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UNO-Bericht zu Kriegsverbrechen aus dem Gaza-Krieg erwartet

Heute setzt die UNO ihre Untersuchung zu Kriegsverbrechen im Gaza-Konflikt zwischen Israel und der Hamas fort. Leiter Richard Goldstone kritisiert bislang Israel deutlich. Sicherheitspolitik-Fachmann Markus Kaim erwartet unmittelbare Auswirkungen der Untersuchung auf den Friedensprozess.

16.10.2009
    Jasper Barenberg: Zu den vielen Hürden auf dem Weg zu einer Friedenslösung im Nahen Osten ist ein weiteres Hindernis hinzugekommen. Für Streit sorgt eine vom südafrikanischen Juristen Richard Goldstone geleitete Untersuchung der Vereinten Nationen. Darin werden sowohl Israel als auch der im Gaza-Streifen herrschenden radikal-islamischen Hamas Kriegsverbrechen im sogenannten Gaza-Krieg vorgeworfen. Vor allem aber steht Israel in der Kritik. Seit gestern berät auf Antrag der Palästinenser darüber auch der UN-Menschenrechtsrat, ein Vorgehen, das in Jerusalem scharf kritisiert wird. Vor der Sendung hatte mein Kollege Tobias Armbrüster Gelegenheit zu einem Gespräch mit Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik, auch darüber, was eine mögliche Resolution des Menschenrechtsrates für Israel bedeuten würde.

    Markus Kaim: Zum jetzigen Zeitpunkt bedeutet das für Israel noch nicht viel, um nicht zu sagen gar nichts. Um wirklich politisch und juristisch wirksam zu werden, müsste dieser Bericht dann an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen überwiesen werden, der dann wiederum den Internationalen Strafgerichtshof beauftragen müsste, Anklage zu erheben, also erst Ermittlungen aufzunehmen und dann Anklage zu erheben, und da sehe ich noch große Schwierigkeiten: zum einen, weil die Israelis gar nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs sind. Sie haben sein Statut nicht unterzeichnet und auch nicht ratifiziert. Dementsprechend unterliegen sie nicht dieser Rechtsprechung. Aber viel gewichtiger sind noch politische Einwände. Zum einen werden wahrscheinlich die USA einer entsprechenden Sicherheitsratsresolution nicht zustimmen und zum zweiten wird es dann natürlich auch für viele Staaten, die sich im Nahost-Friedensprozess engagieren, schwieriger, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.

    Tobias Armbrüster: Aber bestimmt gibt es dann wieder eine Menge Leute, die jetzt sagen, wenn es um Israel geht, dann wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Anderen Ländern wird mit Krieg oder sogar mit Sanktionen gedroht, wenn sie Menschenrechte verletzen, Israel dagegen muss so was nicht fürchten. Ist an dieser Kritik etwas dran?

    Kaim: Man könnte die Kritik vielleicht etwas verallgemeinern, dass das internationale Recht im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht auch immer politischen Erwägungen unterliegt. Es hat eine bestimmte Rechtsetzung stattgefunden, aber in der internationalen Politik gibt es eben ungleich dem innerstaatlichen Recht keine zentrale Rechtsdurchsetzungsinstitution. Es gibt keine internationale Polizei und auch internationale Rechtsinstitutionen sind ja erst in den vergangenen Jahren geschaffen worden, sodass es naturgemäß zur Politisierung rechtlicher Vorgänge kommt. Das heißt, diese ganzen rechtlichen Fragen werden auch immer durch eine politische Brille gelesen und auf Kosten-Nutzen-Rechnung hin durchkalkuliert.

    Armbrüster: Wenn jetzt diese Resolution verabschiedet wird und sie an den Weltsicherheitsrat geht, wie genau werden sich die USA dann verhalten?

    Kaim: Traditionsgemäß begreifen sich die USA, losgelöst von der parteipolitischen Couleur ihrer Präsidenten, als Schutzmacht Israels und dementsprechend haben sie auch in den vergangenen Jahrzehnten immer ihr Veto im Sicherheitsrat dazu benutzt, Kritik an Israel, die sie als ungerechtfertigt oder parteiisch empfunden haben, durch ihr Veto aus dem Sicherheitsrat rauszuhalten. Meine Einschätzung ist, dass das wieder passieren wird, umso mehr, weil Präsident Obama ja erneute Versuche gemacht hat, den Nahost-Friedensprozess wiederzubeleben. Und alles, was diese Bemühungen stören könnte, kann nicht in seinem Interesse liegen. Ich glaube, dementsprechend wird er erst mal auf Zeit setzen und die USA haben auch angedeutet, dass dieser Vorschlag, der im Beitrag ja auch anklang, dass man jetzt erst mal Kommissionen bei den Palästinensern und in Israel einsetzen würde, die die jeweiligen Ereignisse untersuchen, eine Linie ist, die die USA mit unterstützen würden.

    Armbrüster: Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen wird ja häufig als parteiisch hingestellt, auch weil die arabischen Länder da eine Mehrheit haben. Wie ernst können wir diese Resolution, wenn sie denn morgen kommt, eigentlich nehmen?

    Kaim: Wenn die Resolution morgen wirklich kommt, können wir ihr, glaube ich, schon Bedeutung beimessen. In den vergangenen Jahren ist der Menschenrechtsrat auch nicht zu Unrecht kritisiert worden als ein Organ, in dem zahlreiche Staaten repräsentiert waren und sind, die selber eine feste Größe in den Jahresberichten von Amnesty International sind, also dementsprechend wirklich die Menschenrechte auch mit Füßen treten. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass der Menschenrechtsrat aufgewertet worden ist. Die USA sind im Juni dieses Jahres in den Menschenrechtsrat zurückgekehrt, auch ein deutliches Zeichen der Regierung Obama, die Vereinten Nationen damit stärken zu wollen, und seitdem wird der Menschenrechtsrat wieder ernster genommen und als ein ernsthafteres Forum des internationalen Menschenrechtsschutzes betrachtet. Ich glaube, vor diesem Hintergrund dürften wir die Resolution morgen durchaus ernster nehmen als eine Resolution von vor vielleicht zwei oder drei Jahren.

    Armbrüster: Nun wird in diesem Goldstone-Bericht ja auch die Hamas deutlich kritisiert. Die kommt jetzt wahrscheinlich auch weg. Ist sie sozusagen der lachende Dritte?

    Kaim: Ich glaube, der Bericht hat das getan, was er tun konnte, nämlich beide Konfliktparteien zu kritisieren, wobei das deutlich kritischere Gewicht aufseiten der Israelis liegt. Das Interessante ist – und das steckt ja, glaube ich, in Ihrer Frage drin -, dass es insofern jetzt auch eine unmittelbare Wirkung für den Friedensprozess im Nahen Osten hat, weil die Frage dieses Goldstone-Berichts ja einen Keil zwischen die beiden rivalisierenden Palästinenser-Fraktionen getrieben hat, zwischen Hamas und der Fatah, die gerade in Kairo Gespräche führen, ihre politischen Kräfte wieder zu bündeln. Da könnte man in der Tat sagen, dass der palästinensische Präsident Abbas, der erst dafür plädiert hat, diesen Bericht jetzt nicht in den Sicherheitsrat zu geben, und jetzt in den jüngsten Tagen eine Kehrtwende vollzogen hat, wahrscheinlich einer der Verlierer dieser ganzen Debatte ist und damit umgekehrt die Hamas gestärkt aus dieser Diskussion hervorgeht.

    Barenberg: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster.