Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Unterstützung zum Nulltarif wird es nicht geben"

Eberhard Sandschneider sagt, dass China mit einer Eurostabilisierung auch politische Bedingungen verknüpfen könnte. Man müsse sich daran gewöhnen, mittlerweile auch auf der Seite der Nehmer zu sitzen, so der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.10.2011
    Jasper Barenberg: Für viele war es ein bezeichnendes Bild. Nur Stunden nach dem Durchbruch beim Eurogipfel vergangene Woche trifft der Chef des Eurostabilitätsfonds, Klaus Regling, zu Gesprächen in China ein. Kommt da ein Emissär aus Brüssel mit dem Klingelbeutel in der Hand nach Peking? Feststeht, dass die Europäer jetzt Investoren für die Rettung des Euro suchen, bekannt ist auch, dass China über die weltweit größten Devisenreserven verfügt, in einer Größenordnung von 2.300 Milliarden Euro. Ist die chinesische Staatsführung willens, weitere Anleihen aus Europa zu kaufen, und wenn ja, welche Gegenleistung wird sie möglicherweise dafür verlangen? - Am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider. Er ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und er befasst sich seit vielen Jahren mit der Politik Chinas. Einen schönen guten Morgen, Herr Sandschneider.

    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen.

    Barenberg: Herr Sandschneider, die chinesische Führung hat ja zuletzt einmal signalisiert, Europa eine helfende Hand auszustrecken, bei dem Treffen in der vergangenen Woche aber auch klar gemacht, dass Europa sich vor allem selbst retten muss und nicht allzu viele Hoffnungen haben sollte und setzen sollte in andere. Zögert die Regierung in China, Europa finanziell stärker zu unterstützen?

    Sandschneider: Es gibt zumindest keine Unterstützung zum Nulltarif und wir haben gemerkt, China ermahnt sowohl die Vereinigten Staaten als auch Europa, die Hausaufgaben jeweils zu Hause zu machen. Das sind neue Töne, an die sind wir nicht wirklich gewöhnt. Dass ein kommunistisches Land, was China ja nach wie vor ist, den kapitalistischen Westen daran erinnert, sein kapitalistisches System in Ordnung zu bringen, hat schon etwas Pikantes. Unterstützung zum Nulltarif wird es nicht geben, aber China hat gleichzeitig natürlich ein großes Interesse daran, dass sowohl in den USA als auch in Europa Wirtschafts- und Finanzsysteme wieder in Ordnung kommen.

    Barenberg: Ein großes Interesse hat China, vielleicht sprechen wir noch einen Augenblick darüber. Klar ist ja, dass Europa das Geld Chinas gut gebrauchen könnte. Wie dringend ist denn auf der anderen Seite China darauf angewiesen, seine gewaltigen Reserven solide anzulegen?

    Sandschneider: Das ist eine der großen Herausforderungen, nicht zuletzt für den chinesischen Staatsfonds. Mit solchen Summen ist es nicht einfach, international so zu investieren, dass auch entsprechende Renditen entstehen. Das ist zunächst einmal das vordergründige Interesse Pekings. Natürlich weiß man in Peking auch, wer solche Summen investieren kann, der kann sie auch mit politischen Überlegungen verbinden und letztendlich vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle politischen Druck ausüben. Noch einmal: das eigene Gewicht Chinas in Zukunft etwas stärker in die Wagschale zu werfen, ist eine Seite der Medaille. Das Interesse an der Stabilität der Weltwirtschaft ist die andere Seite aus chinesischer Sicht.

    Barenberg: Hat China denn Interesse daran, tatsächlich eine größere Rolle politisch auf der Weltbühne zu spielen, oder gilt das Interesse vor allem dem Versuch, das Geld ordentlich anzulegen?

    Sandschneider: Also wenn Sie diese Frage einem Chinesen stellen würden, der würde mit Vehemenz bestreiten, dass es politische Interessen Pekings gibt, dass Peking nach einer Supermachtstellung strebt. De facto ist das so und wir wären gut beraten, uns allmählich darauf einzustellen. Wir erleben jetzt zum ersten Mal im Kontext der Debatte um die Eurostabilisierung, dass Peking sein wirtschaftliches und finanzpolitisches Gewicht in die Wagschale wirft und auch mit politischen Bedingungen verbindet, beispielsweise dem berühmten Hinweis auf die Anerkennung als Marktwirtschaft. Daran werden wir uns gewöhnen müssen, dass nicht mehr wir alleine es sind, die Wirtschaft und Politik miteinander verbinden, wenn es an andere Staaten geht, sondern dass wir mittlerweile auch auf der Seite der Nehmer sitzen und damit dem Druck von anderen Mächten ausgeliefert sind, wenn die notwendigerweise uns helfen müssen.

