Archiv

Unruhen
Weitere Tote bei Protesten im Iran

Es sind die größten Demonstrationen gegen die iranische Regierung seit 2009: In mehreren Städten protestieren die Menschen gegen die wirtschaftliche Lage, die zu hohen Preise und den herrschenden Klerus. Die Zahl der Toten und auch die der Festnahmen steigt täglich.

Von Karin Senz | 02.01.2018
    An Iranian woman raises her fist amid the smoke of tear gas at the University of Tehran during a protest driven by anger over economic problems, in the capital Tehran on December 30, 2017. Students protested in a third day of demonstrations sparked by anger over Iran's economic problems, videos on social media showed, but were outnumbered by counter-demonstrators. / AFP PHOTO / STR
    Dieses Foto ist zu einem Symbol der Proteste im Iran geworden (AFP)
    Immer wieder taucht im Internet das Bild einer iranischen Frau auf. Sie trägt Hosen, die Faust streckt sie kämpferisch in den Himmel. Ihr Kopftuch ist nach hinten gerutscht, ein Stück hält sie sich vor die Nase, denn um sie herum ist weißer Qualm – Tränengas – heißt es in der Bildunterschrift. Das Foto ist zu einem Symbol der Proteste geworden – auch wenn sich nicht wirklich überprüfen läßt, wann und wo und unter welchen Umständen es entstanden ist.
    Die Proteste an sich lassen sich nicht mehr leugnen. Selbst staatliche Medien berichten inzwischen darüber – wenn auch in ihrer eignen Version.
    Rohani äußerte sich im Staatsfernsehen
    Das Ausland hat die Demonstranten aufgehetzt, sagt der Nachrichtensprecher im staatlichen Fernsehen. Außerdem sollen Demonstranten versucht haben eine Polizeistation zu überfallen, um an Waffen zu kommen. Sechs von ihnen seien erschossen worden. Zuvor hatte es noch geheißen, es sei kein Demonstrant durch die Polizei oder Sicherheitskräfte getötet worden. Angeblich soll ein Bewaffneter ein Mitglied der Revolutionsgarden mit einem Jagdgewehr erschossen haben. Allerdings sagen die Revolutionsgarden selbst, sie seien gar nicht involviert. Die Proteste seien zu klein.
    Das Staatsfernsehen zeigt auch immer wieder Demonstrationen für das Regime. In der Provinz Kaswin sind beispielsweise Frauen auf die Straße gegangen – ganz in schwarz, komplett verschleiert.
    Der iranische Präsident Hassan Ruhani
    Der iranische Präsident Hassan Ruhani (AFP / Iranian Presidency)
    Auch Präsident Hassan Rohani wird im Staatsfernsehen gezeigt. Gestern Abend hat er sich wieder zu den landesweiten Protesten gegen das Regime und auch gegen ihn geäußert.
    "Was da in den letzten Tagen passiert ist, sieht oberflächlich betrachtet nach einer Bedrohung aus. Aber wir müssen darin eine Chance sehen. Wir müssen erkennen, was das Problem ist. Nicht alle, die da auf die Straße gegangen sind, sind vom Ausland gesteuert. Da mag es eine Handvoll geben, bei denen das zutrifft. Aber einige demonstrieren wegen ihrer Probleme. Und die sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, sie wollen nicht nur Geld, Wasser und Brot. Sie haben nicht nur wirtschaftliche Forderungen, sondern auch andere. Sie wollen beispielsweise auch freier Leben."
    Rohani sagte das zu Mitgliedern des Parlaments, als wollte er ihnen die Situation auf den Straßen erklären. Immer abends kommen die Demonstranten zusammen – im Schutz der Dunkelheit. Denn die Proteste werden gefilmt. In wie weit sie über das Internet organisiert sind, lässt sich schwer sagen. Denn die Kanäle sind eingeschränkt. Es scheint auch ohne Verabredung zu funktionieren – vor allem in kleinen Städten.
    Die geistliche Führung schweigt bis jetzt
    Rohanis Worte richteten sich indirekt auch an die geistliche Führung des Iran. Die schweigt bis jetzt. Man hört aber, dass die Proteste für Verunsicherung sorgen. Sie kommen diesmal, im Gegensatz zu der Grünen Bewegung 2009, auch aus ärmeren Bevölkerungsschichten, stehen auf einer breiten Basis. Die Teilnehmer sind oft jung, arbeitslos, enttäuscht auch von Rohanis Reformversprechen, sie sind ohne Perspektive und ohne Angst vor Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Friedliche Demonstrationen im Rahmen der Gesetze, wie Rohani sie dulden will, reichen ihnen nicht mehr aus. Sie hätten nichts gebracht, heißt es.