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Unterirdische Friedhöfe

Im Alten Rom durften Tote nicht in der Stadt begraben werden. Die ersten Christen legten deshalb ihre Begräbnisstätten außerhalb der Mauern an: in riesigen, künstlichen Höhlen, den "cata cumbae", den sogenannten "steilen Felsen". Am 31. Mai 1578 wurde die erste von ihnen wiederentdeckt. Der Zeitpunkt kam der römischen Kirche während der Gegenreformation sehr gelegen.

Von Henning Klüver | 31.05.2008
    Bei der römischen Kirche S. Agnese fuori le mura wird - wie an anderen Orten der Hauptstadt der Christenheit - mehrmals am Tag eine schwere Tür aufgeschlossen. Man steigt eine enge Treppe hinab, und eine Führung in die Katakomben beginnt.

    "Diese Katakomben wurden im dritten Jahrhundert nach Christus angelegt. Die ersten Katakomben waren in Rom bereits rund einhundert Jahre zuvor entstanden. Diese Begräbnisstätten hier sind also lange nicht die ältesten von Rom."

    Die "cata cumbae", die sogenannten steilen Felsen, waren ein riesiges, weitverzweigtes System von künstlichen Höhlen. Die ersten Christen legten sie, wie es das römische Gesetz für Friedhöfe vorschrieb, außerhalb der Stadtmauern an.

    Während der wiederholten Belagerungen durch Barbarenheere wurden viele dieser Gräber geplündert und wertvolle Grabbeilagen geraubt. Aus Sorge um die kostbaren Reliquien ließen die Päpste zwischen dem siebten und dem neunten Jahrhundert die sterblichen Überreste zahlreicher Heiliger und Märtyrer umbetten. Später erlosch das Interesse an den Katakomben, die teilweise zugeschüttet und schließlich vergessen wurden.

    Viele hundert Jahre später hatte sich das Klima radikal gewandelt. Im Rom der Renaissance wurden überall neue Palast- und Gartenanlagen geschaffen. Dabei entdeckte man auch Altertümer der Antike, zum Beispiel mit Grotesken geschmückte unterirdische Kultstätten heidnischer Gottheiten.

    An einen ähnlichen Fund dachte man zuerst, als am 31. Mai 1578 bei Arbeiten in einem Weingarten unweit der Via Salaria plötzlich die Erde wegsackte. Doch hier kamen Begräbnisstätten aus frühchristlicher Zeit ans Licht - Katakomben. Professor Fabrizio Bisconti, der in Rom die päpstliche Kommission sakraler Archäologie leitet, zu dieser Entdeckung:

    "Es war die Zeit der Gegenreformation, und es war deshalb für Rom wichtig, die Wurzeln des Christentums, die verloren schienen, wieder zu entdecken und die Kirche zu ihren Ursprüngen zurückzuführen."

    Es war eine Zeit schwerer Glaubensauseinandersetzungen. Nach dem Konzil von Trient förderte die römische Kirche den Heiligen- und Reliquienkult als eine Art anti-protestantische Gegenpropaganda. Da kamen die Katakomben mit ihrem schier unerschöpflichen Vorrat an Gebeinen gerade recht. Pauschal wurden deshalb alle, die in den Katakomben lagen, zu "Blutzeugen" erklärt, also zu heiligen Märtyrern - obwohl es sich bei den meisten Bestatteten wohl um ganz gewöhnliche Römer christlichen Glaubens gehandelt hatte. Fabrizio Bisconti:

    "Also, im späten 16. Jahrhundert achtete man noch darauf, die Funde möglichst an Ort und Stelle zu lassen. Aber bald darauf im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Katakomben total ausgeräumt. Um das Treiben zu kontrollieren, setzte die Kirche dann einen Kustoden der heiligen Reliquien ein. Denn immer häufiger wurden Gebeine aus den Katakomben benutzt, um als Reliquien in den Gotteshäusern von Rom, aber auch außerhalb von Rom, zu dienen."

    Bald waren die Katakomben so leer, wie wir sie heute bei den Führungen sehen. Ein Gängesystem mit Grabkammern, wobei meist mehrere Gräber horizontal übereinander in den weichen Tuff geschlagen sind. Die unterirdische Anlagen haben immer wieder Spekulationen über angeblich geheime Versammlungsräume herauf beschworen.

    "Es gibt viele Allgemeinplätze, was die Katakomben angeht. In Wirklichkeit waren das unterirdische Friedhöfe, Orte, wo man die Verstorbenen begrub. Sicher, an Todestagen ging man die Gräber besuchen, vielleicht gab es auch die eine oder andere Messe zu Ehren der Toten und der Märtyrer, aber versteckt hat sich dort niemand. Die Römer kannten diese Plätze auch viel zu gut, und sie hätten die Christen sofort aufgespürt."

    Dennoch: die Mischung aus gruseliger Dunkelheit, geheimnisvoller Enge, und einer Geschichte, die sich in der Antike verliert, lockt jedes Jahr Millionen von Besucher unter die Erde von Rom.