Donnerstag, 18. April 2024

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"Unsere Sicherheitsarchitektur ist nicht wirklich gut aufgestellt"

Die Kooperation zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland funktioniere nicht wirklich, sagt Hartfrid Wolff (FDP), Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Dies müsse sich ändern. Zugleich müssten aber auch die Freiheitsrechte der Bürger gestärkt werden.

Hartfrid Wolff im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.08.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Liste an Sicherheitsgesetzen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Deutschland erlassen wurden, ist schier endlos. Die Befugnisse des Bundeskriminalamts wurden massiv ausgeweitet, die Behörde darf die Telekommunikation überwachen, Computer online durchsuchen, Wohnungen abhören und Rasterfahndungen in Gang setzen. In Berlin wurde ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum eingerichtet, in dem 40 Behörden Tür an Tür zusammenarbeiten, eine gemeinsame Antiterrordatei wurde erstellt. Alles Maßnahmen, die aus Sicht von Kritikern den Rechtsstaat einschränken und die Sicherheit über alles stellen. Dieser Ansicht ist auch ein Teil der Regierungskommission, die die Aufgabe hatte, den Sinn der Sicherheitsgesetze zu überprüfen. Heute legt die Kommission ihren Abschlussbericht vor, dazu Korrespondentenbericht DLF 28.08.2013 (MP3-Audio)der Bericht von Falk Steiner.

    Und telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Hartfrid Wolff von der FDP. Er sitzt im Innenausschuss des Deutschen Bundestags - guten Morgen, Herr Wolff!

    Hartfrid Wolff: Ja, guten Morgen!

    Heckmann: Herr Wolff, Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die ja ebenfalls der FDP angehört, hat gesagt, wir bräuchten eine grundlegende Renovierung der Sicherheitsarchitektur, also nach dem Motto: mehr Rechtsstaat, weniger Sicherheit. Sind die Eindrücke des 11. September schon so verblasst?

    Wolff: Also die Eindrücke sind sicherlich nicht verblasst, weil es immer noch darum geht, sicherzustellen, dass wir die bestmögliche Sicherheit auch für die Bevölkerung schaffen können. Nur die Frage ist natürlich, auf welchem Weg. Und da haben wir eine ganze Reihe von Erfahrungen gemacht, nicht nur im Zusammenhang mit dem 11. September, sondern beispielsweise jetzt auch im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie. Und da muss man einfach konstatieren, dass unsere Sicherheitsarchitektur nicht wirklich gut aufgestellt ist, dass die Kooperation zwischen Diensten, aber auch zwischen Polizeien, in den Ländern jedenfalls, nicht wirklich funktioniert, und dass wir auch eine ganze Reihe von rechtsstaatlichen Schwierigkeiten noch haben. Bei der NSU-Mordserie war es damals die Aktenschredderei, die für ziemliche Überraschung gesorgt hat, um es mal neutral auszudrücken. Und wir müssen zusehen, dass wir hier einerseits die Bürgerrechte wahren, das heißt auch, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger klar beachten, und andererseits aber sicherstellen, dass durch eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auch der Schutz der Bevölkerung gewährleistet ist.

    Heckmann: Herr Wolff, wenn man sich die Stellungnahmen der Kritiker anhört, dann könnte man meinen, wir lebten nicht mehr in einem Rechtsstaat hier in Deutschland, und das, obwohl die angebliche Bürgerrechtspartei FDP an der Regierung ist.

    Wolff: Na ja, also wir haben als FDP in der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen, die die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger wieder stärkt. So hat damals Grün-Rot, und deswegen wunderte es mich auch nicht, dass Michael Hartmann oder auch Herr von Lotz jetzt gerade von den Grünen und von der SPD dieses so kritisiert haben. Wir haben Regelungen, die die rot-grüne Bundesregierung nach Nine Eleven schnell geändert haben, wieder rechtsstaatlich runtergeholt, das heißt, die Antiterrorgesetze von Otto Schily beispielsweise wieder zu vernünftigen rechtsstaatlichen Regelungen gemacht, mit Kontrollinstrumenten. Wir haben in dieser Legislaturperiode die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger deutlich gestärkt.

