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Untersuchung von Transparency International
Von der EU-Kommission zu Goldman Sachs

Was passiert, wenn politische Entscheidungsträger den Job wechseln? Die Organisation Transparency International hat zum ersten Mal umfassend untersucht, wie ehemalige EU-Kommissare und EU-Parlamentarier ihre Insiderkenntnisse und Verbindungen nach ihrem Abschied von Brüssel weiter beruflich nutzen.

Von Ralph Sina | 31.01.2017
    José Manuel Barroso bei seinem Abschied als Präsident der EU-Kommission in Brüssel
    José Manuel Barroso bei seinem Abschied als Präsident der EU-Kommission in Brüssel (dpa / picture alliance / EPA / Olivier Hoslet)
    "Wir wollen das Europa funktioniert" lautete einer der Lieblingssätze von Jose Manuel Barroso. Für den ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten hat sich Europa ganz persönlich ausgezahlt. Denn der Juncker-Vorgänger bringt sein EU-Insider-Wissen hoch dotiert als Berater bei Goldman Sachs ein. Der EX-Kommissionspräsident hatte nach zehn Jahren Amtszeit in Brüssel die vorgeschriebene Wartezeit von 18 Monaten nicht nur eingehalten, sondern um acht Wochen überschritten. Doch der Imageschaden für die EU und ihre Kommission ist durch Barrosos Wechsel zu Goldman Sachs ist beträchtlich. Der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz reagierte aufgebracht.
    180.000 Euro Verdienst - mit Genehmigung der EU-Kommission
    Solche Interessenkonflikte hätten keinen Platz in der EU kritisierte Martin Schulz via Twitter. Das Verhalten ehemaliger EU-Kommissare müsse nicht nur rechtlich einwandfrei sein, sondern auch vorbildlich. Doch Barroso ist nur das prominenteste Beispiel für den lukrativen Drehtüreffekt zwischen Brüssels EU-Institutionen und der Wirtschaft. Ex-EU-Kommissarin Viviane Reding, mittlerweile Abgeordnete des EU-Parlamentes, verdient als Beraterin des Agfa-Gevaert-Konzerns und als Kuratorin der Bertelsmann-Stiftung bis zu 180.000 Euro pro Jahr. Mit ausdrücklicher Genehmigung der EU-Kommission. Skrupellos agierte die ehemalige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. Sie war mehrere Jahre parallel zu ihrem Job in Brüssel Direktorin einer Briefkastenfirma auf den Bahamas, ohne dass sie die EU-Kommission darüber informierte.
    Für Transparency International waren die Fälle Barroso und Kroes ein Anlass, zum ersten Mal umfassend zu untersuchen, wie 27 ehemalige EU-Kommissare und 485 ehemalige EU-Parlamentarier ihre Insiderkenntnisse und Verbindungen nach ihrem Abschied von Brüssel weiter beruflich nutzen. Die Ergebnisse der Recherchen stellt Transparency International heute in Brüssel vor. Für mehr Transparenz im EU-Parlament tritt der grüne EU-Parlamentarier Sven Giegold ein. Sowohl was die Jobs nach dem Ende des Mandats angeht. Als auch Nebentätigkeiten während der Arbeit im Parlament und Kontakte zu Lobbyisten. "Untersagt werden soll, dass Abgeordnete – während sie Abgeordnete sind - bezahlt als Lobbyisten tätig sind."
    Der Drehtüreffekt setzt manchmal schon vorher ein
    Doch Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale blockieren das Nebentätigkeitsverbot. "Wenn jemand nichts mehr nebenher macht dann sagen manche Bürger, der hat vom richtigen Leben keine Ahnung mehr. Macht man aber etwas nebenher dann entsteht gleich der Eindruck man könne den Hals nicht voll genug kriegen", meint der CDU-Europaparlamentarier Rainer Wieland. Nach Ansicht des Rechtsanwaltes "muss die Entscheidung jeder Abgeordnete selber treffen."
    Die Entscheidung getroffen hat EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Liberalen, der gerne Nachfolger von Parlamentspräsident Martin Schulz geworden wäre. Allein als Aufsichtsrat einer belgischen Investmentfirma belaufen sich Verhofstadts jährlichen Nebeneinkünfte auf 145.000 Euro.
    Der Drehtüreffekt Richtung Wirtschaft setzt also für einige Kommissare und Parlamentarier nicht erst ein, wenn sie Brüssel verlassen.