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Unstatistik – den Zahlen auf den Grund gehen

Drei Wissenschaftlern geben seit Anfang des Jahres gemeinsam eine "Unstatistik" heraus. Dabei nehmen sie sich eine in den Medien veröffentlichte Statistik vor und klopfen diese auf irreführende Rückschlüsse ab.

Von Andrea Groß | 03.04.2012
    "Wahrscheinlich habe ich beim Zeitunglesen einfach mich wieder über eine falsch interpretierte Statistik mich wahnsinnig aufgeregt, bin am selben Tag dem Walter Krämer in die Arme gelaufen und habe ihm mehr oder weniger vorgeschlagen: warum starten wir nicht einmal so eine Aktion."

    Obwohl es noch gar nicht so lange her ist, kann Thomas Bauer, Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen sich nur noch dunkel an den Anlass der Unstatistik erinnern. Der Wirtschaftsprofessor aus Essen, der Statistiker aus Dortmund und als Dritter im Bunde der Berliner Psychologieprofessor Gerd Gigerenzer – sie alle forschen schon lange, jeder auf seinem Gebiet, über die Gefahren, die von Statistiken ausgehen.
    "Das hat ja teilweise erhebliche Konsequenzen. Auch in der Politik, auch mit der Verwendung von Steuermitteln. Einige Statistiken – auf der Basis von denen entstehen große Ängste bei der Bevölkerung."

    Erhebungen zu Gesundheitsfragen sorgen beispielsweise häufig für Unruhe, besonders wenn es um die Risiken von lebensbedrohlichen Krankheiten, wie Krebs geht. Die letzten Zahlen, die sich die Unstatistiker vorgeknöpft haben, dürften in der Bevölkerung allerdings eher Heiterkeitsausbrüche ausgelöst haben: Es ging um die Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn. 96 Prozent aller Züge, so hatte das Unternehmen bekannt gegeben, kommen pünktlich an. Bei%angaben von über 90 sei grundsätzlich Vorsicht geboten, sagt Walter Krämer. Und bei Zahlen der Bahn AG stellt er lieber noch einmal eigene Berechnungen an.

    "Ich habe eine Regionalbahn, die R6 von Minden nach Düsseldorf. Die benutze ich eigentlich regelmäßig mindestens jede Woche einmal. Und ich habe mal eine Statistik geführt: Die letzten 50 Mal bin ich 40 Mal zu spät in Minden angekommen und habe die S-Bahn nicht erreicht."

    Die Bahn, so Kramer, kommt deshalb auf ihre hohen Pünktlichkeitswerte, weil sie nicht die Ankunftszeit am Zielort berücksichtigt, sondern sämtliche Zwischenhalte dazu nimmt. Je mehr Haltestellen in die Statistik einfließen, desto höher müsse zwangsläufig der Pünktlichkeitswert werden. Die Bahn rechne sich also ihre Pünktlichkeit schön. Die Unternehmen und Organisationen, deren Zahlen gewissermaßen Opfer der Unstatistik werden, sind in aller Regel wenig davon angetan. Damit kann Wirtschaftsforscher Thomas Bauer aber gut leben.

    "Damit muss man rechnen. Also dass man sich damit nicht nur Freunde macht, das ist uns vollkommen klar. Das ist auch nicht wirklich unser Beruf. Unsere Tätigkeit ist wirklich zum Teil, dass man sich einfach nicht nur Freunde macht, weil man eben auf Dinge hinweist, die nicht so laufen, wie sie laufen sollen. Dafür sind wir unabhängige Wissenschaftler, sie so etwas auch mal sagen dürfen."

    Andererseits hat die Unstatistik auch eine Menge Fans. Es komme haufenweise Post von Lesern, die von der Idee begeistert sind, sagt Thomas Bauer. Der Entstehungsprozess ist an sich nicht sonderlich spektakulär: Per E-Mail weisen sich die Wissenschaftler auf die statistischen Stilblüten hin, die sie in den Zeitungen finden. Neigt sich ein Monat dem Ende, findet eine Telefonkonferenz statt, in der das endgültige Thema festgelegt wird. Dabei spielt auch die Höhe des öffentlichen Interesses und des Empörungsfaktors eine Rolle. Steht das Thema fest, wird einer ausgeguckt, der die Unstatistik in kommentierende Worte fasst. Das war´s. Walter Krämer erklärt, was dabei wenig Chancen auf Veröffentlichung hat.

    "Wenn es nur Schlamperei ist, die jedem passieren kann, wenn jemand einen Zahlendreher macht. Das ist kein Anlass für eine Unstatistik. Es gibt auch Statistiken, die man so und so machen kann. Paradebeispiel: Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenstatistik ist eine der verquersten, die es überhaupt gibt. Wie man das definiert, da gibt es ein Dutzend verschiedene Möglichkeiten das zu tun und welche man auch wählt, es kommt immer was anderes raus."

    Wer bei solchen Statistiken immer bei der gleichen Methode bleibt, wird von den Unstatistikern in Ruhe gelassen. Wer immer die Methode wählt, die auffällig gute oder auffällig schlechte Zahlen hervorbringt, muss auf der Hut sein. Auf jeden Fall muss es etwas zu entlarven geben.