Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Unionsstreit um Flüchtlinge
Bosbach: "Bayern steht mit dem Rücken zur Wand"

Die Androhung einer Klage gegen den Bund durch Bayern habe ihn überrascht, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach im Deutschlandfunk. Er könne sich nicht vorstellen, dass sie Erfolg haben würde. Die Klage sei eine Drohkulisse, weil Bayern durch die Flüchtlingskrise wie kein anderes Bundesland betroffen und belastet sei.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.10.2015
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach spricht am 21.02.2014 zu Beginn der Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin zu den Journalisten.
    Wolfgang Bosbach (CDU) (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Bayern beklage zurecht die mangelnde Solidarität der anderen Bundesländer, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach im Deutschlandfunk. Die CSU wolle mit ihrer Klageandrohung sagen: "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand." Bei einer Klage würde sich die CSU aber letztlich selbst verklagen, weil sie in der Regierung mit etlichen Ministern vertreten sei, die den Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel mittragen. Eine Klage würden auch in der Bevölkerung keinen besonders guten Eindruck machen.
    Gemeinden tragen Hauptlast
    Bei der Aufnahme von Flüchtlingen seien die Gemeinden, die die Hauptlast zu tragen hätten, inzwischen an der Grenze der Belastbarkeit angekommen, sagte Bosbach. Die Frage sei jetzt, "ob wir das schaffen können", wenn die Zahl der Flüchtlinge noch größer werde. Das werde zwar zu deutlichen Mehrausgaben führen, zusätzliche Belastungen für die Bürger werde es dadurch aber nicht geben, sagte Bosbach. Die Idee eines Flüchtlingssolis auf europäischer Ebene erteilte er eine Absage. "Wir brauchen keine zusätzlichen Belastungen."

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Nach dem ZDF-"Politbarometer" von gestern Abend zweifelt die Mehrheit der Bevölkerung inzwischen daran, dass Deutschland die große Zahl an Flüchtlingen bewältigen kann. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer fordert Maßnahmen, um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen, ansonsten, so droht er jetzt, die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht zu verklagen. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Bosbach!
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Bosbach, die "Süddeutsche Zeitung", die nennt Seehofers Vorgehen oder seinen Vorschlag jetzt schlichtweg "CSU-Klamauk". Wie empfinden Sie das, dass die CSU da quasi der CDU androht, sie vor die Karlsruher Richter zu zerren?
    Bosbach: Bayern ist wie kein anderes Bundesland von der großen Zuwanderung nicht nur betroffen, sondern auch belastet. Bayern trägt ganz andere Lasten als andere Bundesländer. Deswegen kann ich verstehen, dass die CSU sich hier auch etwas anders positioniert als die CDU. Und dennoch, diese Klageandrohung ist eine große Überraschung, denn die CSU würde ja auch zumindest konkludent sich selber mit verklagen, denn die CSU ist doch mit Bundesministern hochrangig in der Bundesregierung vertreten. Und die CSU-Bundesminister tragen den Kurs der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin mit. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass die CSU tatsächlich Klage in Karlsruhe einlegt.
    Zagatta: Also Sie gehen davon aus, das ist gar nicht ernst gemeint.
    Bosbach: ich gehe davon aus, dass die CSU sagt, wir stehen mit dem Rücken zur Wand, bitte seht auf Bayern, welche Belastungen wir zu tragen haben. Und so kann es nicht noch längere Zeit weitergehen. Und deshalb ist das eine Drohkulisse, die Bayern aufbaut. Das sollte man ernst nehmen. Aber ich glaube im Übrigen auch nicht, dass materiellrechtlich eine solche Klage Erfolg hätte. Aber wenn dann sozusagen der eine Teil der Bundesregierung den anderen Teil der Bundesregierung verklagt, dann macht das auch in der Bevölkerung keinen besonders guten Eindruck, denn die Leute wollen nicht, dass wir uns gegenseitig vor Gericht verklagen, sondern dass wir die unübersehbaren Probleme lösen. Und mit einer Klage wird das nicht gehen.
    Zagatta: Macht man sich da nicht geradezu lächerlich, mit so einer Drohung?
