Donnerstag, 28. März 2024

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Nach Brandkatastrophe in Sibirien
Tag der Trauer in Russland

Russland gedenkt heute den über 60 Toten, die bei einem Großbrand in einem sibirischen Einkaufszentrum ums Leben gekommen sind. Vielerorts wurden bereits gestern Gedenkveranstaltungen staatlich organisiert. Neben der Trauer wächst aber auch die Wut. Denn die Katastrophe hätte vermieden werden können.

Von Thielko Grieß | 28.03.2018
    27.03.2018, Russland, Kemerowo: Menschen versammeln sich vor dem Rathaus in Kemerowo und fordern die Aufklärung über die Brandursache in einem Einkaufszentrum. Die Region Kemerowo in Sibirien trägt Trauer und gedenkt der Toten des Großbrandes in einem Einkaufszentrum. Die meisten der 64 Toten sind Kinder. Foto: Sergei Gavrilenko/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
    Russland, Kemerowo: Menschen versammeln sich vor dem Rathaus in Kemerowo und fordern die Aufklärung über die Brandursache in einem Einkaufszentrum. (AP)
    Als Ursache für den Großbrand werden zurzeit für wahrscheinlich gehalten: ein Kurzschluss oder fahrlässiger Umgang mit Feuer. Eine Augenzeugin berichtet, wie sich binnen weniger Sekunden schwarzer Rauch ausgebreitet hat. Ihr gelang die Flucht, andere aber verloren im giftigen Gas das Bewusstsein.
    Viele russische Medien und Politiker sprechen seither von einer Tragödie – doch dies, ein unabwendbares, schicksalhaftes Ereignis, war es wohl nicht. Vielmehr sind vermeidbare Fehler geschehen.
    Igor Wostrikow erzählt, er habe im Feuer seine Frau, seine Schwester und drei Kinder verloren. Seine Angehörigen hätten noch angerufen, als sie nicht mehr fliehen konnten, er konnte nicht helfen. Nach ersten Untersuchungsergebnissen war das Wachpersonal der Situation nicht gewachsen, waren Fluchtwege verschlossen, darunter auch Ausgänge des Kinos, verbautes Material war nicht feuerfest und das Alarmsystem gab keinen Ton von sich. Ein Sicherheitsangestellter und vier andere Personen, darunter auch Betreiber des Einkaufszentrums, wurden festgenommen.
    Trauer und Wut
    In Kemerowo ist gestern stundenlang demonstriert worden. In die Trauer der Menschen mischt sich Wut über eklatante Missstände. Dazu hat beigetragen, wie der Staatsapparat anfangs mit der Katastrophe umgegangen ist. Das Staatsfernsehen hat am Sonntagabend, als Nachrichten aus Kemerowo die sozialen Netzwerke längst füllten, lange gar nicht und dann nur kurz berichtet. Der Gouverneur des Gebiets erschien bislang gar nicht am ausgebrannten Einkaufszentrum. Die Begründung: Wenn er mit seinem Tross hinfahre, störe er womöglich die Aufräumarbeiten.
    Inzwischen reagiert der Staat, die gelenkten Medien berichten breit, wenn auch weiter selektiv. Fragen nach den Ursachen und Konsequenzen stellen unabhängige Medien und die Menschen selbst in sozialen Netzwerken. Experten beklagen, viele Einkaufszentren in Russland seien ähnlich schlecht auf ein Feuer vorbereitet.
    Allerdings reiste Präsident Putin nach Kemerowo, legte auf einem abgesperrten Platz, auf dem er praktisch allein war, Blumen nieder. Das Staatsfernsehen zeigte ihn außerdem, wie er sich im Krankenhaus bei Verletzten nach dem Hergang des Geschehens erkundigt. Bei einem Gespräch mit Angehörigen ist das Misstrauen zu spüren, auf das er trifft. Eine Frau fragt:
    "Können Sie uns zusichern, dass es eine genaue Untersuchung geben wird – und werden wir die Wahrheit herausfinden?" – "Haben Sie keine Zweifel!", antwortet Putin. An anderer Stelle sprach er von Schlampigkeit und Fahrlässigkeit als Ursachen der Katastrophe. Der Präsident hat Trauernde stets nur im kleinen Kreis getroffen; vor den tausenden in Kemerowo versammelten Menschen hat er nicht gesprochen.
    Gestern haben in vielen Städten Russlands Trauerveranstaltungen stattgefunden. Sie wurden mancherorts staatlich organisiert: Wer zum Beispiel in Moskau kam, erhielt von Freiwilligen eine Nelke, die niedergelegt werden konnte. Unter einem offiziell bekannt gegebenen Hashtag wurde darum gebeten, Bilder von diesen Veranstaltungen in sozialen Netzwerken zu posten. Den Angehörigen hat der Staat je Verstorbenem eine Million Rubel zugesagt. Einer der Besitzer der Immobilie, der in Australien lebt, kündigte zusätzlich an, drei Millionen Rubel zu zahlen. Heute gilt in Russland landesweit ein Tag der Trauer.