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Untersuchung an Mädeln. Kriminalprotokoll

Manche Schriftsteller müssen alle Jahre wiederentdeckt werden. Ihre Wirkungskraft scheint, selbst wenn sie von begeisterten Lesern und Kritikern untermauert wird, nicht groß genug zu sein, um sich einen Stammplatz in den Literaturgeschichten und im Leserbewusstsein sichern zu können. Der Schweizer Robert Walser ist so ein Autor zum Beispiel, einer, dessen Prosa zwar längst von Germanisten gehegt und in opulenten Studien gepflegt wird und der dennoch den Ruf eines Geheimtipps hat. Noch komplizierter steht es um dem Österreicher Albert Drach. Seine Rezeptionsgeschichte ist ohne Pendant in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, und bis heute ist ungewiss, ob die immer wieder aufwallenden Bemühungen um sein Werk jemals dauerhafte Früchte tragen werden.

Rainer Moritz | 16.12.2002
    Blicken wir kurz auf die außergewöhnliche Karriere Drachs zurück: Als 17-Jähriger, im Jahr 1919, debütierte er mit dem schmalen Gedichtband "Kinder der Träume". Ein knappes Jahrzehnt später schien es - folgt man zumindest dem in biografischen Dingen zur Legendenbildung neigenden Drach -, als würde Hans Henny Jahnn dem bis dahin unbekannten Autor den renommierten Kleist-Preis zusprechen - eine Würdigung, die, so Drach, allein durch unfeine Intrigen vereitelt worden sei. Danach blockiert der sich ausbreitende Nationalsozialismus die literarische Arbeit Drachs, der sich leidenschaftslos als Rechtsanwalt in Mödling bei Wien durchzuschlagen hofft. 1938, gewissermaßen in letzter Minute, flüchtet der Jude Drach aus seinem Heimatort Mödling bei Wien und entkommt auf verschlungenen Wegen den Hitler-Schergen. Seine abenteuerliche und oft auch kuriose Flucht nach Südfrankreich und Italien hielt Drach in seinem 1966 erschienenen autobiografischen Bericht "Unsentimentale Reise" fest .

    1948 kehrt Drach nach Österreich zurück. Obschon er weiterhin seine Kanzlei betreibt und eine Familie gründet, gilt sein eigentliches Interesse der Literatur und seinem eigenen, gänzlich unerfolgreichen Schreiben. Erst 1964 gelingt es ihm, den Verleger des Münchner Langen Müller Verlags von seinen Qualitäten zu überzeugen - mit erstaunlichem Ergebnis: Man entschließt sich dort, dem insbesondere in Deutschland unbekannten Autor gleich mit einer achtbändigen Werkausgabe auf den Markt zu bringen. Eine löbliche Absicht ... und eine Absicht, deren Realisierung natürlich scheitert. Das als erster Band erschienene "Großes Protokoll gegen Zwetschkenbaum" verschafft Drach zwar einiges an Anerkennung, doch die anfängliche Euphorie des Verlegers schwindet, und Drachs vollmundig initiierte Werkausgabe wechselt, ohne abgeschlossen zu sein, 1968 zum Claassen Verlag. Anfang der siebziger Jahre gerät Drach schnell wieder in Vergessenheit. Das literarische Schicksal des auf die Achtzig zugehenden und bald fast völlig erblindeten Schriftstellers scheint besiegelt - bis ins Jahr 1987 hinein, als der junge Germanist André Fischer in der "Süddeutschen Zeitung" nachhaltig auf den zu Unrecht Vergessenen hinweist und ihm die Tür zum Carl Hanser Verlag öffnet.

    Der Effekt dieses neuerlichen Verlagswechsels ist frappierend: 1988 erhält Drach zum Erstaunen der bundesdeutschen Öffentlichkeit den Georg-Büchner-Preis, die angesehenste literarische Auszeichnung. Drachs Bücher werden nun in loser Folge wiederaufgelegt; es folgen weitere Würdigungen wie der Große Österreichische Staatspreis, und als Drach 1995 hochbetagt stirbt, ahnen zumindest einige, dass die deutschsprachige Literatur damit einen ihrer bedeutendsten Dichter des Jahrhunderts verliert. Sieben Jahre nach Drachs Tod macht sich nun der zum Haus Hanser gehörende Zsolnay Verlag daran, dieses umfangreiche und vielfältige Werk ein weiteres Mal mit Nachdruck zu befördern. Die von ausgewiesenen Kennern herausgegebene Edition ist auf zehn Bände angelegt. Den Auftakt bildet Drachs Roman "Untersuchung an Mädeln", liebevoll ausgestattet von Ingrid Cella kundig kommentiert.