    Bosbach: Nein, als lächerlich würde ich das nicht bezeichnen. Aufgrund der Lage, die wir in Bayern haben und die nicht vergleichbar ist mit der Situation in Schleswig-Holstein, und zumal wir ja auch die besondere Situation haben, dass Bayern innerstaatlich das beklagt, was Deutschland europäisch, und zwar zu Recht, beklagt, nämlich die mangelnde Solidarität anderer Länder.
    Zagatta: Da kommt es ja jetzt vielleicht ein bisschen zu Solidarität, zumindest finanziell. Was sagen Sie denn zu den Plänen der EU-Kommission, das berichtet heute jedenfalls die "Süddeutsche Zeitung", eine Art europaweite Flüchtlingssteuer, also so irgendwas wie einen Flüchtlings-Soli einzuführen, um die Kosten zu bewältigen? Geht das in die richtige Richtung?
    Bosbach: Das geht nicht in die richtige Richtung. Die EU-Kommission träumt schon lange von einem eigenen Steuerrecht, das jetzt auch noch, neben den Kommunen, den Ländern, dem Bund, jetzt auch noch die Europäische Union den Steuerzahlern eigene Steuerpflichten auferlegen kann. Dann sollen die Gelder wohl zu 100 Prozent dann auch nach Europa gehen. Also eine neue Form der Finanzierung der europäischen Aufgaben. Wir brauchen keinen Soli, wir brauchen keine zusätzlichen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben versprochen, bei der Koalitionsbildung in dieser Wahlperiode gibt es keine neuen Steuern, keine Steuererhöhungen, und dabei wird es auch bleiben, und zwar völlig unabhängig davon, ob diese Steuern inländisch erhoben werden oder neu eingeführt werden oder auf europäischer Ebene. Keine neue Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger .
    Zagatta: Ist das angesichts dieser großen Zahl von Flüchtlingen, manche sprechen ja von bis zu 1,5 Millionen in diesem Jahr, sagen wir, angesichts von Hunderttausenden von Menschen, denen geholfen werden muss, die untergebracht werden müssen, denen man in allen möglichen Formen helfen soll und muss, ist das da noch einzuhalten, dieses Versprechen? Beziehungsweise da muss man doch Unsummen aufbringen.
    Bosbach: Wir haben ja jetzt im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auch mehr Hilfen des Bundes für die Länder und die Kommunen beschlossen. Das Gesamtpaket hat ein Volumen von etwa knapp sieben Milliarden Euro. Das entspricht auch ungefähr den Steuermehreinnahmen, und zwar nicht nur gegenüber dem Vorjahr, sondern auch gegenüber den Steuerschätzungen dieses Jahr. Wir haben eine stabile Konjunktur, wir haben eine gute Lage auf dem Arbeitsmarkt, und ich habe erst gestern in der Zeitung gelesen, dass diese vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sogar ein Konjunkturprogramm wären für die inländische Belebung. Also da wird auch mit Mehreinnahmen gerechnet. Und dennoch haben Sie recht: Unterm Strich wird es zu deutlichen Mehrausgaben kommen. Aber ich bin der festen Überzeugung, wenn wir ansonsten strikte Haushaltsdisziplin wahren, wenn die Konjunktur gut läuft und die Lage auf dem Arbeitsmarkt stabil bleibt, dann brauchen wir weder neue Steuern noch Steuererhöhungen.
    Zagatta: Herr Bosbach, nochmal zu unserem Ausgangspunkt zurück. Hinter solchen Ankündigungen, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, da steckt ja auch irgendwo der Vorwurf, die Kanzlerin lasse die Kommunen, die Länder und vor allem Bayern in der Flüchtlingspolitik mit diesen Problemen im Stich. Ist da was dran? Können Sie das nachvollziehen, aus bayerischer Sicht?
