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"Unternehmen wollen wissen, ob wir interessante Kunden für sie sind"

Wir haben nicht bloß einen Überwachungsstaat, sondern auch eine Überwachungsgesellschaft, sagt IT-Journalist Peter Welchering. Nicht nur Geheimdienste seien an breiter Kontrolle interessiert, sondern immer mehr auch die Wirtschaft – aus Gründen des Profits.

28.06.2013
    Monika Seynsche: Edward Snowden hat die Überwachungsprogramme des US-amerikanischen und britischen Geheimdienstes öffentlich gemacht. Und das war wahrscheinlich erst die Spitze des Eisbergs. Wer alles überwacht wurde und wahrscheinlich noch wird und was alles an Daten abgegriffen wurde, wissen wir im Augenblick noch gar nicht. Aber es lässt sich jetzt schon einigermaßen abschätzen, wie sich die Überwachungstechnologien in Zukunft weiterentwickeln werden. Genau das hat mein Kollege Peter Welchering recherchiert. Herr Welchering, was erwartet uns denn in Sachen Überwachung?

    Peter Welchering: Sie wird wesentlich engmaschiger, die Überwachung. Und das hat durchaus auch damit zu tun, dass neue Datenquellen für die Überwachung genutzt werden, beispielsweise das Smart-TV. Der sagt nicht nur, welche Fernsehsendung ich gerade sehe, sondern auch, wann ich umschalte, wie mein Fernsehverhalten insgesamt ist. Oder er kann auch über die Kamera dann Auskünfte geben: Wie viele Menschen sind denn gerade in der Wohnung oder in diesem Wohnzimmer? Spielekonsolen wie die Xbox melden dann sogar meine Befindlichkeit, ob ich mich gut oder schlecht fühle. Das kriegen sie raus anhand der Mimikerkennung, die eingebaut ist. Und die Mimik wird eben durch die Kamera erfasst. Oder wir haben intelligente Stromzähler. Intelligente Stromzähler werden ganz genau melden, welche Geräte denn gerade angeschlossen sind, welche Geräte welchen Strom verbrauchen, was die Bewohner einer Wohnung tatsächlich gerade mit diesen Geräten machen und eben auch, wie viele Bewohner einer Wohnung gerade eben auch in der Wohnung sind oder ob sie längere Zeit beispielsweise leer steht. Und dann haben wir auch letztlich noch den Bordcomputer des Autos. Der sagt nicht nur, wie schnell ich fahre, sondern er kann auch darüber Auskunft geben, welche Regelverstöße ich wann begehe. Und wenn das noch gekoppelt wird mit einer Kamera im Auto – auch daran arbeiten Hersteller-, die in das Smartphone integriert wird, dann kann auch noch festgestellt werden, mit welchen psychischen Verfasstheiten ich wann welche Regelverstöße begehe. Und der zweite Trend betrifft vor allen Dingen dann die Sicherheitsbehörden. Dort entscheiden zunehmend Software und Computer darüber, wer wie überwacht wird und was ausgewertet wird – und nicht mehr Menschen. Und das hat damit zu tun, dass wir in unserem Verhalten durch und durch berechnet werden durch Algorithmen. Und deshalb werden wir so vorhersagbar.

    Seynsche: Und wer hat alles ein Interesse daran, uns zu überwachen – außer jetzt den Geheimdiensten?

    Welchering: Unternehmen wollen wissen, ob wir interessante Kunden für sie sind. Beispielsweise Versicherungen suchen auf Facebook nach Babyfotos und bieten dann den Eltern Versicherungen für die Babys an, Banken werten Twitter-Tweets aus für die Bonität. Wenn ich drei, vier mal über meinen Arbeitgeber lästere, sinkt meine Bonität, weil ich ja Gefahr laufe, dass ich meinen Arbeitsplatz verliere. Die Betreiber dieser sozialen Plattformen wollen diese Daten, die wir auf den Plattformen ja selbst produzieren, verkaufen. Und die Sicherheitsbehörden wollen natürlich am Tatort sein, bevor wir kriminelle Handlungen begehen. Und dabei arbeiten dann eben Unternehmen und staatliche Stellen Hand in Hand. Also wir haben eine Überwachungsgesellschaft und einen Überwachungsstaat, die rücken einfach zusammen.

    Seynsche: Und lässt sich heute schon abschätzen, wie weit diese Überwachung geht? Also was wissen die Geheimdienste und die Unternehmen von uns?

    Welchering: Sie kennen unser Persönlichkeitsprofil und sie werten unsere Kommunikation aus. Als ich vor gut einem Jahr in die USA einreiste, sagte der Immigration officer, nachdem ich meinen Fingerabdruck abgegeben hatte und auch meine Papiere überprüft wurden, ‚da sind noch zwei Herren von der Regierung, die würden Sie gerne sprechen‘. Das Gespräch war sehr freundlich, dauerte so eine halbe, dreiviertel Stunde, es gab sogar Kaffee – guter Kaffee übrigens. Und sie fragten nach meinen Recherchen in Sachen Bluffdale. Das ist der Ort, an dem die National Security Agency ein neues Data Center errichtet. Und dabei kamen sie auf Informationen zu sprechen, die ich vorher eigentlich nur mit einem Netzaktivisten per Mail ausgetauscht hatte. In keinem anderen Zusammenhang tauchten diese Informationen vorher auf. Und das machte mir deutlich: Aha, die NSA hat offensichtlich meine Mail ausgewertet.

    Seynsche: Hat sich denn Ihre Kommunikation danach verändert, durch dieses Ereignis?

    Welchering: Ja, in zwei Weisen: Ich bin ein Stück vorsichtiger geworden. Und zum anderen habe ich daraus die Handlungsanweisung genommen, dieser etwas undurchsichtige Komplex von Sicherheitsbehörden und Unternehmen, die da zusammenarbeiten, muss einfach transparent gemacht werden. Und das ist natürlich in erster Linie auch eine Aufgabe für uns Journalisten. Da müssen wir mehr tun.