Dienstag, 19. März 2024

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Untergangsfantasien und Bestseller-Verfilmungen

Mit "Take Shelter - Ein Sturm zieht auf" gelingt Jeff Nichols ein metaphorischer Film über die offenbar apokalyptischen Visionen seines Filmhelden. Die Daniel-Kehlmann-Verfilmung "Ruhm" vermischt Realität und Fiktion, während die Kinoadaption des Suzanne-Collins-Bestsellers "Die Tribute von Panem - The Hunger Games" zu vorhersehbar bleibt.

Von Hartwig Tegeler | 21.03.2012
    "Ruhm" - Daniel-Kehlmann-Verfilmung von Isabel Kleefeld

    Ein Geflecht von Figuren auf unterschiedlichen Ebenen von Realität und Phantasie. Schriftsteller Leo in Isabel Kleefelds Verfilmung von Daniel Kehlmanns Episodenroman "Ruhm" begegnet Rosalie.

    "Den Rückflug für wann? - Gar nicht."

    Rosalie - Senta Berger -, todkrank, ist allerdings Figur aus einer von Leos Kurzgeschichten; wir sehen sie kurz nach der Buchung im Schweizer Hospiz vor dem Giftcocktail; doch dann wendet sie sich empört an Leo, ihren Schöpfer - Stefan Kurt - und fordert eine andere Geschichte für sich, die sie am Ende auch bekommt. Happyend irgendwie. Action-Star Ralf Tanner hingegen ...

    "Oft gehe ich die Straße entlang und merke gar nicht, dass ich es als Ralf Tanner tue."

    ... verliert Existenz wie Identität, als ein Doppelgänger seine Rolle einnimmt. Und nicht mal der Butler - herrlich gediegen steif - Matthias Brandt - will ihn noch wahrhaben:

    "Was ist denn los mit dir, Ludwig. - Sie wissen meinen Namen, Glückwunsch, aber wer sind Sie?"

    "Ruhm" erzählt Geschichten, die in andere Geschichten münden, von denen wieder andere ausgehen. Aber "Ruhm" wirkt konstruiert. Auch, weil die Figuren klischeebehaftet sind. Zu einem Gefühl jenseits von Staunen lädt diese kühle Anordnung im großen Welt-Labor nicht ein.

    "Ruhm" von Isabel Kleefeld - annehmbar.


    "Take Shelter - Ein Sturm zieht auf" von Jeff Nichols

    "Denkt ihr, ich bin verrückt, hat er euch das erzählt","

    brüllt Curtis, als sich die Zeichen immer mehr verdichten. Für ihn immer mehr verdichten, während die anderen einfach so weiter leben!

    ""Hört mal gut zu. Es wird einen Sturm geben, einen, wie ihr ihn noch niemals erlebt habt, und nicht einer von euch ist darauf vorbereitet."

    Curtis in Jeff Nichols´ verstörendem wie betörendem Film "Take Shelter - Ein Sturm zieht auf" wird von apokalyptischen Visionen heimgesucht. Aber sieht er wirklich die Zukunft? Oder verfällt er dem Wahnsinn?

    Nachts, wenn Curtis, Bauarbeiter in Ohio, Mann von Samantha, Vater einer behinderten Tochter, für die beide liebevoll sorgen, nachts, wenn Curtis aufwacht, hat er ins Bett gemacht, weil er diesen Sturm sah, der alles vernichtet. Curtis entzieht sich die Realität immer mehr. Im Garten ein alter Bunker; es ist eine Tornadogegend.

    "Ich denke darüber nach, den Sturmschutzbunker wieder in Ordnung zu bringen."

    Immer schlimmer werden seine Visionen.

    "Hast du den Verstand verloren?"

    Und dann zieht tatsächlich ein Sturm auf. Aber ist das schon der große Sturm, von dem Curtis träumte?

    Der Korrespondent der Filmzeitschrift "Filmdienst", Franz Everschor, der Hollywood und die USA seit Jahren präzise beschreibt, hat "Take Shelter" aus seiner Innenperspektive als eindrückliche "Metapher für die Angst" gesehen, die viele heute in Amerika angesichts einer ungewissen Zukunft verspürten. Ich darf eigenständig verlängern: ebenso viele in Europa. Ob allerdings die reale Angst oder die Angst vor der Angst schlimmer ist, das lässt "Take Shelter" klugerweise offen.

    "Schlaft gut in euren Betten, denn wenn es tatsächlich passiert, wird es das letzte Mal gewesen sein."

    "Take Shelter" von Jeff Nichols - herausragend.


    "Die Tribute von Panem - The Hunger Games" - eine Suzanne-Collins-Verfilmung von Gary Ross

    "Ich melde mich freiwillig, ich melde mich freiwillig."

    Die Gegenwart konsequent etwas weiter gedacht, kombiniert mit den Eigenschaften des Menschen in vergangenen Jahrhunderten oder, etwas platter formuliert: Man mische eine faschistische Klassengesellschaft mit der Schaulust bei einer dieser antisolidarischen, ellbogengestählten Casting-Shows, die vorgebliche Superstars oder Top-Modells hervorbringen, und füge das Konzept Brot und Spiele der alten Römer bei, vergesse nicht ein wenig vom "Millionenspiel" von Wolfgang Menge, fertig ist die nicht allzu ferne Zukunft im Film "Die Tribute von Panem - The Hunger Games" von Gary Roos. Aus dem zerstörten Nordamerika ist der Staat Panem entstanden, in dem die herrschende Elite jährlich die so genannten "Hungerspiele" inszeniert. Brot und Spiele als Machtstabilisierungsstrategie.

    "Die wollen nur eine gute Show. - Wir sind 24, und nur einer kommt da raus."

    Die "Hungerspiele" sind Gladiatorenkämpfe zwischen Jugendlichen. Für Katniss, gespielt von "Winter´s Bone"-Star Jennifer Lawrence, die Gelegenheit, sich beim live übertragenen Überlebenskampf in Wald als tödliche wie hübsche Amazone zu präsentieren:

    "Du sorgst also dafür, dass ich hübsch aussehe? - Ich sorge dafür, dass du sie beeindruckst."

    Als Science-Fiction-Parabel über eine düstere Zukunft hat die Verfilmung des Bestsellers von Suzanne Collins durchaus ihren Reiz, doch sind die Figuren zu glatt, eindimensional und die Handlung zu vorhersehbar, um uns zu packen. Schöne Bilder, pompöse Settings verpacken hier eine Idee zu einer Geschichte, die in der filmischen Umsetzung nicht wirklich zünden will, sondern nur das macht, was sie anprangert: pure Unterhaltung in perfekten Bildern.

    "Die Tribute von Panem - The Hunger Games" - annehmbar.


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    "Take Shelter - Ein Sturm zieht auf" (Filme der Woche)

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