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Universität Köln
Erstes Soziolinguistisches Labor

Als Professor Aria Adli 2014 von Berlin an die Kölner Universität berufen wurde, war es eines seiner vorrangigen Ziele, auch dort ein Sociolinguistic Lab - ein Soziolinguistisches Labor - einzurichten, wie er es bei seiner wissenschaftlichen Arbeit in New York schätzen gelernt hatte. Anfang Juni wurde das erste und bislang einzige Sozio-Linguistik Labor Deutschlands offiziell eröffnet.

Von Alfried Schmitz | 18.06.2015
    "Ob Sie eigentlich in der Uni sind oder ob Sie sich in der Adresse geirrt haben und aus Versehen bei jemandem ins Wohnzimmer geplatzt sind? Also wenn Sie sich etwas peinlich berührt für die Störung entschuldigen, dann haben wir es richtig eingerichtet."
    Zwei gemütliche Sitzecken in trendigem und warmem Orangeton, dazwischen eine peppige Stehlampe mit riesigem Schirm, daneben ein kleiner Nieren-Tisch in nostalgischem Fünfziger-Jahre-Look. Ein Bücherregal aus hellem Holz, nette Blumen auf der Fensterbank, Bilder an den Wänden. Ein modernes Sprachlabor stellt man sich eigentlich etwas anders vor, aber genau diese besondere Wohnzimmeratmosphäre wollten Professor Adli und seine Mitarbeiter schaffen.
    "Wo die Personen ein bisschen vergessen, dass sie in einem Forschungskontext, in einem formalen Kontext sind und dass sie zu ihrer natürlichen Spontansprache, ihrer Alltagssprache finden. Denn das ist es, was für uns Sprachwissenschaftler interessant ist."
    Das Team um Professor Aria Adli möchte den sprachlichen Alltag von der Straße ins Labor holen, um ihn dort mit modernster Technik optimal untersuchen und analysieren zu können.
    Neben der Erforschung von Sprachwandel und Sprachkontakt, geht es den Wissenschaftlern unter anderem um die Frage, welcher Zusammenhang zwischen angewendetem Sprachstil und Lebensstil besteht.
    Schriftsprache zieht nach
    Abgestimmt auf die verschiedenen Projekte, werden Probanden aus sogenannten "forschungsrelevanten Populationsgruppen" ausgewählt und in das Labor zu einem scheinbar zwanglosen Gespräch eingeladen.
    "Dass sie uns von ihrer Schulzeit erzählen, dass sie von ihrer Schulklasse erzählen, was sie gut fanden, was sie schlecht fanden. Und indem sie über persönliche Dinge, die sie auch häufig im Alltag, auch zuhause erzählt haben, sprechen, indem wir sie auf solche Themen stoßen, bekommen wir auch die Sprache, von der wir glauben, dass es die Sprache von heute ist. Was für uns Soziolinguisten besonders wichtig ist, ist die Tatsache, dass wir der Schriftsprache einen Schritt voraus sind. In der Regel ist es so, dass sich die mündliche Sprache weiterentwickelt und irgendwann einmal, zum Beispiel durch Reformen, die Schriftsprache nachzieht."
    Die Probanden werden natürlich darüber informiert, dass ihre Äußerungen mit dem Mikrofon aufgenommen und später analysiert werden. Aber in der lockeren Wohnzimmeratmosphäre und durch geschickte Gesprächsführung vergessen sie schnell, dass jedes ihrer Worte soziolinguistisch geradezu seziert wird.
    Für die Interviews werden kleine unscheinbare Ansteckmikrofone benutzt. Die aufwendige Aufnahme- und Auswertungstechnik, verbirgt sich in einem angrenzenden Raum, der stets gut verschlossen ist, weil die technische Ausstattung des Sprach-Labors von sehr hohem Wert ist.
    "Das ist unser Technikraum, unser wissenschaftlicher Analyseraum."
    Kabelstränge führen von dem wohnzimmerartigen Gesprächsraum in diesen angrenzenden sehr viel kleineren und schmucklosen Raum. Hier dominiert nüchterne Technik. Steckdosenleisten, Bürostühle, Tische mit Computern und Bildschirmen.
    In diesem Raum findet die Hauptarbeit der Wissenschaftler statt.
    "Von außen gesehen, denkt man ja immer es gibt den spannenden Teil der Aufnahme und dann kommen die spannenden Ergebnisse, aber dazwischen müssen wir so viel diffizile und repetitive und geradezu Nerv tötende Arbeit machen, bei der wir tausende, zehntausende Einzelsätze auseinandernehmen, analysieren, besprechen, damit wir überhaupt diese Profile herausarbeiten können. Das sind die eigentlichen Forschungsarbeiten, die hier dann auch zu Doktorarbeiten führen, die zur Weiterqualifikation der Nachwuchswissenschaftler führen und die uns dazu befähigen, uns mit solchen größeren gesellschaftsrelevanten Fragen zu beschäftigen."