    Bosbach: Ja, nicht nur aus bayerischer Sicht. Obwohl es die Bayern überraschen wird, aber die Bundesrepublik Deutschland besteht nicht nur aus Bayern. Auch mein eigener Bürgermeister vom Mikrokosmos Bergisch-Gladbach, mitten in Nordrhein-Westfalen, sagt: Wir sind an den Grenzen unserer Möglichkeiten angekommen. Wir können nicht noch mehr Zeltstädte errichten, noch mehr Turnhallen belegen. Es geht doch nicht um die Frage, ob wir noch mehr schaffen möchten, sondern ob wir noch mehr schaffen können. Das ist ja auch das berühmte Zitat der Bundeskanzlerin: "Wir schaffen das". Was ist "das"? Damit ist wohl gemeint ein ordnungsgemäßes Aufnahmeverfahren – das läuft schon an vielen Stellen aus dem Ruder, weil viele sich überhaupt nicht registrieren lassen. Sie werden sofort am Bahnhof abgeholt. Wir wissen nicht, wo sie sind, wir wissen nicht, wer sie sind, wovon sie leben, ob sie jemals einen Antrag stellen. Das gilt für eine angemessene Unterbringung und Versorgung, Integration auf dem Arbeitsmarkt, zügige Rückführung von Ausreisepflichtigen. Das heißt, es geht doch nicht um die Frage, ob wir es schaffen wollen, sondern ob wir es schaffen können. Und je größer die Zahl wird, desto größer werden die Probleme. Und das muss man sagen dürfen, ohne dass die Replik lautet, aha, wer das sagt, der tritt gegen die Bundeskanzlerin an.
    Zagatta: Aber wird da gegen geltendes Recht verstoßen, wenn man da jetzt das Bundesverfassungsgericht ins Spiel bringt – also nur mal vom Ansatz her. Sie sind Jurist. Wird da im Moment gegen geltendes Recht verstoßen?
    Bosbach: Herr Zagatta, das habe ich gerade schon gesagt. Ich glaube nicht, dass eine solche Klage eingereicht wird. Wenn ja, glaube ich auch nicht, dass sie aus materiellrechtlichen Gründen Erfolg hätte. Politisch ist sie sowieso hoch problematisch, weil die CSU ja selber in der Bundesregierung vertreten ist. Aber das Dublin-Abkommen, um das es hier im Kern geht, das kann man ja schön deutlich machen am Beispiel Österreich. Doch nur ein kleiner Bruchteil der Flüchtlinge, die von Österreich kommen, nur ein kleiner Teil stellt doch in Österreich den Asylantrag. Österreich ist genauso schön, genauso sicher wie die Bundesrepublik Deutschland. Da wollen Sie aber nicht bleiben. Das heißt, das Abkommen von Dublin, jeder soll dort den Asylantrag stellen, wo er zum ersten Mal ein Land der EU erreicht, das gilt doch nur noch auf dem Papier. Wir sind doch weit entfernt von der Rechtswirklichkeit. Natürlich wird dieses Recht missachtet – aber doch nicht von Deutschland, sondern von anderen Staaten der Europäischen Union, ohne dass die EU Mittel kennt, für die Rechteinhaltung zu sorgen.
    Zagatta: Aber die Bundeskanzlerin beziehungsweise die Bundesregierung billigt das ja, nimmt das hin, dass geltendes Recht gebrochen wird und macht sich damit auch zur Komplizin, oder?
    Bosbach: Was heißt "billigt"? Sie sind aber gut. Was heißt denn "nimmt es hin"? Was wollen Sie denn mit den Flüchtlingen machen?
    Zagatta: Das ist die nächste Frage.
    Bosbach: Nein, nein, das ist nicht die nächste Frage, das ist die Frage, um die es im Kern geht. Der Hauptvorwurf ist doch, man hätte die Flüchtlinge, die in Ungarn vor allen Dingen am Ostbahnhof in Budapest gewesen sind, nicht aufnehmen dürfen. Sie wären gekommen. Das war ein Akt zur Abwehr einer humanitären Katastrophe, denn es war ja nicht deren Wunsch, in Ungarn oder Österreich zu bleiben oder zu kommen, sondern sie wollten ihren Asylantrag in Deutschland stellen. Sinnvoll wäre es sicherlich gewesen, deutlicher zu machen, das ist eine einmalige Entscheidung in einer ganz besonderen Situation, und jetzt führen wir Grenzkontrollen ein. Leider sind sie erst mehrere Tage später eingeführt worden, sodass nicht nur der Eindruck entstanden ist einer politischen Kurskorrektur – das war auch eine politische Kurskorrektur, denn durch diese Grenzkontrollen ist ja der Zuzug nicht verhindert, aber deutlich verlangsamt worden.
