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Unionspolitiker Vaatz nennt Energiewende "sinnloses Experiment"

Einspeisekosten, Leitungsbaukosten, Verteilungskosten und Speicherkosten der geplanten Energiewende werden sich auf etwa 2,3 Billionen Euro belaufen, sagt Arnold Vaatz (CDU). Das Vorhaben sei ökonomisch "völlig unsinnig" und vom Gesamtkonzept und Zeitplan her nicht einzuhalten.

Das Gespräch führte Jürgen Liminski | 18.07.2012
    O-Ton Angela Merkel: "Unsere Energieversorgung wird damit die effizienteste und umweltverträglichste weltweit, glaube ich sagen zu können."

    Jürgen Liminski: Die Bundeskanzlerin am 6. September 2010 zur ersten Energiewende, als sie das Konzept der schwarz-gelben Regierung zur Verlängerung der Laufzeiten verkündete. Aber schon sieben Monate später, wenige Wochen nach Fukushima, verkündete sie die zweite Energiewende, und zwar mit diesen Worten:

    O-Ton Angela Merkel: "Wir können als erstes Industrieland der Welt die Wende zum Zukunftsstrom schaffen."

    Liminski: Und heute, ein gutes Jahr später, steht die Bundesregierung offenbar vor der dritten Wende, denn Umweltminister Altmaier zeigt sich skeptisch, ob die Ziele so schnell erreicht werden können, und Wirtschaftsminister Rösler erwägt eine Streckung des Zeitplans. Es stellt sich die Frage: Ist die zweite Energiewende überhaupt machbar, oder nur zu horrenden Strompreisen? – Am Telefon begrüße ich dazu Arnold Vaatz, er war mal Umweltminister in Sachsen, ist heute stellvertretender Fraktionschef der Union im Bundestag und ganz allgemein ein Skeptiker von Wendemanövern. Guten Morgen, Herr Vaatz.

    Arnold Vaatz: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Vaatz, die Politik hält, schon wegen der großen Popularität der Frage, eisern an der Energiewende II fest. Verstörend wirkt eine drohende Strompreiserhöhung. Ist diese Energiewende noch zu akzeptablen Preisen machbar?

    Vaatz: Also ich halte sie zunächst erst mal aus rein physikalischen und auch aus technischen Gründen für kaum machbar und aus ökonomischen Gründen für völlig unsinnig, und ich glaube, dass sie nicht realisiert wird. Ich glaube, wir werden auf halbem Wege irgendwo stecken bleiben und dann feststellen, dass wir enorme Mittel in ein sinnloses Experiment investiert haben.

    Liminski: Das ist eine Behauptung. Können Sie das mit Zahlen belegen? Die Preise sollen ja steigen. Haben Sie da Ziffern?

    Vaatz: Also zunächst erst mal das Physikalische. Das halte ich für das wichtigere Argument. Im Augenblick ist es so, dass die Kernenergie von der Grundlast des Stromes, wohl gemerkt nicht vom Gesamtstrom, sondern von der Grundlast des Stromes – das ist das, was kontinuierlich immer an das Netz geliefert wird, zu jeder Zeit schwankungsfrei zur Verfügung steht -, nicht ganz die Hälfte, also so etwa 40 bis 45 Prozent liefert. Und diese 40 bis 45 Prozent Strom, die kontinuierlich anliegen, die sollen jetzt durch volatile Lieferanten wie Wind und Sonne ersetzt werden. Dazu müsste man dieses Energieangebot glätten. Das heißt also, man müsste Berge und Täler im Angebot abschaffen, und dazu brauchte man enorme Speichermöglichkeiten, die sozusagen in Überangebotszeiten die Überlast des Stromes aufnehmen, speichern und in Unterlastzeiten abgeben ans Netz. Dafür haben wir nicht im Entferntesten die nötigen Möglichkeiten dazu. Wir brauchten also vielleicht etwa die hundertfache Kapazität an Pumpspeicherwerken oder so was. Das ist illusorisch, überhaupt daran zu denken.
    Das ist der eine Punkt und der andere Punkt ist: Durch das Energieeinspeisegesetz haben wir die Installation von volatilen Energielieferanten abgekoppelt vom Bedarf. Das heißt, es wird explosionsartig alternative Energieerzeugungskapazität installiert, die uns dann jeweils 20 Jahre lang mit Kosten aufschlagen, und das heißt, wir haben schon allein jetzt im Jahr 2011 insgesamt ungefähr 16 Milliarden Euro an sogenannten Einspeisevergütungen abgegeben. Der Gegenwert an Strom liegt etwas über vier Milliarden Euro, das heißt, wir geben etwa zwölf Milliarden Euro pro Jahr für nichts aus und die Lieferanten dieses Stroms haben eine Garantie, dass diese Zahlung 20 Jahre lang geht. Das heißt also, wir reden hier über Summen von 240 Milliarden ungefähr.

    Liminski: Das klingt nach griechischen Verhältnissen. Aber sind das nicht auch Investitionen in die Zukunft? Man muss ja Investitionen tätigen, um diese Speicherkapazität zu schaffen.

