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Unterricht
Schüler schreiben Musik

Im Projekt "Komponisten-Klasse" arbeiten Schüler und Profi-Musiker zusammen an Stücken. Das Konzept dahinter: Kinder und Jugendliche sollen auf einem künstlerischen Gebiet gefördert werden, in dem es sonst kaum Bildungsangebote gibt. Dieses Jahr ist dabei ein Stück entstanden mit dem Titel "Der Traum der Frisöse", das am Samstag uraufgeführt wird.

Von Beate Dietze | 02.10.2015
    Kalisz, Polen
    Komponieren statt Hausaufgaben machen. (picture alliance / dpa / Foto: Jakub Kaczmarczyk )
    Als die ersten Takte von "Der Traum der Frisöse" erklingen, wird es mucksmäuschenstill im Konzertsaal.
    Auf der Bühne ruht die Haarkünstlerin im Liegestuhl und liest vorm Schlafengehen die Geschichte von König Midas, der für eine unbedachte Äußerung mit Eselsohren bestraft wurde. Welche Folgen diese Bettlektüre hat, das ist in der kleinen, amüsanten Oper zu erleben, die elf Kinder und Jugendliche der Komponistenklasse geschrieben haben. Die jüngste Komponistin ist die zehnjährige Hanna. Sie sitzt mit ihrer Familie im Publikum. Das zierliche Mädchen hat schon viele Stücke geschrieben.
    "Das erste richtige Stück habe ich geschrieben, als ich eigentlich Mathehausaufgaben machen sollte, aber ich hatte keine Lust dazu. Und ich wusste auch nicht wirklich die Antwort. Da bin ich halt in der Wohnung rumgegangen, weil's mir einfach nicht einfiel. Dann habe ich das Klavier gesehen und habe mich dran gesetzt und ein Stück geschrieben."
    Zu den ältesten in der Klasse gehört Ole. Der 19-Jährige hat gerade ein Studium zum Tonmeister in Detmold begonnen. Er ist gespannt, wie seine Szene im Konzertsaal klingt. Der schlaksige junge Mann mit der schwarzen Vollrandbrille hatte einst durch einen Freund von dem Projekt erfahren.
    Jedes Kind, das musikalisch ist, kann auch komponieren lernen
    "Ich bin immer ein bisschen zurückhaltend, was neue Sachen betrifft in meinem Leben. Deswegen haben mich meine Eltern etwas schieben müssen, dass ich reingehe. Was sehr gut ist, weil die Zeit echt für mich sehr, sehr toll und wichtig war."
    Jedes Kind, das Fantasie hat und musikalisch ist, kann auch komponieren lernen, ist Silke Fraikin überzeugt. Die Komponistin betreut die Klasse, die 15 bis 18 Schüler hat, gemeinsam mit einem Kollegen. Besondere Aufnahmerituale gibt es hier nicht.
    "Wir machen Schnupperunterricht, der auch nichts kostet, lernen uns kennen und probieren verschiedene Sachen aus und schauen ob da Kind oder der Jugendliche dann darauf anspringt und es eine Initialzündung gibt, dass man was Gemeinsames macht."
    Einmal pro Woche kommen die Kinder und Jugendlichen in ihrer Freizeit zum Einzelunterricht. Dazu gibt es Extrakurse, in den Oster- und Sommerferien fahren die jungen Komponisten mit ihren Lehrern zu Workshops.
    "Wo wir ganz intensiv an Ideen tüfteln, gemeinsam singen, Musik machen Gehörbildung, Rhythmus trainieren und uns auch Musiker besuchen die ihre Instrumente vorstellen, die auch zeitgenössische Klänge vorstellen, Partituren zeigen, sodass unsere Schüler viele Anregungen erhalten, auch ungewohnte Sachsen auszuprobieren."
    Im Einzelunterricht wird das aktuelle Kompositions-Projekt des Schülers vorangetrieben. Dabei geht es darum, so die Kompositions-Lehrerin,
    "Das zu befördern, was die Schüler selbst machen wollen, was sie ausdrücken wollen, natürlich das auf ein hohes Niveau zu bringen, auch musikalisch. Dass es nicht immer die erste Idee ist, die vielleicht am besten trägt für so eine Geschichte, und dass man auch viel ändern muss, ausprobieren muss - das ist ja sehr mühsam."
    Die Musiker müssen hart üben
    Einmal im Jahr wird dann in einem großen öffentlichen Konzert von jedem Schüler ein Stück uraufgeführt - und zwar von professionalen Musikern. In diesem Jahr ist es die Serkowitzer Volksoper, die den "Traum der Frisöse" auf die Bühne bringt – eine Premiere im doppelten Sinn, denn es ist die erste Gemeinschaftskomposition der Klasse. Und auch wenn es schwer vorstellbar scheint: Für die Musiker ist es eine Herausforderung, die Stücke der komponierenden Kinder zu spielen - konstatiert der musikalische Leiter Milko Kersten.
    "Das was oft frappierend ist, dass man eigentlich meint, Kinder sind naiv und schreiben naiv. Das ist ein ganz großer Irrtum. Sie staunen manchmal, dass wir sagen: 'Du, das ist ganz schwer für uns'. Und hier wissen wir immer, bei der Kinderkomponisten-Klasse muss man zeitig die Noten haben und wirklich üben, weil da Dinge kommen, die völlig ungewöhnlich sind, die mitunter dann wirklich des Trainings bedürfen."

    Nur ein Teil der jungen Komponisten ergreift später einen musikalischen Beruf, wie Ole. Der Unterricht hat den 19-Jährigen gelehrt:

    "Dass man sich ständig beobachtet so bei dem was man tut, es in Frage stellt, und das habe ich, denke ich, als wichtigen Punkt mitgenommen."

    Ein Punkt, den sich auch alle anderen Schüler für ihr Leben mitnehmen - und darüber hinaus – den offenen Zugang zu zeitgenössischen Klängen.