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Universelle Diagnostik
Ein Bluttest für alles

Zahl der Blutkörperchen, Virenbelastung, Entzündungseiweiße. Jeder Arzt braucht solche Daten für eine sorgfältige Diagnostik, also nimmt er Blutproben und schickt sie an ein medizinisches Labor. Dort wird dann viel Aufwand für die Messung betrieben. Forscher in den USA wollen das Verfahren beschleunigen und vereinfachen. In einer Zeitschrift haben sie einen ersten universellen Bluttest vorgestellt.

Von Volkart Wildermuth | 21.07.2015
    Modere medizinische Laboratorien können eine Vielzahl von Blutwerten messen, aber dafür benötigen sie spezialisierte Tests. Entscheidend ist meist ein sogenannter Antiköper, der ganz spezifisch an die Zielsubstanz oder Zielzelle im Blut bindet. In einem zweiten Schritt wird dann diese Bindung auf irgendeine Art und Weise sichtbar gemacht. Als Ingenieur versteht Utkan Demirci von der Stanford Universität wenig von Antikörpern. Aber er ist sicher, dass er mit Verfahren aus der Nanotechnologie den zweiten Schritt, den Nachweis der Bindung deutlich verbessern kann.
    "Eine große Herausforderung der Biowissenschaften besteht aktuell darin, ganz verschiedene Mengen einer Zielsubstanz nachzuweisen, und das in unterschiedlichen Körperflüssigkeiten. Mit unserem Ansatz können wir genauso gut Eiweiße im Femtogrammbereich wie auch Blutzelle in Mikrogrammmengen messen. Das ist wirklich eine sehr große Bandbreite."
    Die Erkennung der Medikamente, Eiweiße, Viren, Blutkörperchen oder Krebszellen erfolgt ganz klassisch über die jeweils passenden Antikörper. Doch diese Antikörper sitzen in dem Verfahren von Utkan Demirci auf Gold-Nanopartikeln, die wiederum dicht gepackte auf einer Oberfläche aufgebracht sind. Normalerweise wirkt diese Fläche rot, doch sobald etwas fest an die Antikörper bindet, verschiebt sich der Farbton.
    "Wir sehen, dass sich die Farbe verändert, wenn etwas an die Oberfläche bindet. Je mehr der jeweiligen Zielsubstanz gebunden ist, desto stärker verschiebt sich der Farbton. So können wir die Menge genau bestimmen."
    Nanoplasmonischer Feldverstärkender Resonator nennt sich das Ganze, englisch abgekürzt zu NERD. Doch die technischen Details müssen wirklich nur die Nerds, die Spezialisten interessieren. Denn der Clou ist: Die Farbveränderung ist über sehr unterschiedliche Substanzmengen stabil und sie hängt kaum von den Umgebungsbedingungen ab. Das heißt, der Anwender kann kaum etwas falsch machen. Er nimmt einfach eine kleine Blut- oder Speichelprobe, gibt sie ohne weitere Aufbereitung in das Gerät und nach zehn bis dreißig Minuten ist das Ergebnis sichtbar.
    Ein Pieks in den Finger bringt zahlreiche Analysen
    Bisher hat Utkan Demirci zwei Prototypen gebaut. Eine große Version, die sehr viele unterschiedliche Messwerte parallel bestimmen kann. Etwa die ganze Standard-Blutdiagnostik auf einen Schlag. So ein Gerät könnte in Zukunft direkt in der Arztpraxis stehen und vor Ort und damit schnell alle nötigen Messwerte liefern. Die zweite Version des Geräts ist ein drei Pfund schwerer Kasten. Er arbeitet mit Wegwerfkartuschen, die nur einige Proteine oder Zelltypen bestimmen können. Damit könnten in Zukunft Gesundheitsmitarbeiter in der dritten Welt die wichtigsten Infektionskrankheiten direkt in entlegenen Dörfern diagnostizieren. Momentan arbeite Utkan Demirci noch an einer dritten, ganz kleinen Version für die Patienten selbst.
    "Wir haben begonnen, die Spiegel mehrerer Medikamente von Epilepsiepatienten zu bestimmen. Da gibt es häufig Wechselwirkungen, um die Anfälle zu verhindern kommt es darauf an, die Spiegel gut zu kontrollieren. Die Patienten würden sich in die Fingerkuppe stechen und den Blutstropfen oder vielleicht auch Speichel in eine Wegwerfkartusche geben. Das eigentliche Messgerät wäre so klein, dass es sich herumtragen lässt."
    So wie heute schon die Messgeräte für Blutzucker. Das NERD System würde es aber erlauben, passende Tests für eine Vielzahl von Krankheiten zu verkleinern. Etwa für die Blutwerte von Krebspatienten, Infektionsnachweise bei der Blutwäsche für Nierenkranke, oder auch für Allergene.
    "Das stelle ich mir vor: es Patienten zu ermöglichen, ihre eine Gesundheit selbst im Blick zu behalten."
    Das wird aber noch eine Weile dauern. Derzeit finden erste Praxistests statt, maßgeschneidert für AIDS-Patienten und Epileptiker.