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Unter Oppenheim am Rhein

Wer ein Labyrinth sehen möchte, muss nicht bis Knossos oder Amiens reisen. Eine Fahrt ins Rheinhessische reicht. Denn den Untergrund von Oppenheims Altstadt durchzieht ein chaotisches System von Gängen und Kellern, das bis heute nur teilweise erforscht ist.

Von Mirko Smiljanic | 05.02.2012
    Oppenheim am Rhein, unterhalb der Katharinenkirche. Vorsichtig gräbt sich die Schaufel eines Baggers in die Merianstraße, schwenkt mit Steinen und Erde zur Seite, kommt zurück und tastet sich an ein schwarzes Loch heran, das tief in den Untergrund führt.

    "Wir stehen im Moment direkt vorm Rathaus an einer Baustelle der Straße vor dem Rathaus, die wir jetzt erneuern werden, ..."

    ... Michael Thomä, Bauingenieur, ...

    "... und Erneuerung von Straßen bedeutet hier immer, dass es mit sehr, sehr viel Aufwand betrieben werden muss, weil wir einfach die historischen Keller im Untergrund haben, und auf die treffen wir sofort, wenn wir hier ein Loch buddeln."
    Die Altstadt Oppenheims steht auf einem Labyrinth mal schmaler, mal breiter, mal niedriger, mal hoher Gänge, die über Jahrhunderte ohne jeden Plan in den Untergrund getrieben wurden. Einige enden nach wenigen Metern, andere verbinden Keller und Gewölbe zu komplizierten Netzen. Auf 30 Kilometer Länge addieren sich die Wege durch die bekannten Katakomben, viele Gänge sind aber noch gar nicht entdeckt worden.

    Die Tour durch Oppenheims Untergrund beginnt an einer unscheinbaren Seitentür des Rathauses. Eine breite Treppe führt fünf Meter in die Tiefe in ein Tonnengewölbe.

    Es riecht muffig, aber nicht unangenehm, es riecht nach Weinkeller.

    "So, wir gehen jetzt mal unter die Straße, die ausgebaut wird, das ist alles schön abgeschlossen, damit die Nachbarn nicht einfach hier rein laufen, und wir gehen jetzt mal ein Niveau tiefer, das heißt wir gehen jetzt mal fünf Meter noch weiter runter"

    Schräg abwärts führt der Gang, krumm und schief sind die Wände. Hier haben keine Fachleute gebaut, sondern Menschen, die Platz unter ihrem Haus brauchten – und zwar möglichst rasch. Die frühesten Gänge wurden im 12. Jahrhundert gegraben, von da an erweiterte jede Generation das Gangsystem nach Gutdünken. Warum sie dies taten? Sie brauchten Lagerräume!

    "Zum Einen war Oppenheim ja eine sehr bedeutende Stadt in Süddeutschland an den wichtigsten Handelswegen gelegen zwischen West und Ost, zwischen Paris und Prag, aber auch zwischen Nord und Süd, …"

    ... weiß Markus Held, der Bürgermeister von Oppenheim, ...

    "... in der natürlich auch entsprechende Zölle kassiert worden sind, und eine Theorie für die Entstehung dieser Keller ist, dass man damals eben keine Hochlager bauen konnte, wie man das in der Gegenwart machen würde, sondern dass die Menschen versucht haben, diese Zölle, die in Natura sozusagen kassiert worden sind, dann auch gelagert werden konnten, und dass dafür dann auch diese Gänge gebaut wurden, ..."

    ... die allerdings mit der Zeit marode wurden und hin und wieder zusammenbrachen: 1983 verschwand ein Polizeiauto im Untergrund, verletzt wurde glücklicherweise niemand. Immerhin wird seither das Labyrinth gründlich untersucht.

    "Hier oben drüber wäre jetzt theoretisch fünf Meter Boden. Das ist aber nicht der Fall, weil da oben drüber läuft dann noch ein anderer Keller quer. Das ist das Besondere, die Keller sind so verschachtelt, links, rechts, oben, unten sind immer weitere Keller, bis zu vier, fünf Stockwerke."

    Viele Gänge wurden übrigens auch als Müllhalde genutzt und werden vor dem Ausbauen erst einmal freigeräumt. Es sei denn, sagt Hans-Jürgen Bodderas, Leiter des Touristenfestspielbüros der Stadt Oppenheim, es handelt sich um ganz besonderen Müll.

    "Ein Dippemacher würden wir hier sagen, also ein Hersteller von Töpfen, hat da seinen ganzen Unrat, seine ollen Nachttöpfe da reingepfeffert, und da war ein riesen Haufen, da waren bestimmt, 80, 100 Nachttöpfe da, und eines schönen Tages haben wir dann festgestellt, dass dieser Haufen immer kleiner wurde, und da ist davon auszugehen, dass einige Besucher des Kellerlabyrinths dann auch ein Souvenir da unten mitgenommen haben."

    Mittlerweile sind die Katakomben von Oppenheim ein "Denkmal von nationaler Bedeutung", außerdem zählt das Labyrinth zu den Touristenattraktionen der Gemeinde – und Tourismus ist die wichtigste Einnahmequelle Oppenheims.

    "Für alle die, die schon mal hier waren, wird es eine etwas wissenschaftlichere Führung geben in einem Gangabschnitt, der aus einer ganz anderen Zeit stammt. Also wir überlegen uns immer etwas, um auch wiederkehrende Gäste neu zu begeistern, sodass wir, denke ich, auch für die nächsten Jahre zum einen viel Arbeit haben, zum anderen unseren Gästen aber immer etwas schönes bieten können."

    Ende des Rundgangs durch Oppenheims Untergrund.

    "So, jetzt sind wir wieder draußen an der frischen Luft auf der Merianstraße."

    ... wer mal abtauchen möchte in ein spektakuläres Labyrinth voller Geheimnisse, wer Katakomben kennenlernen möchte, in dem man sich ohne Führer garantiert verlaufen würde, der sollte nach Oppenheim am Rhein fahren – mehr Labyrinth geht nun wirklich nicht!