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Unterricht am Bildschirm

Nicht in die Schule gehen und trotzdem nach vier Jahren ein staatlich anerkanntes Abitur in der Tasche haben – das ist seit einem Jahr möglich, nämlich in Bayerns erstem Online-Gymnasium. Dort findet der Unterricht an fünf Abenden pro Woche ausschließlich via Internet auf dem heimischen Computer statt.

Von Heiner Gremer | 15.11.2012
    "Guten Abend Anja, guten Abend Carolin und Christian zunächst einmal. Ich begrüße Sie, der Werner ist auch da. Werner, guten Abend. Ich möchte noch einen kleinen Moment warten, bis der Rest online ist, und dann wollen wir die Stunde beginnen."

    Rudolf Schmitt sitzt vor drei Bildschirmen, auf denen er seine Unterrichtsvorbereitung geladen hat, auf einem der Schirme kann er ganz genau sehen, wer von seinen Schülern bereits online ist. Er lehrt Deutsch an Bayerns erstem Online-Gymnasium, die Computer-Ausrüstung gehört Rudolf Hein – dem Französischlehrer.

    Für Anja ist das Online-Gymnasium die einzige Chance, ein Abitur zu bekommen, denn an einem Regelunterricht oder an Kursen eines Abendgymnasiums kann sie nicht teilnehmen.

    "Das hat zweierlei Gründe: Einmal habe ich einen Sohn, der behindert und sehr eingeschränkt ist und der mich braucht, der es nicht ertragen würde, wenn ich jeden Abend weg wäre. Das ist das Eine, das Andere ist, dass ich selber körperlich eingeschränkt bin. Es gibt verschiedene Handicaps, die mich davon abhalten, den regulären Unterricht zu besuchen."

    Um dabei sein zu können, braucht man allerdings ein fachärztliches Attest, das bescheinigt, dass der Besuch einer Regelschule oder eines Abendgymnasiums nicht möglich ist. Ansonsten sind die Zugangsvoraussetzungen aber überschaubar, und auch die Kosten halten sich in Grenzen.

    "Das Mindestalter ist 18, Voraussetzung Hauptschulabschuss, wer diesen Hauptschulabschluss hat, der kann dann diesen vierjährigen Kurs besuchen. Die Kosten, die auf die Schüler und Studierenden zukommen, sind im Monat 75 Euro, der Rest wird subventioniert."

    Alles ganz nett, aber was ist bei Prüfungen und Schulaufgaben. Auch da muss keiner in die Schule kommen, erklärt Französischlehrer Rudolf Hein, allerdings schreibt der Schüler überwacht von der Webcam.

    "Da müssen wir im wahrsten Sinne des Wortes mal ein Auge werfen, ob alle da sind und sich mit ihren Prüfungsaufgaben beschäftigen."

    Nur die Abiturprüfung selbst muss man dann später an einer regulären Schule ablegen, ansonsten läuft alles vom heimischen Wohnzimmer aus. Also eine lupenreine Onlineschule:

    "Das ist das Besondere, und wenn ich so sagen darf, auch das Einzigartige am Online-Gymnasium Bayern. Wir haben ständig den Kontakt zu den Schülern. Wir haben fünf Tage mit vier Unterrichtsstunden, also zwanzig Stunden. Es ist nicht so wie in anderen Fällen, wo Materialien verschickt werden und dann so eine Art 'blended learning' stattfindet, sondern wir haben Unterricht."

    Bundesweit gibt es nichts Vergleichbares, es gibt lediglich Abendgymnasien, die "blended learning" bieten, das heißt zwei Schultage online, drei Tage Präsenzpflicht. Für Anja und ihre Mitschüler aufgrund ihrer Handicaps also auch keine Alternative. Sie hat übrigens bereits klare Vorstellungen, wie es nach dem Abi weitergehen soll.

    "Ja, ich habe Pläne, ich würde gerne Sozialpädagogik studieren, und ich würde gerne mit drogensüchtigen Menschen arbeiten."

    Und was wollen die anderen so machen?

    "Manche erhoffen sich einfach einen besseren Arbeitsplatz zu Hause, das heißt ein Bildschirmarbeitsplatz, der eben etwas anspruchsvoller ist, nachdem sie das Abitur gemacht haben."

    Übrigens, das Online-Gymnasium Bayern nimmt auch Schüler aus anderen Bundesländern auf.