    Heckmann: Dann ist ja alles in Ordnung.

    Wolff: Na, das Entscheidende daran ist: Wie kriegen wir es vernünftig hin, dass hier wieder die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit tun können, und gleichzeitig die Freiheitsrechte besser gestärkt werden können. Und dazu brauchen wir tatsächlich noch eine ganze Reihe von Änderungen. Dazu gehört beispielsweise, dass die Kontrolle der Nachrichtendienste deutlich besser wird. Und hier liegen auch Vorschläge der FDP seit Februar dieses Jahres auf dem Tisch. Es ist einfach bedauerlich, dass wir in der Regel an den Sozialdemokraten und teilweise auch an den Grünen gescheitert sind, wenn es darum geht, die Kontrollinstrumente des Parlaments zu stärken.

    Heckmann: Ja. Scheitern tun Sie vor allem auch an Ihrem Koalitionspartner, der da ja offenbar keinen akuten Handlungsbedarf sieht. Sie hatten vier Jahre Zeit, diese Änderungen durchzuführen.

    Wolff: Ja gut, wir haben jetzt im Zuge der NSU-Mordserie haben wir mitbekommen, dass hier erhebliche Defizite sind. Und ich sage Ihnen ganz offen zu Ihrer Überraschung, wir haben mit einigen Kollegen von der CDU/CSU sehr konstruktiv zusammengearbeitet, wenn es darum ging, Kontrollinstrumente zu stärken. Leider ist es da an der Stelle in der Regel an den Sozialdemokraten gescheitert. Es ging darum, zum Beispiel für die Nachrichtendienste eine bessere Kontrolle des Parlamentes einzurichten mit einem Sonderermittler, einem ständigen Sonderermittler mit der Möglichkeit, beispielsweise auch auf die Mitarbeiter der Dienste zugehen zu können, ohne ihren Chef direkt zu fragen, mit der Protokollpflicht in den Parlamentsausschüssen und auch mit der Möglichkeit, stärker Mitarbeiter einsetzen zu können, wenn es darum geht, stichprobenartig bei den Diensten anzusetzen.

    Heckmann: Ich möchte mal einen anderen Punkt herausheben, Herr Wolff. Die Mitglieder der Kommission, die fordern ja, dass dieses gemeinsame Terrorabwehrzentrum auf schwerste Terrorgefahren beschränkt bleiben soll. Wir hatten eigentlich immer gedacht, dass dieses Terrorabwehrzentrum genau dafür da ist und nur dafür.

    Wolff: Das überrascht allerdings auch, denn aus meiner Sicht ist genau das einer der entscheidenden Punkte, dass wir zusehen müssen, zu überprüfen, wo, an welchen Stellen hapert es noch. Und hier hat offensichtlich der Webfehler der rot-grünen Bundesregierung dazu beigetragen, dass sich hier das gemeinsame Terrorabwehrzentrum etwas weiter ausgelegt hat, als es gesetzlich vorgesehen war. Und insofern ist es richtig, dass diese Kommission, die jetzt Frau Leutheusser-Schnarrenberger eingesetzt hat, hier den Finger in die Wunde gelegt hat, dass wir hier jetzt ganz klar gesetzliche Grundlagen brauchen, damit hier auch eine vernünftige Koordination auf der einen Seite stattfinden kann, aber auf der anderen Seite auch sichergestellt ist, dass Grundrechte nicht zu weitgehend eingeschränkt werden.

    Heckmann: Das Bundeskriminalamt, Herr Wolff, hat ja quasi geheimdienstliche Befugnisse auch zugesprochen bekommen, wird aber überhaupt nicht kontrolliert, so wie die Geheimdienste, die anderen Geheimdienste in Deutschland. Wie kann das denn eigentlich sein, dass so etwas so ausgestaltet wird?

