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Unkrautvernichter
Toxikologe fordert mehr Transparenz bei Bewertung von Glyphosat

Die Zulassung für Glyphosat ist von der EU-Kommission um 18 Monate verlängert worden - eine Zeit, in der der Streit um die langfristige Zukunft des umstrittenen Unkrautvernichters weitergehen dürfte. Im DLF begrüßte Roland Solecki vom Bundesinstitut für Risikobewertung, dass nun auch noch die Europäische Chemikalienagentur ECHA eine Gefahrenanalyse für Glyphosat erstellen soll.

Roland Solecki im Gespräch mit Ralf Krauter | 30.06.2016
    Die Verpackung eines Unkrautvernichtungsmittels, das den Wirkstoff Glyphosat enthält.
    Roland Solecki: "Wir müssen an unserer soliden, rein wissenschaftlichen Arbeit festhalten, frei von politischen Einflüssen, und nicht die Fahne nach dem Wind drehen." (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Ralf Krauter: Glyphosat, der umstrittene Unkrautvernichter, darf weiter verkauft werden. Nach langem Hin und Her hat die EU-Kommission in Brüssel gestern beschlossen, die Zulassung, die heute eigentlich ausgelaufen wäre, um weitere 18 Monate zu verlängern, um dann erneut die Fakten zu prüfen. Eine Entscheidung, die Industrie und Umweltschützer gleichermaßen enttäuscht. Die Agrokonzerne hatten gehofft, dass ihre Cash-Cow für weitere 15 Jahre zugelassen wird.
    Die Umweltschützer dagegen wollten Glyphosat ganz verbieten, weil es möglicherweise krebserregend sein könnte. Was aber halten Wissenschaftler, die sich auskennen, von dem Beschluss? Dr. Roland Solecki vom Bundesinstitut für Risikobewertung ist so einer. Im Auftrag der EU haben er und seine Leute einst jenen ersten Bericht zu Glyphosat verfasst, um den dann so heftiger Streit entbrannte. Vor der Sendung habe ich Ihn gefragt: Sind die 18 Monate auf Bewährung, die Glyphosat jetzt bekommen hat, im Licht ihrer Erkenntnisse die richtige Entscheidung?
    Roland Solecki: Ja. Im Lichte unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse hat die Kommission die richtige Entscheidung getroffen und alle problematischen und kritischen Punkte aufgegriffen. Allerdings ist in dem verkürzten Genehmigungszeitraum von 18 Monaten nicht mit relevanten neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu rechnen. Auch die Europäische Chemikalienagentur macht keine neue Studie. Die bewertet die vorliegenden Ergebnisse, und falls die ECHA zu einer anderen Bewertung kommt, wird diese ja selbstverständlich bei der weiteren Genehmigung von Glyphosat berücksichtigt. Das ist auch bei allen anderen bereits genehmigten Wirkstoffen der Fall.
    Krauter: Das heißt, Ihre Auffassung ist, dass es eigentlich nicht viel Sinn macht, jetzt noch eine weitere zusätzliche Behörde da mit ins Boot zu holen, die auch noch ihren Senf dazugeben soll?
    "Divergierende, wissenschaftlichen Befunde"
    Solecki: Nein, das BFR hat ja extra initiiert, dass die Europäische Chemikalienagentur, vergleichbar zur Internationalen Agentur für Krebsforschung, eine reine Gefahrenanalyse vornimmt, aber mit dem Unterschied, dass die dann eine Legaleinstufung festlegt auf Basis aller verfügbaren Informationen. Und dann sind wir auf der sicheren Seite. Warum nicht noch ein unabhängiges Gremium hier befragen? Das finde ich transparent und offen.
    Krauter: Trotzdem ist es ja für Laien ein bisschen verwirrend, wie viele EU-Gremien und WHO-Behörden sich da schon geäußert haben. Sie hatten ja letztlich den ersten Bericht, die erste Berichtsvorlage geliefert, die dafür plädiert, die Zulassung weitere 15 Jahre zu verlängern. Kurz darauf kam dann die Internationale Krebsforschungsagentur IARC zu dem Schluss, Glyphosat ist wahrscheinlich krebserregend für Menschen. Wie soll der Normalsterbliche, zu denen ja auch Politiker wahrscheinlich letztlich zählen, bei solch divergierenden wissenschaftlichen Befunden erkennen, wer recht hat?
    Solecki: Es gibt ein Prozedere, das heißt, ein Mitgliedsstaat macht einen Bericht, der wird kommentiert von allen anderen Mitgliedsstaaten, und es erfolgt eine öffentliche Kommentierung. Das war alles im Februar letzten Jahres abgeschlossen, und wir konnten da überhaupt nicht damit rechnen, welche Wellen das dann schlägt, als die Internationale Agentur für Krebsforschung ihre Bewertung publiziert hat.
    Das ist normalerweise nicht vorgesehen. Deshalb hat man dann auch ein anderes WHO-Gremium beauftragt, eine Risikobewertung zu machen. Und die kommen letztendlich zum gleichen Schluss wie die EFSA. Auch die Amerikaner, die Kanadier, die Australier kommen zu dem gleichen Ergebnis. Sicherlich muss hier das besser in die Allgemeinheit kommuniziert werden, und das ist ein wichtiger Auftrag für die Zukunft.
    "Wissenschaftliche Fachsprache besser verständlich für jedermann"
    Krauter: Also ist das eine der Lehren, die Sie aus dieser ja doch heftig ausgetragenen Kontroverse um Glyphosat ziehen, dass letztlich wissenschaftliche Erkenntnisse besser kommuniziert werden müssen?
    Solecki: Auf jeden Fall. Wir wollen unsere Kommunikation zur Allgemeinheit noch weiter verbessern. Wir müssen auch die wissenschaftliche Fachsprache besser verständlich für jedermann machen. Aber eine Lehre ist auch, wir müssen an unserer soliden, rein wissenschaftlichen Arbeit festhalten, frei von politischen Einflüssen, und nicht die Fahne nach dem Wind drehen. Und wir werden hier auch noch mal eine detaillierte Analyse in einem Workshop "Lessons learnt from glyphosate" durchführen, wo wir genau analysieren, wo ist Forschungsbedarf, wo ist Kommunikationsbedarf und wo müssen wir besser mit den anderen Behörden zusammenarbeiten.
    Krauter: Aus der Sicht des Wissenschaftsjournalisten war auffällig, dass es wenige Debatten in den vergangenen Jahren gab, wo man das Gefühl hatte, dass wissenschaftliche Erkenntnisse so stark auch politisch instrumentalisiert werden von verschiedenen Seiten. Hat Sie das auch überrascht, und hatten Sie überhaupt das Gefühl, mit Ihren Argumenten da noch durchzudringen in dieser Debatte letztlich?
    Solecki: Für mich persönlich war das auch relativ neu, dass die wissenschaftliche Bewertung so stark politisiert war. Das ist in den letzten 25 Jahren nicht so enorm erfolgt – vielleicht bei Bisphenol A. Wir müssen uns dieser zunehmenden Debatte stellen und werden uns sicherlich in Zukunft auch darauf vorbereiten müssen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.