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UNO-Resolution
"Der neue Friedensplan für Syrien ist kein Grund zur Freude"

Es klingt nach einem Durchbruch: Der UNO-Sicherheitsrat hat einstimmig einen Friedensplan für Syrien verabschiedet - mit Verhandlungen, Wahlen und einer neuen Verfassung. Für den außenpolitischen Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, ist das kein Grund zu feiern. Er übte im Deutschlandfunk massive Kritik am Vorgehen der internationalen Gemeinschaft.

Omid Nouripour im Gespräch mit Mario Dobovisek | 19.12.2015
    Der Obmann von Bündnis 90/die Grünen des Untersuchungsausschusses, Omid Nouripour, gibt am 26.08.2013 nach der Sitzung des Drohnen-Untersuchungsausschusses im Paul-Löbe-Haus in Berlin ein Statement.
    Der Grünen-Politiker Omid Nouripour (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, sieht den neuen Friedensplan für Syrien nicht als einen Grund zur Freude an. Es gebe bereits drei einstimmige UNO-Resolutionen, sagte er im Deutschlandfunk. Diese richteten sich unter anderem gegen den Einsatz von Fassbomben durch die syrische Armee. Und obwohl Russland der Resolution zugestimmt und großen Einfluss auf das syrische Regime habe, würden die Fassbomben weiter abgeworfen, führte Nouripour aus.
    Zudem sei es "ziemlich fatal", dass den Syrern nun den Eindruck vermittelt werde, der Westen habe seinen Widerstand gegen Machthaber Assad aufgegeben; Russland und Iran haben Assad von jeher unterstützt. Durch einen Pakt mit Assad könne Syrien nicht befriedet werden, betonte der Grünen-Politiker. Die meisten Syrer seien vor allem wegen Assad und nicht wegen der Terrororganisation ISIS geflüchtet.
    Ob es jemals zu den Wahlen kommt, ist offen
    Die in der Resolution vereinbarte demokratische Wahl für Syrien klinge zwar schön, führte Nouripour aus. Es hänge allerdings von den noch auszuhandelnden Details ab und der Umsetzung der Pläne ab, ob es tatsächlich so weit komme.
    Auch syrische Oppositionsvertreter äußerten sich skeptisch. Sie halten den Friedensplan für unrealistisch. Der führende Vertreter der in Istanbul ansässigen Nationalen Syrischen Koalition, Samir Naschar, sagte der Deutschen Presseagentur, zunächst müsse man abwarten, ob das Regime damit aufhören werde, Zivilisten mit Fassbomben anzugreifen. Ein weiterer Sprecher des syrischen Oppositionsbündnisses, Ahmed Ramadan, kritisierte ferner, dass die künftige Rolle des syrischen Machthabers Assad nicht thematisiert werde. - Die Resolution sieht vor, dass es im Januar Friedensgespräche zwischen Assad und der Opposition gibt, eine Übergangsregierung innerhalb eines halben Jahres sowie freie Wahlen und eine neue Verfassung binnen 18 Monaten.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Fassen wir noch einmal zusammen: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einigt sich erstmals auf eine Syrien-Resolution mit einem verbindlichen Friedensfahrplan, bereits im Januar soll es Friedensgespräche geben zwischen Assad und der Opposition. Die nächsten Schritte dann: Die Bildung einer Übergangsregierung innerhalb eines halben Jahres, freie Wahlen und eine neue Verfassung in 18 Monaten. Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag bei uns am Telefon – ein Grund zur Freude, Herr Nouripour?
    Omid Nouripour: Nein, sicher nicht. Es ist zwar immer wieder gut, wenn geredet wird, und es ist auch schön, wenn Russen und Amerikaner in entscheidenden Fragen auch im Nahosten zusammenkommen und auch noch gemeinsam abstimmen. Aber man darf einfach nicht vergessen, dass es in den letzten fünf Jahren bereits drei Resolutionen gegeben hat, die einstimmig waren, denen Russland auch zugestimmt hat, beispielsweise dass die Fassbomben nicht mehr fliegen sollen. Es ist am Boden nichts passiert, die Fassbomben, die Assad – nur Assad! – werfen kann und seine Armee, die sind weiterhin auf die Wohnhäuser der Menschen geflogen, und die Russen, die einen großen Einfluss haben in Damaskus, haben nichts dagegen getan. Das heißt, es ist gut, dass es jetzt mal eine Resolution gibt, auch wenn sie große Probleme mit sich bringen kann im Wortlaut, aber der Wortlaut muss erst mal umgesetzt werden. Und das glaube ich erst, wenn ich es gesehen habe.
    Dobovisek: Welche Chance hat diese Resolution denn?