    1971 war dieses Buch erstmals bei Claassen erschienen; zwanzig Jahre später folgte eine kaum veränderte Neuausgabe bei Hanser, und vielleicht braucht es ja das luxuriöse Umfeld einer kritischen Werkausgabe, um das Großartige dieses Romans vor Augen zu führen. Doch worum geht es überhaupt in diesem Buch, das im Untertitel als "Kriminalprotokoll" bezeichnet wird? Der unverwechselbare Auftakt gibt einen ersten und bleibenden Eindruck:

    Es soll Wind gegeben haben, und diese Versicherung erscheint glaubhaft, wenn festgehalten wird, dass die Röcke, nämlich die unteren äußeren Kleidungsstücke der Weibspersonen in Bewegung gerieten und die Anschauung der dann noch dürftiger bedeckten Oberschenkel zuließen, so dass sich Männer veranlasst fühlten, ihre Kraftwagen anzuhalten und auf das Angebot der beiden, an der noch unvollendeten Autobahn wartenden sogenannten Mädel einzugehen, indem diesen zur Mitfahrt die Wagentüren geöffnet wurden. Es muss außerdem geregnet haben, wenn als richtig angenommen wird, dass auch die Blusen der zwei in Frage kommenden Frauenzimmer geradezu am Leibe klebten, was im übrigen auch dem Umstand zugeschrieben werden kann, dass sie nur unzureichende, d.i. kaum nennenswerte Wäschestücke darunter getragen haben dürften. Wie lange sie trotz ihrer durch Wind und Regen hervorgehobenen Eignung zur Aufnahme in einem sonst nur von einer männlichen Person besetzten Kraftwagen hatten warten müssen, darüber liegen bloß die Angaben erwähnter Mädel vor.

    Ein Romaneinstieg, wie er nicht fulminanter sein könnte. Abweichend von Manuskriptvorstufen, die wesentlich konventioneller einsetzten, skizziert der protokollierende Erzähler das Bild zweier unter unangenehmer Witterung leidenden Autostopperinnen und gibt trotz seiner dezidierten Kommentare unmissverständlich sein Nicht-Wissen und die Anmaßung seiner Spekulationen preis. Einschränkende Hilfsverben, die Vagheit der indirekten Rede und ein Konjunktiv, der den ganzen Roman trägt, erzeugen von der erste Zeile an den Eindruck des Nebulösen und Undurchdringbaren. 400 Seiten werden diesem ersten Bild folgen, ohne dass am Ende klar wäre, was sich an diesem Tag wirklich ereignet hat und was den Angeklagten Stella Blumentrost und Esmaralda Nepalek wirklich anzulasten ist.

    Ein grobschlächtiger Mann, der Stechviehhändler Joseph Thugut, scheint angehalten zu haben und seine hilflosen Mitfahrerinnen ohne viel Federlesens zum eiligen Geschlechtsverkehr genötigt zu haben. Im sich anschließenden Handgemenge greift eines der Mädchen zum Wagenheber und befördert den seinem Namen nicht zur Ehre gereichenden Thugut zumindest in den Zustand der Bewusstlosigkeit. Danach - so die Aussage der vor Gericht stehenden Frauen - sei ihnen ein zweiter Autofahrer, der sich nicht an ihnen vergangen, sondern nur "nach ihren Brüsten" gegriffen habe, beim Fortschaffen des leblosen Körpers unterstützend zur Seite gestanden. Beide Männer werden fortan nicht mehr gesehen, und die bald danach aufgegriffenen Anhalterinnen stehen plötzlich unter Totschlagverdacht. Ob zu Recht oder zu Unrecht, das ist bis zur Urteilsverkündigung nicht zu entscheiden. Untersuchungsergebnisse, Aussagen und Beweisstücke reihen sich aneinander, ohne Klarheit in diesen Fall zu bringen. Der Romancier Albert Drach lässt ein Geschwader an Behauptungen auffahren, um ein erschütternd uneindeutiges Ergebnis vorzulegen: Nichts ist zu beweisen, weder die Schuld noch die Unschuld, und alles, was die Repräsentanten der Justiz an vermeintlich schlüssiger Argumentation vorlegen, gerät zur widersprüchlichen Farce, zumindest in den Augen des in seinem Rechtsempfinden stark erschütterten Lesers.

