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Unser Lächeln ist das von Piraten

Die Musik der kalifornischen Rockband Van Halen gehörte in den 80er-Jahren zur amerikanischen Freizeitkultur. 1985 stieg Sänger David Lee Roth aus. 2007 haben sie sich wieder zusammengerauft und nun das Album "A Different Kind Of Truth" herausgebracht.

Von Marcel Anders | 04.02.2012
    "A Different Kind Of Truth" heißt das Album, mit dem es Van Halen noch einmal wissen wollen. Und zwar in Originalbesetzung. Sprich: Wieder mit Sänger David Lee Roth, der die Band 1985 verlassen hatte, um eine Solokarriere zu starten. Aber anschließend genauso viele Tiefen erlebte wie seine einstigen Bandkollegen. Umso überraschender jetzt das Comeback, bei dem - so hat uns der Sänger verraten - alles besser werden soll. Allein schon, weil die interne Chemie eine ganz andere sei - und weil Kritiker wie Fans ihn inzwischen endlich richtig zu schätzen wissen.


    "Heutzutage werde ich für meine Unzulänglichkeit verehrt. Ich bin wie deine Lieblingsjeans, die halt nicht perfekt ist. Und meine Stimme klingt wie vier platte Reifen auf einer matschigen Straße. Also wie jeder Zentimeter, den ich spirituell zurückgelegt habe. Was man nicht kaufen kann, sondern das muss man leben - in Echtzeit. Alle Menschen, die ich auf dieser Reise getroffen habe, sind Teil meiner Stimme und meiner Texte. Was auch für das gilt, was die Van Halens spielen. Und was bedeutet, dass da viel mehr Tiefe herrscht - und dass unser Lächeln das von Piraten ist. Insofern würde ich sagen: Wir haben unserer Sterblichkeit ins Auge geschaut - und sind mit einem Album zurückgekehrt."

    Das klingt dramatisch - trifft den Nagel aber auf den Kopf: 27 Jahre nach ihrem letzten gemeinsamen Werk präsentieren sich Van Halen als eine Band, die an Erfahrung, Reife und handwerklichem Können kaum zu überbieten ist. Mit "A Different Kind Of Truth" eines ihrer besten Alben vorlegt. Darauf einen eigenständige Sound zwischen Hard Rock, Blues, Punk und Surf präsentiert. Und auch wieder den Hunger, den Biss und Charme der Anfangstage erkennen lässt.

    "Im Theater gibt es den Begriff "off book". Was bedeutet, dass du das Skript nicht mehr brauchst - weil du es soweit verinnerlicht hast, dass es zu einem Teil von dir geworden ist. Genauso haben wir es mit den Songs des Albums gemacht. Ich war exakt 42 Mal in Eddies Studio, um mit ihnen zu proben, damit wir die neuen Sachen "off book" hinkriegen. Also so, dass alles sitzt, und wir wie eine neue Band klingen, die in einem winzigen Club spielt, um ein Publikum für sich zu erobern. Sprich: Wir haben mehrere Hundert Stunden trainiert, bis es Shakespeare ist - a whole lotta Shakespeare."

    Dass es in den Texten vor allem um Autos, Frauen, Partys und geballte Lebensfreude geht, tut dieser Theorie keinen Abbruch. Im Gegenteil: Laut Roth sei er noch nie ein so versierter, sozialkritischer und bissiger Komponist gewesen wie heute - da er sich mit viel Ironie über die Scheckheftreligion Kabbala amüsiert, mit korrupten Politikern abrechnet, den Quell der ewigen Jugend sucht oder die globale Modeerscheinung des Tätowierens unter die Lupe nimmt.

    "Es ist eine Tatsache, dass 75 Prozent aller Leute, die sich in den USA tätowieren lassen, Frauen sind. Wie Sally, die im Supermarkt arbeitet. Indem sie sich ein simples Tattoo machen lässt, verwandelt sie sich von der grauen Maus zum heißen Feger - zumindest in ihren Augen. Was reine Psychologie ist: Zum ersten Mal zeigt sie ihr wahres Gesicht. Sie versteckt sich nicht mehr. Und solche Sachen verarbeiten wir. Wobei es natürlich auch Momente gibt, in denen du nicht so sehr darauf achtest, was da gesungen wird. Und auch bei uns ist es leicht, das zu ignorieren. Denn die Musik lässt sich ja zu vielen verschiedenen Zwecken einsetzen. Wie zum Entfernen eines Bikinis oder zur Verbesserung deines sozialen Ansehens. Leute sind dazu in den Krieg gezogen, sie haben ihre Toten zu unserer Musik begraben, was auch immer."