    Nouripour: Na ja, die Frage des Umgangs und der Zukunft von Assad ist ja eine, die würde ich so nicht beantworten, mit einem solchen Euphemismus und so viel Euphorie, wie es der Kollege Hardt gerade in seinem Statement gemacht hat. Dass ja dort nichts steht, dass seine Zukunft nicht festgeschrieben wäre, in welcher Richtung auch immer in dieser Resolution, bedeutet überhaupt nicht, dass die Russen jetzt bereit wären, von ihm abzuweichen, im Gegenteil. Wenn man sich die Statements anschaut, Lawrow hat danach relativ deutlich gesagt, dass Assad natürlich ein Partner und Freund Russlands sei, während Kerry gesagt hat, na ja, wir streben keinen Regime Change an. In der großen Bevölkerungsmehrheit der Sunniten in Syrien kommt das an, als der Westen hat aufgegeben und hat sich mit Assad jetzt arrangiert. Das ist ziemlich fatal, wenn man bedenkt, dass für diese Leute, für die große Mehrheit der Menschen in Syrien Assad die Symbolfigur ist für die Ruinen ihrer Städte, für die Fassbomben und für den Einsatz von Chemiewaffen.
    Dobovisek: In erster Linie bedeutet es also, Assad wird weiterhin mit am Tisch sitzen, auch wenn es jetzt Verhandlungen gibt. Aber das ist ja grundsätzlich erst mal kein Fehler?
    Nouripour: Nein, nein, mit Assad reden, das passiert ja die ganze Zeit. Das war ja immer eine rhetorische Figur, ob man mit Assad reden soll. Es gab die Verhandlung in Genf bereits vor zwei Jahren, da saß natürlich sein Außenminister mit am Tisch, das ist mit Assad reden, das ist nicht das Thema. Das Thema ist: Geben wir tatsächlich der großen Mehrheit der Bevölkerung in Syrien das Gefühl, dass a) durch die Terroranschläge von ISIS und b) durch die Flüchtlinge, die kommen, wir jetzt doch beweglich werden und sagen, na ja, wir haben hier zwar die letzten Jahre uns nicht wirklich um Syrien gekümmert, aber wir waren uns in einer Frage einig, nämlich dass Assad nicht mehr weiterhin sein Volk abschlachten soll, aber jetzt sind wir doch der Meinung, dass es uns doch egal ist, weil es das Wichtigste ist, dass es Frieden gibt? Glauben Sie, ein Pakt mit Assad wird dazu führen, dass Syrien befriedet werden kann? Es ist nicht denkbar, einen Versöhnungsprozess mit einer solchen Person zu beginnen innerhalb des Landes. Heißt: Wir paktieren am besten mit Assad, wir lassen BND-Zentrale dort aufmachen und das wird nicht dazu führen, dass ein Flüchtling weniger kommt, weil die Leute wegen Assad fliehen und nicht wegen ISIS! Und deshalb ist das tatsächlich so was wie eine Panikreaktion des Westens, die wir hier gerade sehen, die aber am Ende des Tages nicht tragen wird.
    Nouripour: Zusammenarbeit mit Al Kaida in Syrien wäre gegenüber den USA nicht vermittelbar
    Dobovisek: Welche Anforderungen, welchen Anspruch stellen Sie an die Übergangsregierung, die binnen eines halben Jahres entstehen soll?
    Nouripour: Dass die tatsächlich alle relevanten Kräfte der syrischen Opposition auch berücksichtigt.
    Dobovisek: Und damit haben wir schon mal ein großes Problem, weil, die sind sich nicht alle einig.
    Nouripour: Nein, das hat der Kollege Hardt gerade auch behauptet, das stimmt einfach so nicht. Die Frage ist, wer ist Opposition? Ich kann Ihnen alle namentlich nennen, die ist beantwortet! Die Frage ist nicht, wer ist die demokratische Opposition, die war in den ersten zwei bis drei Jahren sehr zersplittert, das sind sie nicht mehr. Einige, die es tun, da sind Liberale und Kommunisten mittlerweile in einem Bündnis zusammen, sitzen Seite an Seite, mehr zusammenführen können Sie nicht! Die Frage ist nicht, wer ist Opposition, die Frage ist: Wie gehen wir mit anderen islamistischen Gruppen außer ISIS um wie zum Beispiel Jabhat al-Nusra? Das ist eine selbsterklärte Al-Kaida-Filiale, die weiterhin stark unterstützt wird aus den Golfstaaten. Das sind die Zentralfragen! Aber wer unsere Partner sind in der Opposition, ...
    Dobovisek: Und wie würden Sie diese Frage beantworten, Herr Nouripour?
    Nouripour: ... das wissen wir!
    Dobovisek: Wie würden Sie diese Frage beantworten, Herr Nouripour, wie umgehen mit den anderen Islamisten?
    Nouripour: Das hängt davon ab. Es gibt solche und solche und die Grenze ist, wie gesagt, zum Beispiel auch der Umgang mit Al Kaida. Ich glaube, dass das den Amerikanern nicht vermittelbar wäre, wenn man mit der Al Kaida dort sprechen würde und mit denen arbeiten würde, aber da gibt es wiederum andere islamistische Gruppen, die sehr, sehr schwierig sind, die aber mittlerweile eine so große Kraft sind am Boden, dass man sie ernst nehmen muss. Und dann gibt es wiederum andere, die den Wind je nach Unterstützung dorthin tatsächlich wehen lassen, wie es ihnen passt, es gibt Kommandeure, die sehr stark sind auch in der Nähe sehr, sehr ... auch ganze Stadtteile von Damaskus mittlerweile beherrschen, die sind mal auf der Seite der Islamisten und lassen sich einen Bart wachsen, dann wieder nicht mehr, weil sie von anderer Stelle Geld bekommen. Das sind keine charakterstarken Freunde, die man haben kann, aber das sind Leute, die man auch mit berücksichtigen muss.