    Es ist kein Leichtes, Albert Drachs kunstvoll verschachtelte "Untersuchung an Mädeln" zu lesen. Um die Absurdität des juristischen Eifers bloßzulegen, scheut sich der in fünf Teile untergliederte Text nicht, permanent Erzählwiederholungen aneinander zu reihen. Mehrere Perspektiven werden vorgestellt, und je mehr sich davon zueinander gesellen, desto unentwirrbarer erscheint die Konfusion der gravitätisch auftretenden Rechtsvertreter. Drachs Brotberuf als Rechtsanwalt hat Kritiker dazu verleitet, die "Untersuchung an Mädeln" oder das "Großes Protokoll gegen Zwetschkenbaum" vor allem als Justizsatiren zu lesen, als Verballhornungen einer Wahrheitssuche, die unter dem Zwang der Einzelfallnormierung zu grotesken Fehleinschätzungen führt. Landgerichtsrat Baldur Mausgrub ist einer dieser vollmundig auftretenden Justizgewaltigen, und für ihn duldet es keinen Zweifel, worum es in diesem Prozess gehen muss:

    Doch kam es ihm im wesentlichen darauf an, die Lücken in den Protokollen zu schließen, ein volles Geständnis auch in bezug auf die raubmörderische Absicht zu erzielen und schließlich die Leiche zustande zu bringen, von der er vermutete, es habe sie der unbekannte Autofahrer, der den Wagen des Opfers flottgemacht hatte, weggeschafft und von dem er argwöhnte, er wäre überdies mit dem ebenfalls vorgeladenen Harald Puppinger identisch.

    Natürlich verpuffen die Bemühungen des wackeren Landgerichtsrats und befördern stattdessen das Chaos der Ermittlungen. Als ihm dann ein Missgeschick unterläuft und er für Sekundenbruchteil den Reizen der vor ihm sitzenden Esmaralda zu erliegen droht, gerät sein Rechts- und Moralgefüge durcheinander. Er flüchtet sich in Tiraden gegen das weibliche Geschlecht, das die Ungeheuerlichkeit begeht, ihn, den unanfechtbaren Juristen, durch reale Oberschenkel aus dem Gleichgewicht zu bringen.

    Drachs Roman ist, wie gesagt, Justizfarce. Doch sie stellt nicht nur ein sozial ungerechtes System oder die grundsätzliche Fragwürdigkeit juristischer Logik bloß. Letztlich geht es um mehr: um die Reflexion darüber, was sich überhaupt über menschliches Handeln und seine Beweggründe sagen lässt, wo die erkenntnistheoretischen Grenzen liegen. Drach selbst hat dies in seinem Text "Meine gesammelten Misserfolge" so resümiert: Seine Schreibweise gehe davon aus, "dass das, was das Leben mit uns tut, sorgfältig protokolliert wird. Auf Wahrheit kommt es nicht an. Die Wirklichkeit ergibt sich aus Zeugenaussagen und sonstigen Beweisstücken".

    Wer Täter sucht, wird Täter finden - so die raffiniert verpackte Generalthese, und wenn zwei in der Sozialhierarchie schlecht platzierte Personen, die mit den propagierten Wertvorstellungen der Gesellschaft nichts am Hut haben, auf der Anklagebank sitzen, dann fällt es den Machtvertretern um so leichter, das Puzzlespiel der Vorurteile zu vollenden. Albert Drach steht somit in guter philosophisch-literarischer Tradition, und es ist natürlich kein Zufall, dass er damit auch eine österreichische Linie fortführt, die in ihrem Zweifel an der Wirklichkeitsdarstellung durch Sprache von Mauthner, Hofmannsthal über Musil bis hin zu Thomas Bernhard reicht.

    Das Faszinierende an Drachs Experiment liegt darin, dass das Spiel um Erkenntnis und Nicht-Erkenntnis in ein genau zu fassendes soziales Umfeld gestellt ist. Bauern, Versicherungsvertreter, Ex-Matrosen, Heurigenkellner, Viehhändler und Lehrerinnen bevölkern diese Welt, und sie sind bei aller satirischen Zuspitzung keine Abziehbilder, die der Autor nur als Demonstrationsobjekt für sein Horrorkabinett benötigt. Wo derart vom Abgründigen einer Gesellschaft gehandelt wird, verwundert es nicht, dass dem Autor Drach - eingedenk seiner Verfolgung im Dritten Reich - auch der latente Antisemitismus nicht verborgen bleibt. Er wird freilich nicht lauthals gebrandmarkt oder mit plakativen Erzählkommentaren bewiesen, sondern als selbstverständliches Alltagsgut beschrieben. So etwa in der Kurzcharakteristik eines Geschworenen:

    Karl Biblich war zwar Hilfsarbeiter, konnte aber ausreichend lesen und schreiben, war seit Geburt ortsansässig und bei öffentlichen Aufmärschen, Sammlungen und vorsichtigen Erkundigungen der Mann. Zwar sollte er in seiner Jugend an einem weit entlegenen Ort einmal jüdische Frauen und Kinder aus einem Konzentrationslager exekutiert haben, welche vor dem Feindeinmarsch weggebracht werden mußten. (...) Doch wurde ihm dergleichen von der Bevölkerung nicht übelgenommen und er mangels unzureichender Verdachtsmomente auch niemals unter Anklage gestellt.

