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Universität Halle
Gedenken an politisch verfolgte Hochschulangehörige

Über 400 Studierende, Professoren und Mitarbeiter wurden zwischen 1949 und 1989 an der Martin-Luther Universität Halle aus politischen Gründen exmatrikuliert, entlassen, verurteilt und verhaftet. Diese Fälle sind zumindest bekannt. Ihnen wird an diesem symbolträchtigen 17. Juni gedacht.

Von Christoph Richter | 17.06.2019
Der Campus der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Sieben Studenten und Mitarbeiter der Uni Halle wurden zwischen 1949 und 1953 sogar zum Tod verurteilt, vier weitere hat man "begnadigt" und zu 25 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt (imago images / Steffen Schellhorn)
"Naja, ich wurde entlassen 1982."
Erzählt der heute 76-Jährige Geologe und Vulkan-Experte Frank Eigenfeld. Zwischen 1963 und 1968 hat er in Halle Geologie studiert, war anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er hatte sich geweigert, die sogenannten ZV-Lager – eine obligatorische paramilitärischen Ausbildung seiner Studierenden - durchzuführen. Das widersprach seinem pazifistischen Weltbild, weshalb man dem damals gerade mal 40-Jährigen Hallenser ein Berufsverbot erteilt hatte.
"Das Ergebnis war: Man wollte mich überzeugen. Ich sollte einsehen, dass ich doch einen Fehler gemacht hätte. Ich sagte: Nee, das kommt für mich nicht in Frage, auch zukünftig nicht. Das war dann das Aus für mich."
Von etwas mehr als 400 Universitätsangehörigen weiß man derzeit, die zwischen 1949 und 1989 an der Martin-Luther Universität Halle aus politischen Gründen exmatrikuliert, entlassen, verurteilt und verhaftet worden sind. Sieben Studenten und Mitarbeiter wurden zwischen 1949 und 1953 gar zum Tod verurteilt, vier weitere hat man "begnadigt" und zu 25 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt.
Schicksale von Menschen, die den SED-Machthabern missliebig waren und deswegen aus dem Universitätsbetrieb vertrieben wurden. Die Erinnerung an dieses Unrecht steht im Mittelpunkt der heutigen Gedenkveranstaltung. Initiiert hat sie die "Rektoratskommission zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts". Deren Leiter ist der Hallenser Kirchengeschichtler Friedemann Stengel.
"Ganz Konkrete Menschen"
"Das ist ein Akt, bei dem es um ganz konkrete Menschen geht. Die zwar in der Gesellschaft juristisch rehabilitiert worden sind. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass in der ostdeutschen Mehrheitsgesellschaft und über diese hinaus im gesamtdeutschen Kontext über diese Verfolgungs- und Widerstandsgeschichten debattiert worden ist."
Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall, seien viele der Schicksale der Öffentlichkeit bis heute so gut wie unbekannt, so Stengel weiter.
"Die Gründe politischer Verfolgung reichen von studentischen Streichen bis hin zu Verweigerungen in Militär- oder Zivilverteidigungslagern. Entscheidend war, dass immer wieder Exempel statuiert wurden, an Einzelnen oder an Gruppen. Um die Anpassungsbereitschaft der Mehrheit zu fördern."
Die Recherche beziehungsweise Aufarbeitung sei kein einfaches Unterfangen gewesen. Es gebe nach wie vor Vorbehalte an der Uni Halle moniert der Leiter der Hallenser Rektoratskommission Friedemann Stengel. Eines der gängigen Argumente: Man solle lieber nicht an der Zeit zwischen 1949 und 1989 rühren.
"Es gibt auch seitens Jüngerer und seitens mancher Nicht-Betroffener Alt-Bundesdeutscher Vorbehalte, sich klar zu positionieren. Um sich nicht ein Urteil über Lebensläufe in der DDR zu erlauben. Das kann gelegentlich zu dem Eindruck führen, dass man lieber schweigt, anstelle das Unrecht klar zu benennen."
Bedauern und Reue
Als nächsten Schritt wolle man auch an Schüler und Schülerinnen erinnern, die wegen Nichtigkeiten das Abitur nicht machen durften, denen damit eine ganze Karriere verwehrt wurde. Mit Folgen bis heute, erklärt Friedemann Stengel, der sich die Aufarbeitung der Geschichte der Universität Halle zur persönlichen Aufgabe gemacht hat.
Frank Eigenfeld hatte Glück. Nach 1990 wurde der Geologe rehabiliert, ist an die Uni Halle zurückgekehrt und konnte noch bis 2008 als Vulkanologe arbeiten.
"Selbst der Kader-Chef der Universität der mich entlassen hatte, war bei meiner Wieder-Einstellung noch im Amt. Bei dem Wiedereinstellungsgespräch stand er plötzlich auf, entschuldigte sich, man hätte mir Unrecht getan."
Für Frank Eigenfeld waren es überraschende Worte des Bedauerns und der Reue. Einlassungen, auf die andere Betroffene allerdings bis heute warten.