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Untergang vor 60 Jahren
Segelschulschiff "Pamir" - marode und zu wenig Personal

Der Untergang des Segelschulschiffes "Pamir" war für die junge Bundesrepublik Deutschland ein aufwühlendes Ereignis. Als Ursache des Unglücks galten technische Mängel und eine schlechte Schiffsführung. Der Untergang der "Pamir" am 21. September 1957 kostete 80 Seeleute das Leben.

Von Mathias Schulenburg | 21.09.2017
    Die Pamir, Dokumentation, Deutschland 1959, Regie: Heinrich Klemme, Szenenfoto Copyright: IFTN UnitedArchives08654 the Pamir Documentation Germany 1959 Director Heinrich Terminal Scene photo Copyright UnitedArchives08654
    Fachleute urteilten später: Die "Pamir" hätte ihre letzte Reise nie antreten dürfen (imago stock&people)
    Der Untergang des Segelschulschiffes "Pamir" in einem Orkan war das spektakulärste Schiffsunglück der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Der drohende Tod vieler junger Seekadetten weckte nicht nur das Mitgefühl des Publikums, sondern auch die Solidarität auf See. An der versuchten Rettungsaktion beteiligten sich - unter großem internationalen Medieninteresse - nicht weniger als 78 Schiffe aus 13 Ländern. Am Ende unterstützten auch elf Flugzeuge die Suche nach Überlebenden. Vier Monate nach dem Untergang versuchte das Seeamt Lübeck ein Resumée:
    "Die Viermastbark 'Pamir', ein Fracht tragendes Segelschulschiff, ist am 21. September 1957 gegen 16 Uhr Middle-Greenwich-Zeit im Atlantik etwa 600 Seemeilen West-Süd-Westlich der Azoren bei schwerem Nord-Nordost-Sturm im Sturmfeld eines tropischen Orkans gekentert und gesunken. Von der 86 Mann starken Besatzung konnten nur sechs Mann gerettet werden."
    Kapitän ohne Erfahrung
    Fachleute urteilten später: Die "Pamir" hätte ihre letzte Reise nie antreten dürfen. Die Viermastbark, einst eine Zierde der deutschen Marine und - voll unter Segeln - ein spektakulärer Anblick, war im Besitz einer notorisch klammen Stiftung von 41 Reedereien gefährlich heruntergekommen; ein Inspektor klagte:
    "Das Hochdeck leckt an den verschiedensten Stellen stark. Teilweise gehen die Decksplanken bei Regen direkt hoch. Grund: Das unter dem Holzdeck liegende Stahldeck ist sehr stark korrodiert, und das Holzdeck selbst ist von unten wegen der stets unter dem Holz stehenden Feuchtigkeit stark angegangen."
    Tatsächlich hatte die Stiftung größte Mühe, für die "Pamir" eine fachkundige Stammbesatzung zusammenzubekommen. Der Kapitän Johannes Diebitsch hatte keinerlei Erfahrung mit einem Großrahsegler und zeigte im Umgang mit den jungen Leuten an Bord wenig Feingefühl. Ein Kadett schrieb seinen Eltern:
    "Der alte arrogante Hund macht Äußerungen, von denen ich einige schildern möchte: 'Koch, die Hauptsache ist, dass das Essen für die Offiziere warm gehalten wird. Die Kadetten können ruhig kalt fressen.' - 'Wenn so ein Pfannkuchen vom Mast fällt, ist es mir ganz gleich. [...] Wenn er gleich weg ist, haben wir wenigstens keine Scherereien mit ihm.'"
    Überlebenden wurden als Helden gefeiert
    Seemännisches Können, das diese Art Humor hätte ausgleichen können, ließ Diebitsch nicht erkennen, ein Gespür für das Kommende aber hatte er wohl: In Buenos Aires machte er sein Testament.
    Die "Pamir" war ursprünglich ein Frachtsegler der Art, die den Seefahrernationen des 19. Jahrhunderts zu Glanz und Reichtum verholfen hatten. Als Zugeständnis an die Moderne besaß sie nun für Flauten einen Schiffsdiesel. Als die "Pamir" am 1. Juni 1957 im Hamburger Hafen ihre letzte Reise antrat, waren ihre Frachträume nur mit Sandballast gefüllt - es hatte sich keine lukrative Fracht gefunden. Für die Rückreise von Buenos Aires aber waren 3.780 Tonnen Gerste gebucht; ein Frachtgut, das seiner Beweglichkeit wegen besondere Aufmerksamkeit verlangte. Professionelle Stauleute hätten die aufgebracht, allein, in Buenos Aires bahnte sich ein Streik an, und die Kadetten an Bord schaufelten das Schüttgut in die Laderäume. Das konnte ihnen nicht gut gelingen, wie Stabilitätsmessungen verrieten. Die Reederei sparte auch am Funkdienst: Der Funker musste zugleich als Zahlmeister agieren und verpasste, wieder auf See, mehr als hundert Warnungen vor dem tropischen Wirbelsturm Carrie. Die "Pamir" steuerte unvorbereitet mitten in das Inferno, nahm Wasser auf, drehte sich mit zerfetzten Segeln auf den Rücken und sank.
    Karl-Otto Dummer hatte noch sehen können, wie aus dem Bauch des Schiffes eine große, gelblich-schimmernde Fontaine aufstieg - Wasser und Gerste, die Ladung.
    Der folgende mediale Ruhm wurde den Überlebenden wie Hans-Georg Wirth, damals Leichtmatrose auf der "Pamir", zur Last:
    "Da waren sechs Mann übrig geblieben und dann wurden sie zum Helden gemacht. Und das war das, was mir persönlich immer gegen den Strich ging."
    Die "Pamir" war gut versichert, sodass die Tragödie den Reedern noch etwas einbrachte. Die Angehörigen der Toten gingen größtenteils leer aus.