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Unterrichtsmaterialien
"Schule sollte ein werbefreier Raum sein"

Immer mehr Unternehmen bieten Schulen Unterrichtsmaterialien an, um so "ganz plump Produkt- und Markenwerbung zu betreiben", kritisiert Verbraucherschützerin Tatjana Bielke im Deutschlandfunk. Der Auftrag von Schule sei es jedoch, Schülern den Umgang mit Werbung zu lehren, nicht sie damit zu konfrontieren.

Tatjana Bielke im Gespräch mit Kate Maleike | 31.01.2014
    Kate Maleike: Wie viel Werbung sollte an Schulen möglich sein? Darüber wird seit vielen Jahren gestritten. In den Blick geraten sind in letzter Zeit vor allem kostenlose Unterrichtsmaterialien von Unternehmen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat im Projekt "Materialkompass" 450 verschiedene Bildungsmedien von einem Team unabhängiger Experten untersuchen lassen. Frage an die Projektleiterin Tatjana Bielke: Wie weit ist der Lobbyismus in unseren Schulen angekommen?
    Tatjana Bielke: Ich würde sagen, das nimmt im Laufe der Zeit rapide zu. Wir haben in unserer Untersuchung festgestellt, dass eben gerade Unternehmen oder unternehmensnahe Stiftungen oder Initiativen sozusagen Unterrichtsmaterialien nutzen, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen oder teilweise auch ganz plump Produkt- oder Markenwerbung damit zu betreiben.
    Maleike: Können Sie uns da mal ein besonders dreistes Beispiel nennen?
    Bielke: Ja, also, auffällig ist zum Beispiel die Firma Tetra Pak. Die geben sehr viele Materialien raus, teilweise zum Thema gesunde Ernährung. Und was dabei passiert, ist aber, dass sie eigentlich ihre eigenen Produkte in den Mittelpunkt stellen und das eigentliche Thema nur als Aufhänger zu benutzen, um Werbung für sich zu machen und eine Art Greenwashing zu betreiben für ihren Betrieb.
    Maleike: Sie haben 450 Medien untersucht. Können Sie was über die Prozentzahl sagen, wie viel schwarze Schafe sind dabei?
    Bielke: Also, wir haben festgestellt, dass es bei der Wirtschaft sozusagen 18 Prozent sind, die da mit Mangelhaft abschneiden. Das ist eine große Zahl. Wenn man sich anguckt, was andere Herausgebergruppen da haben, die öffentliche Hand ist nur mit weniger als zwei Prozent dabei und andere Interessensverbände auch.
    Maleike: Wie bewusst sind sich Schüler und Lehrer eigentlich über diesen Einfluss?
    Bielke: Ich glaube, es herrscht eine Sensibilität bei Lehrkräften. Andererseits gibt es da auch eine Notwendigkeit oder eine scheinbare Notwendigkeit, Materialien, die nicht Schulbücher sind, einzusetzen, weil die Lehrkräfte vor dem Problem stehen, dass sie aktuelles Material brauchen. Und inwieweit da Lehrkräfte bereit sind, Kompromisse einzugehen, ist, glaube ich, sehr unterschiedlich gelagert.
    Maleike: Die meisten dieser Unterrichtsmaterialien - wenn wir sie denn überhaupt noch so nennen können nach dem, was Sie gerade gesagt haben - finden in die Schulen, weil sie kostenlos sind. Das heißt, die Not macht das Einfallstor für die Werbung und die Schleichwerbung besonders groß!
    Bielke: Genau. Das Problem ist, dass das normale Schulbuch im Schnitt sieben bis acht Jahre in der Schule verweilt. Das heißt, bei aktuellen politischen Themen sind die Informationen veraltet und Lehrkräfte stehen vor dem Problem, dass sie sich anderswoher Informationen besorgen müssen.
    Maleike: Die Ergebnisse, die Sie jetzt herausgefunden haben, werden Sie die in irgendeiner Form an die Ministerien weitergeben? Weil, da müsste ja eigentlich jetzt gehandelt werden!
    Bielke: Ja, wir sind mit den Kultusministerien fast aller Bundesländer in Kontakt und informieren sie auch über diese Ergebnisse. Und unser Ziel ist es, halt in die Lehrerausbildung und in die Lehrerfortbildung zu investieren, damit Lehrkräfte befähigt werden, ihr eigenes Unterrichtsmaterial zu finden, ohne auf die tendenziösen Angebote eingehen zu müssen.
    Maleike: Frau Bielke, das Gegenargument ist ja immer: Schüler haben ja sowieso so viel Werbung um sich herum, nutzen die ja auch, da macht es ja eigentlich nichts mehr, wenn man vielleicht die Capri-Sonne eben auf dem Unterrichtsheftchen stehen hat. Was ist Ihr pädagogisches Gegenargument?
    Bielke: Ja, die Kinder und Jugendlichen sind sehr anfällig für Werbung und Schule sollte generell ein werbefreier Raum sein, in dem erst mal Medienkompetenzen erworben werden müssen. Also, das ist der Auftrag von Schule, den Umgang damit zu lehren und nicht sie mit Werbung zu konfrontieren. Außerdem gibt es in den meisten Bundesländern ein Werbeverbot an Schulen und wir setzen uns dafür ein, dass das konsequent durchgesetzt wird.
    Maleike: Das heißt aber auch, dass die Firmen, die Sie da auf dem Schirm haben, jetzt das Verbot unterwandern?
    Bielke: Jein. Diese Werbeverbote sind in den Schulgesetzen unterschiedlich verankert und oft gibt es eine Klausel, die den Schulleitungen die Möglichkeit gibt zu beurteilen, ob der pädagogische Wert eines Materials über der Werbung steht. Also, ich sage mal, das ist eine gewisse Grauzone. Von daher kann man rechtlich zum Beispiel dagegen schlecht vorgehen.
    Maleike: Geben Sie doch einen Tipp, worauf können Lehrkräfte achten und auch die Schulleiter, wenn das die erste Anlaufstelle ist? Worauf müssten die achten, um eben genau das zu vermeiden, was Sie gerade beschrieben haben?
    Bielke: Gut, ich denke, wenn man Lehrmaterialien in die Hände bekommt, wo Produkt- oder Markenwerbung offensiv drin ist, sollte sie einfach nicht eingesetzt werden. Werbung gehört nicht in Schülerhand. Andererseits sollten sich Lehrkräfte die Materialien vorher sehr gut angucken, um zu gucken, ob interessengeleitete oder tendenziöse Inhalte drin sind. Das heißt, sind verschiedene Perspektiven angesprochen oder ist das eben sehr einseitig? Und dann zu entscheiden, kann ich mit dem Material was anfangen oder muss ich gegebenenfalls ein weiteres hinzuziehen, um eben genau die verschiedenen Perspektiven dann auch von den Schülerinnen und Schülern analysieren zu lassen. Also da einfach sehr sensibel zu sein für diese Themen.
    Maleike: Werden Sie denn jetzt Ihre Analysen weiterführen oder ist jetzt erst mal Schluss?
    Bielke: Wir werden das weiterführen, vielleicht nicht mehr in dem Umfang, wie wir es bisher gemacht habe, aber der Materialkompass wird auf jeden Fall weitergeführt und steht auch als Service für Lehrkräfte weiterhin zur Verfügung, die sich da informieren können.
    Maleike: Und wo können die sich informieren?
    Bielke: Unter www.materialkompass.de.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.