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Unternehmenskultur
Kein Raum für Talente

Wie Mitarbeiter Potenziale entfalten können, wie Unternehmen eine neue Dialog- und Managementkultur etablieren können – darüber diskutierten Wissenschaftler, Personaler und Unternehmensmitarbeiter in der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Der Hintergrund: Eine Gallup-Umfrage im Frühjahr 2014 brachte große Defizite bei der Mitarbeiter-Motivation zutage, innere Kündigung und Dienst nach Vorschrift sind danach in deutschen Unternehmen eher die Regel als die Ausnahme.

Von Anke Petermann | 17.12.2014
    Mitarbeiter mit Detailvorgaben zu gängeln, sie auf Schritt und Tritt zu kontrollieren, gehört zum vorherrschenden Führungsstil, meint Hans Wüthrich, Professor für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr München.
    "In vielen Organisationen dominiert heute der Primat der Effizienz. Wir versuchen, alles nach dieser Orientierung zu optimieren, und das führt dann eben dazu, dass wir eine unheimlich hohe Regelungsdichte haben, dass die Freiräume immer enger werden, dass Leidenschaft verloren geht, Begeisterung verloren geht, dass eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität daraus resultiert. Und wir wissen aus der Talentforschung sehr klar, dass unter anderem Sinnstiftung und Autonomie zwei ganz wichtige Faktoren sind, die letztendlich darüber entscheiden, ob wirklich Talente zu Organisationen kommen beziehungsweise in Organisationen bleiben."
    Paul Bremer, Name geändert, hat den Eindruck, dass er die Auszubildenden in seiner Firma erreicht, wenn er sie mit seinen Ideen und seinen Worten anspricht. Doch wenn der Mann aus dem mittleren Management die neuen Azubis begrüßt, muss er rhetorische Bausteine verwenden, die ihm die Führungsetage vorgibt. „Das bete ich dann runter", sagt er, und sieht darin keine Qualität. Verbessert habe sich die Unternehmenskultur in den vergangenen Jahren nicht. Im Gegenteil, es werde immer mehr von oben nach unten durchregiert. Ihn demotiviere das.
    Durchregieren hält Professor Wüthrich für kontraproduktiv. Druck vernichte Neugierde und Kreativität. Der Management-Berater wirbt für "Führungsverzicht" genauer: den Verzicht aufs Bevormunden, Messen und Kontrollieren. Er plädiert fürs Querdenken und Experimentieren.
    "Also, beispielsweise als Experiment könnte man sagen, man wählt eine Abteilung aus und in dieser Abteilung verzichtet man mal in einem Jahr auf die klassischen Management-Initiativen und Vorgaben. Also kein Budget, kein Controlling, keine Beurteilungen und beobachtet einfach mal, was geschieht. Entsteht Chaos? Oder kann diese Organisation letztendlich Ergebnisse erzielen, die man überhaupt nicht erwartet hat, und das wäre quasi ein Führungsexperiment. Ich glaube, das ist verantwortbar. Damit gefährdet man nicht die ganze Organisation, und man stellt eine Frage an die Organisation und bekommt eine Antwort."
    "Stark getrieben durch Kostendruck"
    Vertrauen, zulassen und loslassen, gibt der Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Management als Führungs-Devise aus. Diesen Mut bringe sein Arbeitgeber nicht auf, konstatiert Michael Maurer, Name geändert. Maurer ist bei einem deutschen Großunternehmen beschäftigt.
    "Wir sind stark getrieben durch Kostendruck. Ich glaube, wir sind im Moment nicht bereit, dieses Zulassen, diesen Freiraum, zu schaffen. Das wird eher eingeschränkt, wir müssen stringent arbeiten, nach den Prozessen arbeiten. Das ist etwas, was mich einschränkt in meiner täglichen Arbeit."
    "Führen durch offene Fragen", hat dagegen Stephanie Gabler, Personalchefin bei einem Mainzer Hersteller von Haushaltschemikalien, zu ihrem Prinzip gemacht. Wenn Mitarbeiter frei über Wünsche und Kompetenzen sprechen, hilft das Gablers Erfahrung nach, unentdeckte Talente zu heben und ungeahnte Laufbahnen zu eröffnen.
    Auf Achtsamkeit und Wertschätzung setzt nach eigenem Bekunden Harald Düster als kaufmännischer Leiter einer Vertriebsgesellschaft für Hautpflege-Produkte. Ideenworkshops für alle Mitarbeiter signalisierten: Eure Ansichten sind gefragt. Paul Bremer, der seinen echten Namen nicht preisgibt, kann davon in seiner Firma nur träumen. Er quält sich mit den verordneten Rhetorik-Bausteinen durch die Begrüßung der neuen Auszubildenden. Und beobachtet: So viele wie nie kündigen noch in der Probezeit. Die Chance, Talentmagnet zu sein, hat dieses Unternehmen wohl verpasst.