    Warum das Labor besonders in Köln seinen optimalen Standort gefunden hat, erklärt Professor Adli so..."dass wir hier ein Alleinstellungsmerkmal haben durch die Vielzahl an linguistischen Forschungslaboren. Das sind immerhin drei wichtige Labore, nämlich ein Neuro- und Psycho-Linguistisches Forschungslabor, ein phonetisches Forschungslabor und hinzugekommen ist nun ein soziolinguistisches Forschungslabor. Hier sind Wissenschaftler, die der empirischen Arbeit sehr viel Bedeutung geben. Das heißt, die die Sprache mit allen Regeln der Kunst aus der empirischen Wissenschaft untersuchen, neueste Geräte und neueste Ansätze verwenden und die auch gemeinsam Projekte konzipieren und Projekte einreichen."
    Vernetzung mit Soziolinguisten
    Doch Professor Adli denkt weiter. Er möchte auch eine noch engere Vernetzung mit Soziolinguisten anderer Hochschulen erreichen. Das neu entstandene Kölner Labor bietet dafür beste Möglichkeiten. Bei Treffen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland, kann Adli Arbeitsmethodik und Forschungsergebnisse seines Teams optimal präsentieren. Köln soll zu einem Knotenpunkt soziolinguistischer Arbeit und zu einem Ort des wissenschaftlichen Gedankenaustauschs werden.
    "Wir könnten das nicht realisieren, was wir machen, wenn es nicht den Kontakt gäbe zu den anderen Soziolinguisten und auch zu den Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen mit denen wir auch interdisziplinär zusammenarbeiten."
    Professor Adli verfügt selbst über einen vielseitigen wissenschaftlichen Hintergrund. Er ist nicht nur Sprachwissenschaftler, sondern auch Psychologe, hat an vielen Universitäten im In- und Ausland gearbeitet. Daher legt er auch großen Wert auf die Vielfalt und Vielseitigkeit seines Teams an der Kölner Universität. Wissenschaftliches Potenzial sieht er vor allem in den Nachwuchswissenschaftlern. Eine davon ist Josina Gausepohl. Sie ist Soziologin, hat aber auch eine akademische Ausbildung in angewandten Sprachwissenschaften. Die junge Doktorandin freut sich auf den regen Gedanken- und Erfahrungsaustausch in dem vielseitigen Forschungs-Team, das mit dem neuen Sociolinguistic Lab arbeitet.
    "Das, was ich bisher getan habe, ist mehr die „Sozio-Seite" von der Soziolinguistik beizusteuern und auf diesem Feld bei den Analysen zu helfen. Aber ich lerne von Professor Adli und auch von unseren Kollegen, die in der Hauptsache Sprachwissenschaftler sind, immer ganz viel Neues dazu. Von meiner Kollegin Andrea Peskova lerne ich viel über Phonologie. Und deswegen ist die Arbeit im Team total wichtig. Weil wir nur durch dieses unterschiedliche Wissen, was wir hier versammeln, auch wirklich "sauber" arbeiten können und ordentliche Analysen, die Hand und Fuß haben, anstellen können."
    Sauberes Arbeiten
    Da die Probanden im Vorfeld der Labor-Gespräche, Fragenbögen zu ihren gesellschaftlichen Gewohnheiten und ihrem gesellschaftlichen Umfeld beantworten müssen, können die Kölner Wissenschaftler bei der anschließenden Analyse besondere Sprach-Merkmale bestimmten sozialen Merkmalen zuordnen. Wenn sich aus vielen individuellen Ergebnissen, schließlich ein soziolinguistisches Muster ablesen lässt, gewinnen die Kölner Forscher daraus wichtige gesellschaftliche Schlüsse.
    "Wir Soziolinguisten denken, dass Sprache ein ganz wesentlicher Aspekt ist des sozialen Lebens, ein ganz wesentlicher Aspekt auch dafür ist, dass Menschen im Leben Erfolg haben oder Misserfolg haben. Das ist wie beim Lebensstil auf der sozialen Ebene. Auf den ersten Blick können Sie nur Stereotype sehen, aber das Wesentliche ist ein bisschen verborgen. Und das versuchen wir mit unserer Arbeit, mit unserer Analyse aufzudecken."
    Ein ganz entscheidendes und bedeutendes Resümee aus seiner langjährigen Forschungsarbeit im Bereich der Soziolinguistik bringt Professor Adli auf einen einfachen Nenner.
    "Der Lebensstil hat einen sehr großen Einfluss auf Ihren Sprachstil und das ist natürlich sehr spannend."