Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Universität Mainz
Verschwörungtheoretiker bekämpfen den Zufall

Große Katastrophen führen bei einigen Menschen zu Unsicherheit. Sie finden es erträglicher, wenn sie dahinter nicht den Zufall vermuten, sondern Absicht. Auf diese Weise entstehen oft Verschwörungstheorien. Sie haben nach Erkenntnissen der Universität Mainz aber oft nur so lange Bestand, wie sie von einer kleinen Gruppe geteilt werden.

Von Eva Götz-Laufenberg | 26.01.2017
    Beide Türme des brennenden World Trade Center in New York stürzen nach dem Terror-Anschlag am 11.9.2001 in sich zusammen.
    Eine Katastrophe, die Auslöser für die Entwicklung vieler Verschwörungstheorien war: der Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. (picture-alliance / dpa)
    "Wir sind danach bestrebt, die Welt zu verstehen, und wenn irgendetwas passiert, und womöglich noch etwas Negatives von beträchtlicher Reichweite - ein Erdbeben, ein Finanzcrash - dann sind wir bestrebt, eine Erklärung dafür zu finden, weil das uns erlaubt, in einem Modell zu bleiben, wo die Welt vorhersehbar und damit zumindest potentiell auch kontrollierbar ist."
    Verschwörungstheoretiker bekämpfen den Zufall, meint Sozial- und Rechtspsychologe Prof. Roland Imhoff von der Gutenberg- Universität Mainz. Denn gegen das Spiel des Zufalls lässt sich nichts machen. Ist eine Katastrophe aber Folge eines Fehlverhaltens, lässt sie sich vielleicht sogar noch mit der Schuldfrage verknüpfen, dann könnte man den Gang des Schicksals vielleicht doch noch ins Positive beeinflussen.
    "Ganz interessanterweise ganz Ähnliches wird diskutiert in der Psychologie in der Entstehung von Religion. Wo die Idee ist, wenn es ein Erdbeben gibt, dann einfach zu sagen, das war ein Gott oder eine Reihe von Göttern, die uns bestraft haben für Fehlverhalten, gibt uns zumindest noch die Möglichkeit oder das Schlupfloch, daran etwas daran zu ändern, indem wir Opfergaben bringen oder besonders eifrig diesen Gott anbeten oder ihm sonst wohl zu gefallen versuchen."
    Und ähnlich verhält es bei Verschwörungstheorien:
    "Wenn es eben nicht Zufall ist, dass sowas passiert, sondern die Amerikaner mit ihrer Harp-Kanone in den Ozean Radiowellen geschossen haben, die dieses Erdbeben ausgelöst haben, dann gibt es zumindest potentiell die Möglichkeit in der Zukunft, solche Wiederholungen abzuwehren, indem man die Verschwörungen offenlegt und damit das verunmöglicht, dass die weiterhin die Geschicke der Welt so lenken."
    Hat der Wind einen Willen?
    Zu einer Verschwörungstheorie gehören allerdings Agenten, die ihre eigene Autorenschaft an den Ereignissen gezielt verschleiern. Die gibt es in religiösen Konzepten nicht. Die grundsätzliche Bereitschaft, an übernatürliche Phänomene zu glauben, ist den Menschen, die zu einer Verschwörungsmentalität neigen, aber gegeben.
    "Menschen, die davon ausgehen, dass auch nicht belebte Dinge Intentionen und einen Willen haben, glauben auch eher an Verschwörungstheorien. Das ist diese Neigung, Intentionalität zu entdecken, wo vielleicht gar keine vorliegt."
    Hat der Wind einen Willen? Gehen Maschinen aus, wenn sie nicht laufen wollen? fragen Roland Imhoff und seine Mitarbeiter zum Beispiel die Versuchspersonen, die sich an der Mainzer Studie beteiligen. Die Fragebögen sind ein Mittel zur Erkennung und Eingrenzung einer Verschwörungsmentalität. Ein anderes sind Experimente, bei denen sich die Wissenschaftler selbst Verschwörungen ausdenken und ihre Probanden damit konfrontieren. Mit der Tatsache etwa, es sei ausgemachte Sache, dass von den seit Neuestem in jeder Wohnung installierten Rauchmeldern manipulative Strahlen ausgingen.
    "Wir finden, dass Personen, die tendenziell geneigt sind, an Verschwörungstheorien zu glauben, eben auch diese fiktive Verschwörungstheorie eher glauben, und zwar um so mehr, je mehr sie glauben, dass sie nur einer Minderheit bevorzugt wird. Dass, was wir in vielen anderen Bereichen finden, dass eine Mehrheit , die irgendein Thema unterstützt, eigentlich so als Hinweis genommen wird dafür, dass das schon akkurat zu sein scheint, dreht sich das eben um, da wird eine nur geringe Zustimmung gewissermaßen positives Merkmal."
    US-Präsident Donald Trump während einer Rede im CIA-Hauptquartier
    Auch der heutige US-Präsident Donald Trump ist ein Anhänger von Verschwörungstheorien. So behauptete er wahrheitswidrig vor einigen Jahren, der damalige Präsident Obama sei nicht in den USA geboren worden. (imago / Olivier Douliery)
    Das ist vielleicht die überraschendste Erkenntnis, die die Mainzer Sozialpsychologen bisher gewinnen konnten, meint Roland Imhoff.