    Barenberg: Geht es denn in erster Linie darum, dazu beizutragen, dass die Währungsgemeinschaft in Europa nicht wankt? Immerhin ist Europa ja Chinas wichtiger Handelspartner.

    Sandschneider: Alles, was der Stabilität sowohl politisch als auch wirtschaftlich des internationalen Systems dient, ist im Interesse Chinas, und völlig zurecht. Wenn im Augenblick ein wichtiger Handelspartner wie Europa für China wegbrechen oder in Schwierigkeiten geraten würde, dann hätte das auch Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft, auf Arbeitsplätze insbesondere in China. Das kann nicht im Interesse dieses Landes sein. Also daraus entwickelt sich dann auch das Interesse Chinas mitzuhelfen, dass auch Europa sich wieder stabilisieren kann.

    Barenberg: Viel wird ja bei uns gerade diskutiert über mögliche politische und wirtschaftliche Gegenforderungen, sagen wir mal, aus China. Sie haben eine genannt: die Anerkennung als Marktwirtschaft. Was hätte das denn für Folgen?

    Sandschneider: Zunächst einmal geht es da um Handelswaren, und man muss wissen, diese Anerkennung als Marktwirtschaft wird China automatisch als Regel innerhalb des WTO-Beitritts im Jahre 2016 zuteil. Es geht also um eine Frist von fünf Jahren. Aber in diesen fünf Jahren stehen natürlich in vielfältiger Weise auch jetzt schon Handelskonflikte an. Mit der Anerkennung als Marktwirtschaft hätte China eine deutlich bessere Position in solchen Handelsstreitigkeiten. Das ist zunächst einmal das Kerninteresse.

    Natürlich geht es aber auch um die Symbolik, dass dieser Status China nicht automatisch praktisch in den Schoß fällt, sondern dass er ganz bewusst von den Ökonomien des Westens an China vergeben wird, als Anerkennung auch für die wirtschaftliche Leistung Chinas.

    Barenberg: Sie haben eben gesagt, dass Gesprächspartner in China bestreiten würden, dass es politische Interessen gibt. Wie stellt sich China denn seine Rolle künftig in der Welt vor, politisch gesehen?

    Sandschneider: Einen großen Masterplan, wie man so schön sagt, gibt es dafür sicherlich nicht. Aber eines ist klar: Die chinesische Regierung macht die Erfahrung, die jedes Land in einer solchen Situation in der Vergangenheit auch gemacht hat: Früher oder später lässt sich wirtschaftlicher Erfolg auch in politische und sogar in militärische Macht übersetzen. Und das Land entwickelt natürlich in gewaltigem Maße auch wirklich globale Interessen, sowohl was die Stabilität der Weltwirtschaft angeht als auch was den Ressourcenzugriff in unterschiedlichen Weltregionen angeht. In dem Maße, wie China sich glaubt, in der Lage zu sehen, ohne größere Irritationen, ohne größere Kosten sein Gewicht stärker in die Wagschale zu werfen, wird die chinesische Führung das Schritt für Schritt tun, auch wenn es im Augenblick so aussieht, als wolle sie überhaupt nichts als nur ein kooperativer Partner in der Weltpolitik sein.

    Barenberg: Dieser Eindruck, Herr Sandschneider, hat ja auch damit zu tun, dass, sagen wir mal, auf der diplomatischen Weltbühne China bisher auftritt als Blockierer gelegentlich im UNO-Sicherheitsrat, aber nicht mit einem ausdrücklichen Gestaltungsanspruch. Ändert sich das peu à peu?

    Sandschneider: Davon wird man ausgehen müssen, dass China in wachsendem Maße auch gestalterisch eingreift, aber dann natürlich nach Kriterien und Regeln, die nicht unbedingt unseren Gestaltungsinteressen entsprechen. Die Vetoposition ist eine Seite, aber auch da muss man, darf man nicht vergessen: Der größte Vetoakteur in den Vereinten Nationen sind immer noch die Vereinigten Staaten. China nutzt dieses Instrument genauso wie alle anderen Vetomächte auch. Aber in wachsendem Maße wird China daran gehen, Stück für Stück seine eigenen Interessen auch in den Vereinten Nationen und darüber hinaus so umzusetzen, wie man es glaubt, kostengünstig machen zu können. Eigentlich scheut Peking im Augenblick noch sehr erkennbar davor zurück, eine stärkere Rolle international einzunehmen, weil man noch nicht glaubt, die damit verbundenen Kosten eingehen zu können.

    Barenberg: Eberhard Sandschneider, der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke, Herr Sandschneider, für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Sandschneider: Bitte sehr. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.