    Dobovisek: Schauen wir uns einen anderen wichtigen Punkt an, freie Wahlen und eine neue Verfassung. Klingt gut, allerdings müssen wir uns auch anschauen, wer am Ende überhaupt in Syrien wählen wird! Die meisten Regimegegner sind geflohen, leben längst im Exil, teilen damit das Flüchtlingsschicksal der Hälfte aller Syrer. Wer bleibt da noch übrig, um frei zu wählen?
    Nouripour: Oder sie sind tot. Deshalb ist das mit der Wahl eine schön klingende Sache, wobei man wirklich auch alle Details und Parameter schauen muss. Ist auch die Frage, wenn es zum Beispiel ein Referendum gäbe, was ist denn eigentlich die Fragestellung? Ist die Fragestellung, soll Assad bleiben? Dann ist es relativ klar, was die Antwort ist. Oder wird erst mal tatsächlich die Frage gestellt, ob wir erst mal Frieden machen in dem Land? Also, es ist wirklich das Übliche, das wird sehr, sehr stark davon abhängen, wie die Details dort verhandelt werden. Leider Gottes ist es so, dass nach der Konstellation, die wir jetzt erlebt haben gestern in New York, es nicht so aussieht, als wären die starken Akteure bei solchen Verhandlungen dann erstens die demokratische Opposition, zweitens der Westen, sondern das sieht aus, dass der längere Hebel tatsächlich bei Assad und bei Moskau liegt.
    "Die Lösung in Syrien ist sicher ein großer Teil der Lösung des Problems ISIS"
    Dobovisek: Deutschland unterstützt den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat in Syrien unter anderem mit Aufklärungsflügen und Luftbetankungen von Kampfflugzeugen anderer Nationen, denn selber kämpfen, das darf die Bundeswehr nicht. Sollte Deutschland aktiver werden?
    Nouripour: Was ich erst mal nicht zusammenkriege, ist, was gestern passiert ist und der Einsatz gegen ISIS. Also, wenn der Kollege Riexinger jetzt sagt, na ja, seht ihr, jetzt ist Friede eingekehrt, jetzt soll man aufhören, das verkennt völlig, dass der eine Einsatz gegen ISIS ist und das andere ist die Auseinandersetzung mit Assad. Richtig ist, dass man ISIS auch militärisch bekämpfen muss, allein deswegen schon, damit sie nicht weiteres Territorium erobern, aber richtig ist auch, dass der gesamte Konflikt in Syrien nur politisch gelöst werden kann. Und richtig ist auch, dass dieser Versöhnungsprozess, der eben noch mal hoffentlich eines Tages und hoffentlich so schnell wie möglich kommen kann, mit der Person Assad nicht gehen wird.
    Dobovisek: Aber bedingt ein Sieg über ISIS, Herr Nouripour, bedingt ein Sieg über ISIS nicht unbedingt auch eine Lösung des politischen Problems, des Problems Assad?
    Nouripour: Die Lösung in Syrien ist sicher ein großer Teil der Lösung des Problems ISIS. Aber das ist deutlich vielschichtiger. Im Kern ist ISIS beispielsweise eine irakische Organisation, die haben ihren Kern, ihre reelle Hauptstadt nicht in Rakka, wie sie selbst ankündigen, sondern in Mossul. Das ist die zweitgrößte Stadt des Iraks. Das heißt, wenn man sich ernsthaft mit dem Thema ISIS beschäftigen will, dann muss das gelten, was Obama schon vor einem Jahr gesagt hat, aber daraus ist nichts erfolgt, nämlich "Iraq first", also dass man sich erst um den Irak kümmern muss.
    Dobovisek: Wie würden Sie das Minimalziel formulieren, um den Bundeswehreinsatz in Syrien zu beenden?
    Nouripour: Das Minimalziel für den Bundeswehreinsatz kann ich ... Ich kann das leider nicht formulieren, weil, noch mal: Wenn man ISIS bekämpfen will, dann ist dieser Einsatz, wie er gestrickt ist, so nicht richtig. Ich bin der Meinung, dass der Einsatz trotzdem nicht per se falsch ist, weil am Ende des Tages es auch um europäische Solidarität mit den Franzosen geht. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es da ein festes, strategisches Ziel gibt, und dass es zuerst darum geht, dass man tatsächlich eine politische Entwicklung hat dahin, dass man nicht die falschen Partnerschaften eingeht. Und der Schritt gestern Abend und die Art und Weise, wie Kerry sich darüber auch ausgelassen hat, ist tatsächlich ein Indiz dafür, dass wir doch jetzt mittendrin sind, uns mit Assad zu fraternisieren. Und das ist fatal!
    Dobovisek: Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Ich danke Ihnen für das Interview!
    Nouripour: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.