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Unterwegs im finnischen Wald
Ein herbstliches Schlaraffenland

Der Wald hat für viele Finnen eine ganz besondere Bedeutung. Hier finden sie Erholung, hier treffen sie sich mit Freunden und Familie. Jetzt, im Herbst, bietet die finnische Wildnis besonders viele Leckereien: Pilze, unzählige Beeren und sogar Fisch. Die Speisekammer ist sozusagen voll.

Von Bettina Schmieding | 28.09.2014
    Ein idyllischer Waldsee im finnischen Lappland.
    Ein idyllischer Waldsee im finnischen Lappland. (picture-alliance / dpa /Hinrich Bäsemann)
    "We have got Fruittrees, Pinetrees and these Birchtrees, these three trees are the most typical in Finish forest. This is our business and this is our live as well."
    Wenn Timo Alakesti an seine Heimat denkt, dann biegen sich in seiner Vorstellung die Bäume im Wind. Finnland ohne Wald - nicht vorstellbar. Pinien und Birken sitzen den Finnen in der Seele, sagt er. Timo kommt hierher, um sich zu erholen. Aber die Finnen lieben ihren Wald auch für seine ganz praktischen Vorteile. Seitdem er als Kind mit seinen Eltern im Herbst durch die Wälder Finnlands streifte, sammelt Timo Beeren und Pilze.
    Ganz offensichtlich kennt sich Timo mit Pilzen aus. "Ich lebe noch", lacht der durchtrainierte Mann mit den kurz geschorenen Haaren. Dass die Finnen im Herbst mit großen Körben voll mit Beeren und Pilzen aus den Wäldern marschiert kommen, und nicht, wie in Deutschland vom Förster spätestens auf dem Parkplatz gestoppt werden, hat mit einer Besonderheit der finnischen Kultur zu tun. Dem Jedermannrecht. Jeder darf überall in den Wald und pflücken so viel er will und tragen kann.
    "Für uns bedeutet das Freiheit. Jeder darf ohne die Erlaubnis des Eigentümers in den Wald gehen. Auch Ausländer dürfen das."
    Wilde Preiselbeeren, süß und sauer und ein bisschen bitter zugleich, sind gerade in Hülle und Fülle zu finden. Und dieser Überfluss ist natürlich nicht spurlos an der finnischen Küche vorbei gegangen.
    Die gemeine finnische Preiselbeere ist als Marmelade, Suppe, Saft, gefroren oder gekocht ein Kulturgut und Schnäppchen gleichermaßen. Aus der finnischen Küche jedenfalls ist sie nicht mehr wegzudenken. Ein weiteres kulinarisches Kulturgut ist die schwarze Wurst, die, da sind sich die Finnen einig, ohne Preiselbeersoße nicht funktioniert.
    Die schwarze Wurst aus Schweineblut, die unerfahrenen Finnlandurlaubern sogar beim Hotelfrühstück auflauert, wird also, sagt Mari, in Scheiben geschnitten und in die rote Soße getunkt. Kenner genehmigen sich dazu übrigens ein Glas kalte Milch. Aber heute gibt es keine schwarze Wurst, heute gibt es Fisch. Timo arbeitet bei einem Unternehmen für Waldabenteuer namens Tapahtumatuotanto. Wer das schon für unaussprechlich hält, der versuche sein Glück mit der Internetadresse dieser Firma. Für Sprachübungen bleibt keine Zeit, Timo drängt zum Aufbruch.
    Sein Freund Kari Laari startet den Geländewagen und verspricht ein leckeres Mittagessen.Die Familie von Kari hat seit Generationen mitten im Wald bei Tampere eine Hütte, einen kleinen See und 60 Hektar Land. Sommerhütte heißt auf Finnisch übrigens:
    "Kesamökki"
    Die Waldhütte als Heiligtum
    Jeder Finne hat eine Hütte, oder kennt jemanden, der eine Hütte hat. Wer im Hochsommer eine Stadt besucht, wundert sich über die vielen leeren Restaurants und Straßen. Der Finne an sich schmort dann wahrscheinlich gerade in der Sauna seiner Kesamökki an einem der 190.000 kleinen oder großen Seen des Landes. Auch Kari verbringt die Sommer in dem Holzhaus, das sich die Familie 100 Kilometer von Tampere entfernt gebaut hat. Die Hütte am Forellenteich dagegen vermietet der 50-Jährige und verdient so ein bisschen Geld damit, Nicht-Finnen seine Version eines finnischen Walderlebnisses zu zeigen. Kommen wir jetzt zu Lektion drei der wichtigsten finnischen Wörter.
    "Hussi"
    Zu einem richtigen finnischen Walderlebnis gehört ein Hussi, wie die Preiselbeersoße zur Mustamakkara. Und irgendwie hat das Hussi ja auch mit der Blutwurst zu tun. Plumpsklos sind den Finnen so wichtig, dass sie alljährlich einen Wettbewerb für das schönste Exemplar dieses nationalen Erbes ausloben. Und sogar mal einen ganzen Briefmarkensatz mit den Preisträgern gestaltet haben. Im richtigen Leben, wobei man sich mit Kari trefflich darüber streiten kann, was sein richtiges und sein nicht-richtiges Leben ist, in seinem Stadtleben also ist Kari, der uns das Fischen zeigen will, übrigens Dozent an einer Polizeiakademie. Er hat auch mal mitten in der Hauptstadt gelebt. Das war furchtbar, erinnert sich der Mann im karierten Holzfällerhemd, während er das Feuer der Grillstelle anzündet.