    Esmaralda und Stella sind Frauen, und weil sie dies sind, steht ihr Tun in einer habsburgisch-patriarchalischen Welt unter Generalverdacht. Drachs Roman wiege, so der Kritiker Hermann Wallmann, eine "ganze Bibliothek feministischer Literatur" auf, und es ist in der Tat erstaunlich, dass ein knapp 70-jähriger Autor ohne Sentimentalität und mit klarem Bewusstsein für die Unterdrückungsspielregeln der Gesellschaft "Frauenliteratur" schuf, ehe dieser zweifelhafte Terminus von Schriftstellerinnen wie Karin Struck, Verena Stefan, Christa Reinig oder Brigitte Schwaiger besetzt wurde.

    Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Der knorrige Albert Drach ist kein "Frauenversteher", keiner von jenen sich einschmeichelnden Autoren, die verzweifelt versuchen, sich rechtzeitig auf die Seite der Frauen zu schlagen. Nein, "Untersuchung an Mädeln" versieht seine weiblichen Protagonisten nicht mit einem Glorienschein verfolgter Unschuld. Esmaralda und Stella werden keineswegs als Tugendhüterinnen geschildert, die den Attacken geiler Seemänner, Juristen oder Stechviehhändler hilflos ausgeliefert sind. Beide sind sich ihrer Stärken bewusst, und beide nehmen sich das ihnen angenehm Scheinende. Ihr "Vorleben" ist von sexueller Aktivität geprägt, und allein dies genügt den auf männlichen Vertretern einer gesellschaftlich geduldeten Doppelmoral, um einen streng zu bestrafenden Skandal auszumachen.

    Sexualität nimmt in Drachs Roman weiten Raum ein. Der weibliche Körper ist für die Männer dieses Provinztheaters eine Angriffsfläche, für die es keiner eigens zu beantragenden Landeerlaubnis bedarf. Esmaralda und Stella unterlaufen diesen Pakt, weil sie daraus Profit schlagen. Wenn ihnen danach ist, praktizieren sie Sex - und sei es, so in der provokantesten Romanszene, mehrfach und zu dritt auf der hygienisch vernachlässigten Toilette eines Heurigenausschanks. Die Gesellschaft, vertreten durch die unablässig agierende und protokollierende Justiz, versucht zurückzuschlagen und die tatendurstigen "Mädel" als Huren abzustempeln oder sie der "widernatürlichen" gleichgeschlechtlichen Liebe anzuklagen.

    Der Titel des Romans spricht es zweideutig eindeutig an: Keine Untersuchung "über" die beiden Frauen wird geführt, sondern eine "an Mädeln". Das voyeuristische Element dieser Verknüpfung macht aus den Freundinnen frei verfügbare Objekte. Die Doktorspiele der Justiz werden weiter und weiter betrieben. "Die Frauen kamen gar nicht in Betracht", heißt es kurz vor Abschluss der Untersuchung, und Stellas Schlusswort könnte knapper nicht ausfallen:

    Dann war das Gericht herbeigekommen, und alles hatte sich erhoben. Bevor der Vorsitzende die Belehrung und Unterweisung an die Geschworenen gab, teilte er mit, dass übersehen worden sei, jeder der beiden Angeklagten das Schlußwort zu erteilen. -Er wandte sich zunächst an Esmaralda. Die wiegte sich in den Hüften und schaute auf Dr. Permsusel, lächelte dabei, doch brachte sie nichts heraus. Man nahm daher an, dass sie sich den Worten ihres Verteidigers anschließe. - Dann kam das Wort an Stella Blumentrost. Sie erhob sich, sagte 'Ich' - und setzte sich wieder.

    So endet Drachs "Untersuchung an Mädeln". Sie mündet in den verzweifelten Appell einer Angeklagten, die sich als ich-loses Objekt behandelt fühlt und die letztlich nicht mehr als die sprachlose Beschwörung des Personalpronomens zuwege bringt. Trotz dieser eindeutigen Stoßrichtung ist Drachs Roman kein feministisches Pamphlet, das sich in Schwarz-weiß-Zeichnungen gefällt. Zum einen ist, wie erwähnt, das Bild der beiden Tramperinnen zu ambivalent, um die Zweifel an Wahrheit und Moral nicht auch auf sie beziehen zu müssen. Zum anderen ist Albert Drach vor allem ein Sprachmeister, dem es gelingt, ein Gefüge aus Nebensätzen zu komponieren, das die inhaltliche Mehrbödigkeit sprachlich abbildet.