    Und Roth weiß, wer sein Publikum ist. Eben der Durchschnittsamerikaner, der in der Landwirtschaft, im Handwerk oder in der Fabrik arbeitet, und Musik als Fluchtpunkt und Ventil erachtet. Da ist der blonde Barde der perfekte Dienstleister, der von Statussymbolen, Models und dem süßen Rockstarleben singt, in eine Art Traumwelt entführt und - das macht ihn so überzeugend - auch selbst lebt, was er singt. Schließlich ist der 56jährige nach wie vor Single, rühmt sich in seiner Biografie "Crazy From The Heat", die schönsten Ladies gebettet und die wildesten Orgien gefeiert zu haben, und steht für ein weltberühmtes Zitat: "Die perfekte Frau hat einen IQ von 150, macht Liebe bis 4 Uhr morgens und verwandelt sich in eine Pizza." Was dem 56jährigen dann doch peinlich ist. Zumindest ein bisschen ...

    "Als ich noch ein Kind war, habe ich auch wie ein solches gedacht! Heute würde ich sagen, ihr IQ müsste bei 162 liegen. Und statt Pizza bevorzuge ich Thai Food. (lacht) Ich bin ein bisschen anspruchsvoller."

    "Ein Bewusstsein, das scheinbar für alle Bereiche seines Lebens gilt. Statt mit Wein, Weib und Gesang, vergnügt er sich heute mit Kampfsport und als Hundetrainer. Versteht sich als traditioneller Showman im edlen Zweireiher. Und Van Halen als "All American Band". Eine Formation, die Unterhaltung für jedermann bietet, vier Monate lang durch die größten Hallen der USA tourt, mit Kool & The Gang eine ungewöhnliche Vorgruppe aufweist, und auf eine perfekte Performance setzt. Ohne wilde Exzesse, ohne Spandex-Klamotten, ohne absurde Catering-Wünsche und ohne den berühmten Sprung vom Schlagzeigpodest, der früher Roths Markenzeichen war."

    "Das ist dieser halbwüchsige Blödsinn, an dem sich viele Rockbands festzuhalten scheinen. Was etwas Lustiges, aber auch Trauriges hat. Wie Witze, die vor 20 Jahren lustig waren - aber es nicht mehr sind. Genau wie bestimmte Tanzbewegungen, die heute allenfalls als lächerlich durchgehen. Oder Frisuren, bei denen du denkst: "Was zum Teufel habe ich mir da gedacht?" All diese Sachen sind für uns, die aktuell und zeitgemäß sein wollen, absolut gefährlich. Denn sie stehen für die Vergangenheit, für Nostalgie. Und es ist wichtig, sich davon zu lösen."

    Längst vergangen, so betont er, seien auch die handfesten Auseinandersetzungen mit den Van-Halen-Brüdern, Eddie und Alex. Eben um die künstlerische Ausrichtung des gemeinsamen Unternehmens, den kommerziellen Anspruch der Songs und interne Rollen. Roth ist wieder Sprachrohr, Texter und Hauptverantwortlicher für Videos und Bühnendesign. Und verzichtet zugleich auf die Dienste des in Ungnade gefallenen Bassisten Michael Anthony. Dessen Ersatz ist der 20jährige Wolfgang Van Halen, der auf dem Album zwar eine gute Figur macht - angeblich aber keinerlei Mitsprache und Einfluss hat. Womit künftige Spannungen vorprogrammiert sind und die Halbwertszeit des gesamten Comebacks in Frage steht. Doch Roth winkt ab:

    "Ich mag das Unbeständige. Ich mag Spannung. Immer, wenn etwas zu angenehm und zu bequem wird, ist es nicht mehr wirklich aufregend. Sondern es wird zu etwas, das sich mit vorgekochtem Essen vergleichen lässt - mit comfort food. Ich dagegen mag Konfrontation mit einem möglichst großen Knall. Denn es ist einfach nicht gesund, wenn du sagst: "Das ist für immer." Dann hast du es mit einer ganz anderen Qualität zu tun, als wenn du sagst: "Ihr werdet alle in den nächsten drei Jahren sterben." Und was diesen Blödsinn von wegen "wir sind eine große, glückliche Familie" betrifft - das passt nicht zu Van Halen."