    "Es ist schon fast betäubend. Wenn ich mit meinem Hund losziehe und dieser vollkommenen Stille zuhöre, entspannt mich das und der ganze Stress verschwindet."
    Vor das Entspannen am Esstisch mitten im Wald hat der Gott der Kulinarik in Finnland das Angeln gesetzt. Zum Glück ist es kühl. Das heißt, auch die Fische haben Hunger.
    Der Teich ist so voll, dass man sich wundert, dass die Forellen nicht gleich freiwillig auf den Grill hüpfen. Und deshalb ziehen hier selbst Angel-Analphabeten nach kürzester Zeit einen Mords-Brummer aus dem Tümpel.
    Die Lachsforelle ist nicht sehr groß, aber muskulös und heißt übrigens Lohi. Fisch schmeckt am besten, wenn man ihn selber fängt, meint Kari –zum Angeln gehört aber auch das Töten des Fisches.
    Sobald das Blut herausgelaufen und der Bauch ausgenommen ist, wäscht Kari die Forelle im See aus, streut etwas Salz auf den Fisch und legt ihn auf den Grill. Ein bisschen gutes Brot und etwas Gemüse, mehr braucht kein Finne, um glücklich zu sein. Die Forelle brutzelt auf dem Grill, wer will, kann vor dem Essen noch rasch in die Sauna und zum Abkühlen in den See springen.
    Einige Kilometer weiter im Seitseminen Nationalpark trägt Eira-Maija Savonen ihren Eimer durch den Wald. Ein wunderbarer Spätsommertag, trocken und sonnig, aber nicht zu heiß.
    Finnland ist für Pilzsammler ein Eldorado.
    Finnland ist für Pilzsammler ein Eldorado. (picture alliance / dpa / Smirnov Vladimir)
    "Wenn ich in den Wald gehe, nehme ich immer einen Eimer mit. Diesen hier habe ich zum Beerenpflücken dabei. Und ich nehme auch einen Korb für die Pilze mit und ein spezielles Pilzmesser. Und seit neuestem habe ich auch ein GPS-Gerät, man weiß ja nie. Nur zur Sicherheit."
    Eira-Maija ist eine große und kräftige Frau von Ende 50 - ihre Kleidung eher auf der praktischen als auf der schicken Seite. "Meine Hände sind schwielig und immer ein bisschen schmutzig", lächelt sie und reibt sich die Erde von den Fingern. 100 Liter Blaubeeren sammelt sie pro Saison, dann noch arktische Moosbeeren und Pilze und alles, was sie so an Essbarem findet. Im Spätsommer und Herbst ist der Wald eine große Speisekammer, sagt Eira.
    Beerensammeln als zweites Standbein
    Für manche Finnen ist das Beeren- und Pilzesammeln zu einer zweiten Einnahmequelle geworden. Es wurden sogar schon Wanderarbeiterinnen aus Thailand im Wald gesichtet. Und Eira kennt einen Mann, der sich nur durch das Beerensammeln ein ganzes Haus finanziert hat.
    Die Gegend wird ein bisschen moorig. Wir balancieren auf Holzbohlen, durch die Bäume blitzt silbern ein Waldsee. Grob gehauene Balken gruppieren sich um einen Rastplatz. Direkt am Seeufer steht ein winziges grünes Steildachzelt. Esinumin und seine Frau haben sich fürs Wochenende hier einquartiert. Über dem Lagerfeuer hängt eine Kanne aus Metall, getrunken wird der Kaffee aus einer Kuksa.
    Die Finnen lieben diese Holztassen, die sie speziell für Waldwanderungen benutzen und die sie nie verleihen würden. Esinumin kommt am liebsten im Winter hierher. Keine Mücken und weniger Mitmenschen, sagt er mit ernster Miene. Der schlanke Mann mit dem geschorenen Kopf bringt sich dann einen Holzofen mit, macht sich ein Bett aus Zweigen und wundert sich, wie warm das mitten im Winter sein kann.
    Wenn er im Wald ist, höre er manchmal seine eigenen Gedanken. Und dann fällt ihm auf, wie klein und unbedeutend wir Menschen eigentlich sind. Bevor die Sonne untergeht, will Eira noch ihr Abendessen sammeln. Ihren walderfahrenen Augen entgeht kein essbarer Pilz. Es gab mal eine Zeit, da haben die Pilze den Finnen das Leben gerettet.
    "1860 gab es eine Hungersnot in Finnland. Wie in den meisten Teilen von Europa übrigens. Das Klima hatte sich extrem gewandelt. Unsere Seen waren noch im Juni zugefroren und die Leute hungerten. In dem Moment lernten die Finnen, wie man mit Pilzen umgeht."
    Dicke braune Pilze knubbeln sich in kleinen Gruppen unter den Bäumen. Heute Abend wird es einen Salat geben – mit Pilzen, Zwiebeln und saurer Sahne. Und den Nachtisch hat Eira schon mal vorgekostet.
    "It is a blueberry. Still quite good."