    Zagatta: Wie kann man jetzt, darum geht es der CSU ja, wie kann man jetzt die Zahl der Flüchtlinge begrenzen. Die Grenze zu Österreich zu machen, ich weiß es nicht, das war ja im Gespräch. Was ist mit diesen Flughafenverfahren, dieser Vorschlag, an deutschen Grenzen so eine Art Flughafenverfahren einzuführen und dann als unbegründet eingestufte Asylanträge, also diese Menschen dann sofort zurückzuweisen? Ist das praktikabel?
    Bosbach: Ich halte das für richtig. Ich halte das auch für wichtig, um deutlich zu machen, wei haben das Verfahren, das Sie gerade zu Recht erwähnt haben, das sogenannte Flughafenverfahren ja nur an einigen deutschen Flughäfen, und es geht ausdrücklich und ausschließlich um die rasche Entscheidung über offensichtlich unbegründete Asylanträge. Dieses Verfahren können wir an der Landgrenze nicht beziehungsweise noch nicht durchführen. Wir haben Anerkennungsquoten bei den Syrern, wenn es tatsächlich Syrer sind, die liegen über 99 Prozent. Anerkennungsquoten bei den Westbalkanstaaten dürften bei im Schnitt unter 0,2, 0,3 Prozent liegen. Das heißt, dort könnten wir für eine wesentlich raschere Entscheidung sorgen, denn die Verteilung, also die Rückführung gegen den Willen der Schutzsuchenden ist doch dann erst richtig kompliziert, wenn sie sich schon monatelang in Deutschland aufhalten, sei es in Aufnahmelagern oder sei es in der zugewiesenen Einrichtung. Dann wird doch die Rückführung ins Heimatland immer schwieriger. Und wenn wir schon an der Grenze sagen könnten, an der Landgrenze, dieser Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, es gibt keinen Zutritt zur Bundesrepublik Deutschland, gehen Sie wieder nach Hause zurück, Sie haben keinen Schutzgrund, Sie fliehen nicht vor Krieg und Bürgerkrieg, werden nicht politisch verfolgt, dann löst das nicht alle Probleme, aber es reduziert sie deutlich.
    Zagatta: Herr Bosbach, die Flüchtlingskrise hat jetzt einen Nebeneffekt, dass Angela Merkel nicht mehr ganz so beliebt ist. Laut ZDF-"Politbarometer" sind Sie schon an ihr vorbeigezogen, jetzt weit beliebter noch.
    Bosbach: Ja, das macht mir ja Sorgen. Mein erster Gedanke, hoffentlich gibt das keinen Ärger.
    Zagatta: Dass Sie noch für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden, oder warum?
    Bosbach: Ja, die Gefahr besteht nun wirklich nicht.
    Zagatta: Dass Sie jetzt da beliebter sind, liegt das an Ihnen oder liegt das an Frau Merkel?
    Bosbach: Ich glaube, das liegt daran, dass die Bundeskanzlerin eine unvergleichbar schwierigere Aufgabe hat als andere, denn sie muss auf der einen Seite dafür sorgen, dass die Probleme, über die wir jetzt einige Minuten sprechen, möglichst rasch gelöst werden, zumal die Situation in den Kommunen eine viel schwierigere ist als in der Bundeshauptstadt oder in den Landeshauptstädten. Denn die eigentliche Verantwortung tragen die Bürgermeister und die Landräte. Sie muss sehen, dass wir auf der einen Seite die Grenzen in Europa weiter offenhalten, dass die Grenzen aber auch nicht offen sein können für alle, die gerne kommen möchten, unabhängig davon, ob sie schutzbedürftig sind oder nicht. Und vor allen Dingen hat sie die schwere Aufgabe, dafür zu sorgen in den Verhandlungen mit den ausländischen Partnern, mit anderen Staaten, dass die Fluchtursachen bekämpft werden – warum machen sich die Menschen auf den Weg? –, dass wir die Lebensbedingungen in den Lagern verbessern, aus denen diese Menschen kommen. Über vier Millionen sind noch in großen Aufnahmelagern der Krisengebiete. Dass wir Hotspots bekommen in Italien und Griechenland. Und das ist eine Herkulesaufgabe, um die wir die Kanzlerin nun wirklich nicht beneiden.
    Zagatta: Wolfgang Bosbach, CDU-Innenpolitiker und, wie wir gelernt haben, drittbeliebtester Politiker mittlerweile der Republik. Herr Bosbach, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Bosbach: Schönes Wochenende, auf Wiederhören!
    Zagatta: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.