    Man hat Drachs Sprache mit dem Etikett "Kanzleistil" bedacht und ihn in Verbindung mit dem altösterreichischen Sonderling Fritz von Herzmanowsky-Orlando gebracht. Derartige Vergleiche greifen zu kurz, denn sie unterschätzen Drachs Originalität und seine Fähigkeit, mit wenigen Sätzen hintersinnige Komik zu erzeugen. So gesehen, mag die "Untersuchung an Mädel" keine leichte Strand- oder Saunalektüre sein, doch sie bietet denjenigen Lesern ungeteiltes Vergnügen, denen stilistische Zuspitzung mehr als Hauruckhumor bedeutet. Die Drach'sche Bandbreite an Sprachspielen ist groß; sie umfasst zum Beispiel elegante Schilderungen dessen, was übermäßiger Alkoholkonsum auszulösen und wie dieser zu Stellas Bekanntschaft mit dem potenten Ex-Matrosen Puppinger zu führen vermag:

    Der Wein war gut und begünstigte mehr Genuß, als frischer Besinnlichkeit zuträglich blieb. Sowie das aufgenommene Mengenmaß bei Stella die Erstarrung der Blicke gelöst hatte, waren diese an die Theke des Ausschankes genagelt, an welcher ein Mann allein saß, der so manchen Schluck schmeckte und in sich hinuntergleiten ließ, ohne dass dadurch seine Bewegungen und anderen Daseinsäußerungen der Unsicherheit in der Ausführung unterworfen worden wären.

    Besonders ausgeklügelt setzt Drach das Stilmittel des Zeugmas ein, jener rhetorischen Figur die innerhalb eines Satzes scheinbar Unzusammenhängendes gewitzt zusammenschließt. "Er schlug die Tisch' und Vögel tot", heißt ein Zeugma im "Struwwelpeter", während Adelbert von Chamisso sich dies in seinem Satz "Er brach das Siegel auf und das Gespräch nicht ab" zunutze machte. Drach verwendet das Zeugma vor allem dort, wo er Sachverhalte und das Unangemessene der offiziellen Logik bloßstellen will. Über die Nichte einer Nebenfigur heißt es, sie sei "früher kurzfristig von dem stämmigen Frauenliebhaber an sich und auf Abwege gebracht worden", und Wirtshauszecher, die Gefallen an Esmaralda und Stella finden, werden als Männer beschrieben, "die einem der beiden Mädel, vielleicht sogar allen zweien freundlich mit Liebesgaben unter die Arme und wohl auch zwischen die Beine gegriffen haben würden".

    Die komische Kunst Albert Drachs besteht so darin, die Leser fortwährend in sein Geflecht des Zusammenhanglosen hineinzuziehen. Großes und Kleines, Banales und Bedeutsames fügen sich zusammen und schaffen einen Hallraum für Komik. Wenn die Kurzvita eines Geschworenen einsetzt mit "Franz Nöcker war von großer Gläubigkeit, sein Vater aber unbekannt", so gerät das System logisch-rationaler Welterklärung allein dadurch in Verruf, dass es sprachlich denunziert wird.

    Als Albert Drach 1988 mit dem Büchner-Preis geehrt wurde, ereiferte sich der Kritiker Marcel Reich-Ranicki über diese Entscheidung. Er lobte die Person Drach als "ungewöhnlich mutigen Mann" und tat das Werk mit links ab: "Hat man diese Bücher tatsächlich zu Unrecht kaum wahrgenommen? Ich glaube es nicht." Leichtfertiger kann man mit einem großen Romancier nicht umgehen. Es ist höchste Zeit, Albert Drach auf ein Neues wiederzuentdecken. Und es derzeit möglich, dies auf zweierlei Weise zu tun: Eva Schobel hat im Residenz Verlag unter dem Titel "Albert Drach. Ein wütender Weiser" eine erste umfängliche Biografie vorgelegt, die mehr durch Solidität denn durch Eleganz besticht, während die Edition des Zsolnay Verlags in den nächsten Jahren vorzügliche Gelegenheit bieten wird, ein großes Œuvre zu studieren - zum Beispiel Drachs vielleicht besten Roman, die "Untersuchung an Mädeln".