    Wolff: Also aus meiner Sicht war es schon sehr weitgehend und viel zu weitgehend, was damals durch die BKA-Gesetz-Novelle der Polizei zugegeben worden ist. Ich halte sehr viel davon, dass die Tätigkeit der Nachrichtendienste ganz klar getrennt ist von den Tätigkeiten der Polizei. Und deswegen müssen wir zusehen, dass die polizeiliche Tätigkeit viel stärker wieder auf ihre eigentliche Kerntätigkeit zurückgeführt wird und aus dem Vorfeld deutlich stärker verschwindet. Das ist Tätigkeit der Nachrichtendienste. Gleichwohl ist es natürlich so, dass auch das Bundeskriminalamt nicht kontrolllos sein sollte. Und insofern habe ich sehr viel dafür übrig, dass das Parlament hier stärkere Kontrollmöglichkeiten bekommt. Ob es jetzt das parlamentarische Kontrollgremium ist oder beispielsweise der geheim tagende Innenausschuss, der dieses ebenfalls tun kann, der gerade auch für die Polizeien zuständig ist, das muss man dann sehen. Aber dass das Bundeskriminalamt eine vernünftige Kontrolle bekommt und auch die Sicherheitsbehörden enger an die Leine genommen werden, das halte ich für durchaus richtig und wichtig.

    Heckmann: Hört sich alles gut und schön an, Herr Wolff. Es ist aber so, dass der Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU ja offenbar keinen akuten Handlungsbedarf sieht, ich habe es gerade eben schon erwähnt. Das heißt, mit Ihrer Wunschkoalition, mit der Union, kommen Sie da nicht weiter. Da müssten Sie schon mit SPD und Grünen koalieren.

    Wolff: Also zunächst einmal, SPD und Grüne haben genau das verbrochen, was diese Kommission ja gerade bemängelt. Deswegen glauben Sie nicht, dass die Rot-Grünen da tatsächlich besser wären, im Gegenteil. Ich bin ganz froh, dass wir als FDP in dieser Koalition mit Zustimmung der Union diese Evaluierung durchgesetzt haben und dass wir hier tatsächlich auch die Möglichkeit haben, dann auch entsprechend die Konsequenzen auch mit der CDU/CSU in der nächsten Regierung dann tatsächlich umzusetzen. Ich sehe da sehr, sehr positive Chancen, dass wir auf der Ebene auch mit der CDU/CSU auf eine rechtsstaatliche Basis kommen. Einiges davon haben wir ja schon hingekriegt.

    Heckmann: Sollte es denn für Schwarz-Gelb reichen, muss man dazu sagen. Aber sollte es für Schwarz-Gelb reichen, sind auch die Kräfteverhältnisse klar.

    Wolff: Na ja gut, noch mal: Wir als Liberale sind durchaus der Meinung, dass wir zum Schutz der Bevölkerung Regelungen brauchen. Das Entscheidende ist nur, dass wir ein vernünftiges liberales Korrektiv haben. Die FDP ist dieses liberale Korrektiv, weshalb in dieser Legislaturperiode die Bürgerrechte gestärkt worden sind. Und wir sind die Einzigen, die beispielsweise auch die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt haben. Da hat uns in überraschender Weise, kurz bevor Edward Snowden seine Veröffentlichungen gemacht hat, die grün-rote Landesregierung mit dem grünen Ministerpräsidenten sogar daran erinnert, wir sollten doch endlich die Vorratsdatenspeicherung einführen - da können Sie sich auf die FDP verlassen, bei allen anderen Parteien sind Sie verlassen, was die Bürgerrechte angeht.

    Heckmann: Also wir werden sehen, welche Konsequenzen, praktischen Konsequenzen der Bericht der Regierungskommission haben wird zu den Sicherheitsgesetzen. Darüber haben wir gesprochen mit Hartfried Wolff von der FDP, Mitglied im Innenausschuss. Herr Wolff, danke Ihnen für Ihre Zeit!

    Wolff: Ich danke Ihnen ebenfalls!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.