Zeitzeugin über DDR-Kommunalwahl 1989

Wie Bürgerrechtler den Wahlbetrug der SED aufdeckten

08:18 Minuten
Eine Gruppe von Menschen steht vor einer Kirche und trägt Banner, im Vordergrund eines mit der Aufschrift "Nie genug vom Wahlbetrug".
Erst in der Endphase der DDR wagten Bürgerrechtler, Wahlfälschungen in der DDR öffentlich anzuprangern. © Imago / EPD
Evelyn Zupke im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 07.05.2019
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Im Mai 1989 konnten DDR-Oppositionelle wie Evelyn Zupke der SED erstmals massive Wahlfälschungen nachweisen. Dass heute wieder Politiker Verstaatlichungen fordern, verhöhne die Menschen, die den real existierenden Sozialismus erlebt hätten, sagt sie.
99 Prozent für die SED und die anderen Blockparteien - so sah das typische Ergebnis bei Wahlen in der DDR aus. Dass das nicht stimmen konnte, war eigentlich allen klar. Aber erst bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 wagten es Bürgerrechtler aus Berlin-Weißensee, die Wahlfälschung aufzudecken und publik zu machen.
Die Stimmung in der DDR damals sei einerseits von Resignation geprägt gewesen, erinnert sich Evelyn Zupke, damals Mitglied im Friedenskreis Weißensee. "Also diese Einstellung, ach, man kann sowieso nichts machen, es wird immer so bleiben." Auf der anderen Seite habe aber auch eine gewisse Aufbruchsstimmung geherrscht, betont sie mit Blick auf die Entwicklung in der Sowjetunion, wo seit 1985 Michail Gorbatschow an der Regierung war.

Das Ergebnis wurde schon vor der Wahl festgelegt

Mit ihrer Aktion hätten sie die Menschen in der DDR wachrütteln und den Staat dazu zwingen wollen, denn Wahlbetrug zuzugeben, sagt Zupke. "Das war natürlich ein Riesenprojekt, und natürlich war alles, was wir gemacht haben, verboten und illegal." Sie hätten eigentlich selbst nicht daran geglaubt, dass es klappen könnte.
Aber es hat funktioniert: In 67 der 68 Weißenseer Wahllokale schickte der Friedenskreis Beobachter, die die Zahl derer, die zur Wahl kamen protokollierten und später mit dem offiziellen Ergebnis abglichen.
Blick in ein Wahllokal in Ost-Berlin während der Kommunalwahl am 7. Mai 1989.
Der Wahlzettel mit den Kandidaten der Einheitsliste, der Nationalen Front, wurde von den Wählern unverzüglich in die Wahlurne gesteckt. © picture-alliance / dpa / Roland Holschneider
Der eigentliche Wahlbetrug fand aber gar nicht in den Wahllokalen statt: "Wir erfuhren später über die Akten, dass schon im Frühjahr 1989 die Bezirksbürgermeister in Berlin die Wahlergebnisse bekommen hatten", sagt Zupke. "Da gab es dann so kuriose Sachen, dass zum Beispiel der Bezirksbürgermeister von Treptow ins Rote Rathaus gepilgert ist und noch verhandelt hat." Zum Beispiel darüber, dass ein 99-Prozent-Wahlergebnis nicht glaubwürdig klang: "Und dann gab man von den 99 Prozent ein paar Prozentpunkte ab. Hat gesagt, okay, 99,9 glaubt uns dieses Jahr keiner, machen wir 98."

Kühnerts "erschreckender" Vorstoß

Dass 30 Jahre später mit Kevin Kühnert ein deutscher Politiker wieder Kollektivierungen fordert, findet Evelyn Zupke vor dem Hintergrund ihrer DDR-Biografie erschreckend: "Ich finde es eine Verhöhnung weiter Teile der Gesellschaft der ehemaligen DDR, die Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus gemacht haben."
Auch, dass Kühnerts Vorschläge so viel Resonanz fänden, erschrecke sie. "Ich bin erstaunt über so viel Geschichtsvergessenheit", so Zupke. "Vielleicht sollte man Herrn Kühnert ein Ticket nach Venezuela, Nordkorea oder Kuba schenken, damit er sich ein Bild machen kann über die realen Konsequenzen seiner Fantasien. Ich kann dazu nur sagen: Vorwärts in die Vergangenheit!"
(uko)
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