    Vaatz: Ja, diese Speicherkapazität, das wäre eine astronomische Aufgabe, das zu machen. Ich meine, wenn man darüber redet, dass wir jetzt Jahrzehnte an einem Pumpspeicherwerk arbeiten, das nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein ist, dann kann man das nicht als realistisch betrachten, was wir uns da vornehmen, rein technisch schon nicht. Und was die Kosten betrifft, habe ich jetzt nur über die Kosten des Einspeisegesetzes geredet. Da sind die Kosten für die enormen Leitungsbaumaßnahmen überhaupt noch nicht da, da ist jetzt eine Schätzung von 32 Milliarden im Umlauf, die müssten dann umgelegt werden. Da ist die Smart-Grid-Technik noch nicht dabei, die den Strom sozusagen optimal einsetzen soll. Es ist insbesondere überhaupt noch kein Pfennig dabei für die Erweiterung der Speicherkapazität. Wenn man alles zusammenrechnet, gibt es jetzt eine Rechnung von einem Institut, die beläuft sich auf 2,3 Billionen. Das sind Kosten, wenn die auf den Stromverbraucher umgeleitet werden sollen, dann ist definitiv der Wirtschaftsstandort Deutschland Geschichte.

    Liminski: Das sind Drohzahlen. Man könnte einwenden, das sind Drohzahlen aus der Energiebranche, um vielleicht doch noch eine Rolle rückwärts zu machen?

    Vaatz: Die Energiewirtschaft hat dazu nicht den geringsten Grund. Die Energiewirtschaft hat sich inzwischen auf diese Energiewende eingestellt, sie macht sozusagen Dienst nach Vorschrift, und sie wird ungerührt diese Kosten umlegen auf Wirtschaft und Verbraucher. Das heißt, die Energiewirtschaft wird sagen, wenn wir das nicht machen, gehen wir in Konkurs, und der Staat wird dafür sorgen müssen, dass durch die Energiewirtschaft, egal wie unsinnig ihre Installationen, ihre Investitionen angesichts der vorgegebenen Energiewende sein müssen, diese Kosten auf den Versorger umgelegt werden, denn sonst machen sie Pleite und das sieht jeder ein, dass das nicht geht.

    Liminski: Ganz konkret: Um wie viel Prozent wird der Strompreis Ihrer Meinung nach steigen?

    Vaatz: Das kann man nicht sagen. Es sind ja wie gesagt eine ganze Menge von Rechnungen auf dem Markt, auch eine ganze Menge von Vermutungen und so weiter. Es treffen täglich neue Zahlen ein. Ich bin der Meinung, wir müssen schon in den nächsten zwei bis drei Jahren mit einer Erhöhung um ungefähr 30 bis 50 Prozent rechnen.

    Liminski: Die Zweifel am Zeitplan wachsen. Was wäre denn falsch, wenn man den Plan etwas strecken würde, sagen wir mal über den September 2013 hinaus, um damit auch den Strompreis niedriger halten zu können?

    Vaatz: Ja, ich glaube, der Zeitplan wird früher oder später ganz und gar aufgegeben. Es ist nicht nur eine Frage des Zeitplans; ich glaube, dass das Gesamtkonzept dieser Energiewende nicht hinhauen wird. Und der Zeitplan, der wird sowieso nicht einhaltbar sein. Das zeigt sich ja inzwischen an allen Ecken und Enden. Was die Speicherkapazität betrifft, ist man keinen Schritt vorangekommen, und das Thema Leitungen, das hören Sie jetzt landauf, landab, dort gibt es enormen Zoff, die Bürger gehen auf die Barrikaden und die Planungszeiträume reichen nicht aus, die zur Verfügung stehen. Also der Zeitplan ist sowieso nicht zu halten.

    Liminski: Vorgestern hat die Kanzlerin vor einer Erderwärmung um vier Grad gewarnt, wenn nichts unternommen würde. Die Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen sind aber in der Regel nicht so umweltschonend wie Atomkraftwerke. Ist hier nicht ein Dilemma zwischen Klima und Wende?

    Vaatz: Ja, ganz grundsätzlich ist das so. Wenn man die Warnung mit diesen vier Grad ernst nimmt, dann ist es umso fahrlässiger, an einer solchen Energiewende herumzudoktern, denn dann wird letzten Endes nichts anderes übrig bleiben, als dass man die ausgefallene Atomkraft durch Kohle und durch andere fossile Energieträger ersetzt, und die erzeugen in jedem Fall Kohlendioxid. Auch Gas, Erdgas, ist ja kein kohlendioxidfreier Stoff, es hat eine etwas höhere Effizienz, das ist richtig, aber es entsteht Wasser und Kohlendioxid bei der Verbrennung von Erdgas, also von Methan im wesentlichen. Unterm Strich wird es aber so sein, dass man wieder stärker auf Kohle setzt, aber unterm Strich, glaube ich, kann man auch wieder ein Stück weit Entwarnung geben, denn es gibt ja mittlerweile auch andere Aussagen, beispielsweise das Buch von Vahrenholt, das die ganze Geschichte wesentlich undramatischer darstellt.

    Liminski: Die Energiewende III kommt, prophezeit Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vaatz.

    Vaatz: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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