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Unsicher aber unentbehrlich?

Armenien ist international isoliert. Die Grenzen zu den Nachbarländern Türkei und Aserbaidschan sind aufgrund alter und neuer Konflikte geschlossen, Energielieferungen aus dem Ausland deshalb nur über Umwege möglich. Die Hauptstadt Jerewan blüht trotzdem auf. Das liegt unter anderem

Von Gesine Dornblüth | 28.07.2004
    daran, dass Armenien seinen eigenen Strom herstellt, im Atomkraftwerk Medzamor. Wen auch immer man nach seiner Meinung dazu fragt - die Antwort fällt immer gleich aus.

    Bevor wir das Atomkraftwerk schließen, brauchen wir Alternativen. Die haben wir nicht." - "Bestimmt wäre es gut für Armenien, wenn wir das Atomkraftwerk schließen könnten. Aber das hätte auch negative Folgen und vor denen haben wir Angst. Wir erinnern uns noch gut an die Krise Anfang der 90er Jahre. Das war die Hölle. Wir hatte nicht mal elektrisches Licht. Das wollen wir nicht noch mal erleben.

    Nicht mal Armeniens Umweltschützer machen gegen das Kernkraftwerk mobil. Der Vorsitzende der Grünen Bewegung, Hakop Sanasarian:

    Atomenergie ist gefährlich. Schon der Betrieb allein, und erst recht natürlich bei Unfällen. Außerdem ist die Frage der radioaktiven Abfälle bisher nicht geklärt. Und das armenische Atomkraftwerk steht in einem dicht bevölkerten Gebiet. Mir scheint, im Prinzip sind alle Armenier gegen Medzamor. Aber die totale wirtschaftliche Blockade Armeniens und das Ignorieren der Interessen Armeniens durch die internationalen Organisationen machen die Leute hilflos. Dass die Europäische Union, die Weltbank und all die internationalen Organisationen Entwicklung und Wohlstand bei uns fördern wollen, halten die Menschen hier nur noch für einen Mythos.

    Ein Ausschuss des Europäischen Parlaments hat sich bereits dafür ausgesprochen, Medzamor so schnell es geht still zu legen. Außerdem solle die Europäische Kommission alternative Energiekonzepte für Armenien erarbeiten, so die Parlamentarier. Die Begründung: Medzamor sei bereits bei dem Erdbeben 1988 fast zerstört worden. Das ist Unsinn, beteuert Aschot Martirosian, Leiter der armenischen Atomaufsichtsbehörde.

    Das Atomkraftwerk hat einen Sicherheitsmechanismus. Bei einem Erdbeben der Stärke von 6 auf der Richterskala schaltet sich der Reaktor automatisch ab. Das Echo, das bei dem Erdbeben 1988 bei dem Atomkraftwerk ankam, war geringer als 6. Deshalb ist der Mechanismus nicht angesprungen. Der Reaktor hat ohne Beeinträchtigungen weitergearbeitet. Nach neuesten Berechnungen ist hier im schlimmsten Fall ein Erdbeben in der Stärke von 9 auf der Richterskala möglich. Das Atomkraftwerk kann das aushalten, ohne irgendwelche wesentlichen Deformationen der Hauptgebäude oder des Betriebssystems.

    Die Europaparlamentarier befürchten, dass der Reaktorblock sowjetischen Typs nach 25 Jahren veraltet ist. Doch auch da sind die Armenier anderer Ansicht. Sie hätten ihn modernisiert, bevor er 1995 wieder in Betrieb genommen wurde. Diese Arbeiten würden ständig fortgeführt, und zwar in
    Übereinstimmung mit der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien. Aschot Martirosian von der armenischen Aufsichtsbehörde:

    Die Nutzungsdauer dieser Reaktoren beträgt eigentlich 30 Jahre. Erfahrungen in Finnland, Ungarn, Russland, Bulgarien und der Slowakei zeigen aber, dass man diese Blöcke viel länger nutzen kann. Die Finnen stehen kurz vor der Entscheidung, so einen Reaktor 50 Jahre laufen zu lassen, anstelle von 30. Unser Block kann noch bis 2016 am Netz bleiben, ohne Gefahren für die
    Sicherheit. Mindestens.


    Außerdem, so Martirosian, reichten die 100 Millionen Euro, die die EU für die Stillegung von Medzamor angeboten habe, bei weitem nicht aus. Um den Reaktor abzuschalten, benötige man mindestens die vierfache Summe, und dann gäbe es immer noch keine Alternativen.