    "Das ist die Annahme, von der viele Kollegen und wir auch ursprünglich gestartet sind, dass es unterschiedliche Typen von Verschwörungstheoretikern gibt. Es gibt Personen, die sehr sensitiv für terroristische Bedrohungen sind, es gibt Personen, die Geheimdiensten und den Regierungen nicht über den Weg trauen, die glauben, dass die Industrie sich gegen technologischen und ökologischen Fortschritt verschworen hat, es gibt Personen, die glauben, dass hinter jeden zweiten Ecke okkulte Geheimgesellschaften ihr Unwesen treiben. Was wir aber dann gefunden haben, und das taucht immer und immer wieder auf, dass die Zustimmung zu einer Verschwörungstheorie, ganz egal welcher, eine gute Vorhersage erlaubt, wie sehr ich anderen Verschwörungstheorien - und zwar jeder einzelnen - zustimme."
    Widersprüchliche Theorien? Kein Problem!
    Und da macht es auch nichts aus, wenn sich zwei Theorien diametral widersprechen:
    "Also Personen, die gesagt haben, Lady Diana ist gar nicht bei einem tragischen Autounfall gestorben, sondern wurde vom britischen Geheimdienst umgebracht, stimmen auch eher der Aussage zu, dass Lady Diana bis heute nicht tot ist, sondern mit Dodi auf einer einsamen Insel lebt, um dem Trubel zu entgehen."
    Je weniger Menschen an eine Theorie glauben, desto größer ist bei ihren Anhängern die Gewissheit, Recht zu haben und sich damit als einzigartig empfinden zu können. Denn dieses Motiv prägt Verschwörungsmentalitäten in hohem Maße: etwas Besonderes zu sein, ein Geheimwissen zu haben, während alle anderen als graue Schafe den Lügen der Presse oder der Regierungen auf den Leim gehen. Und dieses vermeintlich "gute" Gefühl brauchen vor allem diejenigen, die im Grunde genommen einen Mangel an Kontrolle über ihr eigenes Leben empfinden.
    Prinzessin Diana
    Prinzessin Diana am 07. November 1988 bei einem Empfang in Paris. Dort kam sie 1997 ums Leben. Um ihren Tod ranken sich Verschwörungstheorien. (picture alliance / AFP)
    "Da gibt es in der psychologischen Forschung experimentelle Hinweise darauf, dass Personen, die in die Situation versetzt wurden, die in hohem Grad von Unsicherheit geprägt war, oder die gebeten wurden, sich an Situationen zu erinnern, an denen sie keine Kontrolle hatten, anschließend in höherem Ausmaß Verschwörungen zustimmen. Da gibt es indirekte Hinweise darauf, dass Verschwörungstheorien häufig verbreiteter sind bei gesellschaftlich marginalisierten Gruppen oder Personen, die über lange Zeit entweder arbeitslos oder in prekären Arbeitsverhältnissen sich verdingen mussten."
    Verschwörungsmentalitäten treten an den beiden politischen Rändern der Gesellschaft öfter auf als in der Mitte, wobei der rechte Rand stärker vertreten ist.
    Manche Verschwörungstheoretiker haben Recht
    Wovor man sich allerdings hüten sollte, wäre, alle Verschwörungstheoretiker über einen Kamm zu scheren oder grundsätzlich als krankhaft darzustellen, denn immerhin gibt es auch Theorien, die sich im Nachhinein als richtig herausgestellt haben. An den von offizieller Seite verschleierten und dennoch von langer Hand geplanten Massenmord an den europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus wollten weltweit nur wenige glauben. Auch, dass amerikanische Geheimdienste sich für private elektronische Post interessieren würden, hätte bis vor einigen Jahren kaum jemand vermutet.
    Ob insgesamt die Anzahl der Verschwörungstheoretiker angestiegen ist, vermag Roland Imhoff nicht zu sagen. Dafür fehlen schlicht die Vergleichszahlen. Was aber gewachsen ist, ist die Möglichkeit, in sozialen Netzwerken auf Gleichgesinnte zu treffen und sich gegenseitig zu bestätigen, anstatt bei komplexen Problemen nach Alternativerklärungen zu suchen.
    "Und dann beginnt das, was wir konformatorische Informationssuche nennen: also eigentlich nur noch Fakten oder Faktenversatzstücke, die für meine à priori getätigte Annahme einer Verschwörung sprechen - und alle potentiellen Gegenargumente sind möglicherweise schon mit dem Makel behaftet, Teil der Verschwörung zu sein, die sind schon Teil der Verschleierung. Wenn irgendetwas meiner Annahme einer Verschwörung widerspricht, dann läuft das natürlich Gefahr, markiert zu werden als Teil des Lügenkonstrukts, das hinter dieser Verschleierungstaktik steht."
    Tröstlich ist da doch ein Forschungsergebnis, das ungarische Psychologen jüngst veröffentlichten. Sie haben untersucht, ob man Menschen mit Verschwörungsmentalität mit stichhaltigen Argumenten überzeugen kann. Bei einigen zumindest hat es funktioniert.