    Obamas Vision einer transnationalen Politik und einer Gleichberechtigung der verschiedenen Kulturen ist deshalb so glaubwürdig, weil er wie kein zweiter mit seiner eigenen Biografie dafür einsteht: sein Vater, ein Schwarzer aus Kenia, seine Mutter, eine Weiße aus Kansas. Die Eltern lernten sich zu Beginn der 60er-Jahre beim Studium in Hawaii kennen. Zu einer Zeit, wo in vielen amerikanischen Bundesstaaten Mischehen noch verboten waren, erläutert Glenn Eskew, amerikanischer Historiker an der Universität Georgia:
    "Ja, es stimmt, dass viele amerikanische Bundesstaaten Mischehen verboten haben. Es also nicht zu einer Liebesgeschichte gekommen wäre. In den 1970ern, da hatte der oberste Gerichtshof das geregelt auf Verfassungsebene. Und die Obamas, also seine Eltern begegneten sich, das ist schon ein Wunder, in Hawaii, einem Bundesstaat, der Eheschließung erlaubte - so kam es dann. Und jene Jahre in Hawaii waren sehr prägend für ihn, aufgrund der rassisch offenen und multirassischen Gesellschaft, die er selber als Kind vorfand."
    Der erste schwarze US-Präsident
    Dass ein Schwarzer Präsident der USA werden konnte, erscheint - heute genau wie vor sechs Jahren - immer noch wie ein Wunder der Geschichte, mindestens genauso unwahrscheinlich wie der Fall der Mauer, bevor sie tatsächlich eingerissen wurde. Allerdings sehen viele, sieht vor allem Europa, in Obama den Afroamerikaner - und übersieht dabei, dass er noch andere kulturelle Wurzeln und Erfahrungen einbringt. Alex Schäfer, Historiker an der britischen Universität Keele, konfrontiert das Klischee des Afroamerikaners Obama mit den Fakten:
    "Die Tatsache, dass Barack Obama nicht im eigentlichen Sinne Afroamerikaner ist, das heißt, er hat nicht die Vergangenheit in der Familie der Sklaverei, er stammt nicht in irgendeiner Weise aus den Südstaaten, also die klassischen Insignien des Afroamerikaners und des afroamerikanischen Erbes treffen bei ihm nicht zu. Zwar ist er in Amerika geboren, aber hat dann in Indonesien seine Kindheit verbracht und ist später wieder nach Hawaii gekommen."
    Neubesinnung auf den Pazifik
    Obama ist von seiner Biografie vielschichtiger, als zunächst wahrgenommen wurde. "Obama. Unser erster asiatisch-amerikanischer Präsident?" - fragte ein Tagungsvortrag im Titel. Und Obamas biografischer Bezug zum asiatischen Raum hat sich auch politisch niedergeschlagen: Zu Beginn seiner ersten Amtszeit rief er ein "pazifisches Jahrhundert" aus, sprach vom großen Dreieck Asien, Australien und Amerika, wohin sich das Gewicht der Weltgeschichte verlagern würde. Obama hat in Asien zunächst große Sympathie erfahren und hohe Erwartungen geweckt, erklärt Alfred Hornung, der länger in Peking gelebt und gelehrt hat:
    "Am Anfang seiner Präsidentschaft 2009 ist er sehr positiv wahrgenommen worden unter anderem deshalb, weil er natürlich kein Weißer ist, genauso wie die chinesische Gesellschaft nicht eine weiße Gesellschaft ist, hat man eine gewisse Nähe zwischen den verschiedenen Ethnien erkannt.
    US-Präsident Barack Obama 2009 bei Malerarbeiten in einem Haus für obdachlose und vernachlässigte Jugendliche in Washington.
    US-Präsident Barack Obama 2009 bei Malerarbeiten in einem Haus für obdachlose und vernachlässigte Jugendliche in Washington. (dpa / picture alliance / epa Joshua Roberts/Pool)
    Er ist bei den Jugendlichen in China als sehr positive Figur wahrgenommen worden, man war fasziniert, hat sich mit ihm identifiziert. Jetzt in der zweiten Amtszeit hat sich das gewandelt. Wir haben in der Konferenz von unserem chinesischen Kollegen gehört, dass jetzt die Meinung in China besteht, dass Amerika mit Japan militärisch aufrüstet. Jetzt ist sein Image etwas gewandelt."
    Ernüchterung nach sechs Jahren Obama
    Nicht nur in Asien ist Ernüchterung eingekehrt. Obamas Präsidentschaft hat zwar an Symbolkraft kaum eingebüßt, aber seine Politik wird zur Mitte seiner zweiten Amtszeit, also nach fast sechs Jahren kritischer betrachtet. Zwar konnte Obama den erklärten militärischen Rückzug aus dem Irak umsetzen, aber in Afghanistan geht der Krieg weiter. Und den Rückzug von Bodentruppen kompensierte Obama durch den verstärken Einsatz von Drohnen in Afghanistan und Pakistan. Nach Angaben der "Huffington Post" wurden bis Januar 2014 über 2400 Personen Opfer der Drohnenangriffe unter Obama, das ist zumal für einen Friedensnobelpreisträger eine schreckliche Bilanz.
    Die Welt schaut vor allem auf die amerikanische Außenpolitik, beurteilt Obama in Bezug auf Kriege und Konflikte, militärische oder diplomatische Erfolge und Misserfolge, überall dort wo es brennt: Syrien, Palästina, Irak, Afghanistan und aktuell im Kampf gegen die Terrormilizen des Islamischen Staates. Darüber gerät aus dem Blick, was Obama trotz des Handicaps der Finanzkrise im Innern der USA geleistet hat, zur existenziellen Sicherung der Einkommensschwachen, egal was für eine Herkunft, Hautfarbe und Religion sie haben. So antwortete Lothar von Falkenhausen, deutsch-amerikanischer Archäologe an der Universität von Kalifornien, auf die Frage eines Tagungsteilnehmers:
    "Ob denn Obama als einer der großen amerikanischen Präsidenten in die Geschichte eingehen würde oder nicht. Meine persönliche Antwort auf diese Frage ist: Ja, wenn nicht seine Nachfolger die Gesundheitsreform wieder kippen. Wenn das bestehen bleibt, dann hat Obama seinen Platz in der amerikanischen Geschichte gesichert."