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Prozessbeginn in Duisburg
Angehörige hoffen auf Urteil

Mehr als sieben Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg mit 21 Toten beginnt vor dem Landgericht Duisburg der Strafprozess. Es ist nicht nur organisatorisch, sondern auch juristisch ein besonderer Prozess. Rund zweieinhalb Jahre Zeit bleiben, um zu einem Abschluss zu kommen – sonst droht die Verjährung.

Von Moritz Küpper | 08.12.2017
    Landgericht Duisburg - Außenstelle Düsseldorf im Congrss Center Düsseldorf ( CCD - Ost ) der Messe Düsseldorf
    Aufgrund des großen Interesses, findet der Prozess in der Düsseldorf Messe statt und nicht in Duisburg. (imago/Revierfoto)
    Gabi Müller hat dafür gekämpft, einst sogar Unterschriften gesammelt, damit es eine juristische Aufarbeitung gibt. Doch die Friseurin aus Hamm, die bei der Loveparade-Katastrophe ihren damals 25-jährigen Sohn Christian verlor, hat nun auch Respekt vor diesem Tag.
    "Auf der einen Seite, wir haben uns das ja gewünscht, wir haben ja auch dafür gekämpft, dass dieser Prozess beginnt, weil es muss jetzt ja Verantwortliche geben für das Unglück. Aber man hat auch Angst, weil: Wo geht die Reise hin?"
    Müllers Weg führt heute in die Düsseldorfer Messehallen: Siebeneinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe am 24. Juli 2010, beginnt hier der Strafprozess. Fahrlässige Tötung von 21 Menschen und fahrlässige Körperverletzung von Hunderten wird den insgesamt zehn Beklagten, sechs Mitarbeitern der Stadt Duisburg sowie vier des Veranstalters Lopavent, vorgeworfen. Aufgrund des großen Interesses, findet der Prozess in der Düsseldorf Messe statt und nicht in Duisburg. Nun gibt es mehr als 300 Plätze für Journalisten und Zuschauer, hinzukommen rund 60 Nebenkläger und etwa ebenso viele Anwälte, die auf den insgesamt 750 angemieteten Quadratmetern Platz finden werden. Drei Leinwände werden aufgestellt, erläutert Markus Demuth von der Düsseldorfer Messe:
    "Der Richtertisch ist allerdings, in Zusammenarbeit mit der Kammer, entwickelt worden, und zwar im Hinblick darauf, dass eine Steuerung der Tonanlage, der Videoanlage, möglichst optimal und intuitiv durch den Richter erfolgen kann."
    Ist das Verfahren mit dem Strafverfahrensrecht verhandelbar?
    Doch ungeachtet dieser außergewöhnlichen organisatorischen Vorbereitungen, handelt es sich bei dem Loveparade-Strafverfahren natürlich auch juristisch um einen besonderen Prozess:
    "Allein der Aktenumfang ist immens. Wir sind jetzt in der Hauptakte, mit dem 113. Band, auf Seite zweiundfünfzigtausend-und … Darüber hinaus gibt es nahezu 900 Ordner an Anlagen jetzt, diverse Festplatten mit 1.000 Stunden Videomaterial. Es sind mehrere tausend Zeugen vernommen worden."
    Erklärt Matthias Breidenstein, Sprecher des Landgerichts Duisburg. Die Kernfrage des Prozesses lautet: Inwieweit lässt sich den Angeklagten nachweisen, dass ihr Handeln ursächlich für die Katastrophe war?
    "Also, wir haben auf der tatsächlichen Ebene das Problem, dass wir hier ein unglaublich komplexes Großereignis mit sehr vielen Beteiligten haben und es extrem kompliziert werden wird, für jeden einzelnen der Beteiligten ein, ja, erforderliches Fehlverhalten überhaupt festzustellen und dann zu schauen, inwieweit dieses Fehlverhalten kausal ist, für das eigentliche Unglück."
    Sagt Professor Dr. Björn Gercke aus Köln. Er ist Strafverteidiger eines der Beklagten. Seine Prognose:
    "Ich glaube, dass das Verfahren mit unserem Strafverfahrensrecht nicht verhandelbar ist. Ich glaube, dass der Umfang und die Komplexität so außergewöhnlich ist, dass man, auch mit Blick auf die Verjährung, die ja dann 2020 droht, in diesem Zeitraum, aber auch wahrscheinlich darüber hinaus, letztlich nicht aufklärbar sein wird."
    Gabi Müller denkt häufig an ihren Sohn
    Das sah das Landgericht Duisburg einst ähnlich, lehnte die Eröffnung des Strafprozesses ab. Doch das Oberlandesgericht Düsseldorf kassierte diese Entscheidung im April dieses Jahres – und ordnete die Eröffnung an:
    "Nach Auffassung des Senates, sind die den Angeklagten vorgeworfenen Taten mit den in der Anklage aufgeführten Beweismitteln mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Dass die den Angeklagten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen ursächlich für die Todes- und Verletzungsfolgen waren, dränge sich nach dem Ermittlungsergebnis auf."
    Gab Anne-José Paulsen, Präsidentin des OLG, damals bekannt. Rund zweieinhalb Jahre Zeit verbleiben also nun, den Prozess zu einem Abschluss zu führen – sonst droht im Juli 2020 die Verjährung:
    "Es ist natürlich richtig, dass es eine Vielzahl von Verfahrensbeteiligten gibt, die auch Einfluss auf die Hauptverhandlungen nehmen können, zum Beispiel, indem sie ihr Fragerecht oder ihr Beweisantragsrecht wahrnehmen, aber da sind wir auch zuversichtlich, dass die Strafkammer damit dann entsprechend umgehen wird."
    So Anna Christiana Weiler, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Duisburg. 111 Tage sind nun bis Ende 2018 terminiert. Gabi Müller wird wohl an allen Tagen im Gericht sein. Für sie und die weiteren Angehörigen und Betroffenen der Katastrophe finanziert das Land NRW eine seelsorgerische Betreuung. Am wichtigsten für Müller wäre aber ein Urteil. Sie denkt häufig an ihren Christian, der nun 32 Jahre alt wäre.
    "Ich frage mich natürlich schon. Wo würde es jetzt beruflich stehen, hat er sich sehr verändert? Ja, weil: Man lebt nur noch von der Erinnerungen."