Freitag, 19. April 2024

Archiv

Untergeschobene Strom- oder Gasverträge
"Ein Dauerbrenner in den Verbraucherzentralen"

Immer mehr Verbraucher beklagen sich über untergeschobene Wechsel von Strom- und Gasanbietern. Verbraucher sollten unter keinen Umständen ihre Gaszähler- oder Stromzähler-Nummer leichtfertig herausgeben, rät Svenja Gesemann vom Projekt "Marktwächter Energie" der Verbraucherzentralen.

Svenja Gesemann im Gespräch mit Stefan Römermann | 15.02.2018
    Ein typischer Wechselstromzähler.
    Wer die Zählernummer eines Stromkunden kennt, kann damit offenbar ganz leicht einen Anbieterwechsel einleiten (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Stefan Römermann: Den Strom- oder Gasanbieter wechseln, das ist in den allermeisten Fällen eigentlich eine ganz gute Idee. Denn gerade die Standardtarife bei den örtlichen Stadtwerken oder den regionalen Energieanbietern, die sind extrem teuer. Doch nicht alle Verbraucher wechseln freiwillig den Tarif. Immer mehr Verbraucher beklagen sich über untergeschobene Anbieterwechsel. Darüber habe ich vor der Sendung mit Svenja Gesemann gesprochen. Sie leitet den Marktwächter Energie der Verbraucherzentralen.
    Svenja Gesemann: Da gibt es ganz unterschiedliche Methoden, derer sich die Anbieter bedienen. Da gibt es zum einen, dass sie tatsächlich am Telefon unter einem anderen Vorwand Zählernummern ausspähen, Informationen ausspähen und damit den Anbieterwechsel einleiten. Das kann aber auch genauso gut an der Haustür passieren, dass ein freundlicher Vertreter klingelt und auch da über verschiedene Methoden an Informationen herankommt, was immer die Voraussetzung ist, um diesen Wechsel einzuleiten.
    "Das Entscheidende ist die Zählernummer"
    Römermann: Was sind denn die wichtigsten Informationen, die diese Betrüger - wir nennen sie jetzt einfach mal Betrüger - brauchen, um einen untergeschobenen Vertragswechsel in die Wege zu leiten?
    Gesemann: Da reicht im Grunde, dass man die Kontaktdaten hat, und vor allen Dingen - das ist das Entscheidende - die Zählernummer. Und schon kann man bei einem neuen Anbieter diesen Wechsel einleiten und dann unter Umständen auch schon einen neuen Vertrag bekommen.
    Römermann: Wie muss ich mir das vorstellen? Wenn ich als Verbraucher nach meiner Gaszähler-Nummer oder Stromzähler-Nummer gefragt werde, sollte ich da schon vorsichtig werden?
    Gesemann: Da sollte man auf jeden Fall sofort hellhörig werden und keinesfalls diese Nummern rausgeben.
    Römermann: Wer ist denn, ich sage mal, der Betrüger in diesen Fällen? Ist das der neue Energieanbieter, oder ist der auch eher ein Opfer von windigen Provisionsbetrügern?
    Gesemann: Das kann man wahrscheinlich gar nicht so pauschalisieren. Es gibt sicherlich beides. Oft sind es aber Vermittler.
    "Widerrufsfrist einhalten und auch danach den Vertrag anfechten"
    Römermann: Wenn ich jetzt tatsächlich Opfer geworden bin in so einem Fall, kann ich dann nicht einfach den Vertrag innerhalb von 14 Tagen kündigen oder widerrufen?
    Gesemann: Genau. Das sollte man auf jeden Fall tun. Diese Möglichkeit haben Verbraucher. Sie wissen es aber oft nicht. Das heißt, wenn diese 14-tägige Frist um ist, oder eigentlich sprechen wir sogar von einer dreiwöchigen Frist - das ist die entscheidende Zeit, um die es geht, in der man noch widerrufen kann und im Zweifelsfall danach auch den Vertrag anfechten kann -, davon wird nicht immer Gebrauch gemacht. Und schon hat man stillschweigend, so wird das dann ausgelegt, zugestimmt und ist in diesem neuen Vertrag dann auch schon gefangen.
    Römermann: Jetzt sammeln Sie aktuell Fälle, in denen es um untergeschobene Verträge geht. Was versprechen Sie sich davon?
    Gesemann: Genau. Wir erhoffen uns damit, den genauen Strategien der Anbieter auf die Schliche zu kommen. Insgesamt untersuchen wir drei Leitfragen. Das heißt, wir wollen zum einen wissen, wie verbreitet ist das Problem überhaupt. Wir wissen aus den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen, dass dieses Problem vorhanden ist, dass es häufig vorkommt, ein Dauerbrenner ist in den Verbraucherzentralen. Deswegen ist die eine Fragestellung, wie verbreitet ist es tatsächlich. Das machen wir zum Beispiel über eine repräsentative Bevölkerungsbefragung und dieser Verbraucheraufruf ist eine Möglichkeit, um der Sache auch qualitativ auf die Schliche zu kommen.
    Das heißt, welche Strategien genau werden angewandt, wie gehen die einzelnen Anbieter vor, welche Regelung oder auch Regelungslücken nutzen sie für sich aus. Und es interessiert uns darüber hinaus, welche langfristigen Folgen hatte eigentlich dieser untergeschobene Vertrag, hat der Verbraucher sich gewehrt, nämlich genau die eingangs erwähnten Möglichkeiten, hat er Widerspruch eingelegt, wie hat vielleicht auch der Altlieferant auf diesen Wechsel reagiert oder der neue Lieferant, wenn er damit konfrontiert wurde. Alles das wollen wir über diesen Verbraucheraufruf auch herausfinden.
    Römermann: An welche Adresse muss man sich wenden? Wo kann man diese Fälle melden?
    Gesemann: Wir haben auf unserer Marktwächter-Seite diesen Verbraucheraufruf platziert. Das heißt, da wird auch noch mal erklärt, worum genau es geht. Darüber hinaus ist ein konkreter Fragebogen dort angehängt. Das heißt, wenn die Verbraucher sich ein paar Minuten Zeit nehmen, dann können sie fragengestützt uns ein paar Antworten liefern, nämlich genau über die gerade erwähnten Punkte: Wie sind die vorgegangen, wie genau wurde der einzelne Verbraucher geschädigt. Die werden wir dann am Ende auswerten und hoffentlich klarer sehen, welche Strategien da so an der Tagesordnung sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.