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Untröstliche Trostfrauen

Trostfrauen wurden die 200.000 Mädchen aus der asiatischen Nachbarschaft genannt, die im Zweiten Weltkrieg von Japan in Frontbordelle verschleppt wurden. Die wenigen überlebenden Frauen demonstrieren bis heute jede Woche vor der japanischen Botschaft in Seoul - und fordern Entschuldigung.

Sonja Ernst | 10.12.2011
    Ein Mittwochnachmittag, mitten in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas. Rund 50 Demonstranten haben sich vor der japanischen Botschaft aufgestellt. Mitten drin sitzt Yi Ok-Seon, eine kleingewachsene Dame, auf einem Klappstuhl: Die 84-Jährige beobachtet erschöpft ihre Umgebung. Eine ruhige Nebenstraße im Zentrum der Millionenstadt, links und rechts ragen Hochhäuser in den Himmel.

    Seit 1992 wird hier jeden Mittwoch demonstriert. Im Laufe der Jahre ist Yi Ok-Seon zu einer der Hauptfiguren des Protests geworden – gemeinsam mit sechs weiteren alten Damen. Ihre Forderung ist klar: Die japanische Regierung soll sich endlich entschuldigen für das, was sie erleiden mussten. Sie alle wurden als Mädchen im Zweiten Weltkrieg von Japans Militär an die Front verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Man nannte sie "Trostfrauen"; sie sollten die Soldaten "aufheitern", so die zynische Umschreibung.

    Yi Ok-Seon schämt sich bis heute für das, was man ihr angetan hat.

    Wenn die alte Dame nicht vor der japanischen Botschaft mit den anderen protestiert, sitzt sie meist in ihrem Zimmer im "Haus des Teilens", einer privaten Einrichtung in der Nähe von Seoul: Es ist ein Zuhause für ehemalige Trostfrauen. Wenn die Erinnerungen Yi Ok-Seon einholen, dann zieht sie ihre Karten hervor und spielt.

    Gerade einmal 15 Jahre war sie alt, als sie 1942 von Soldaten aus dem Süden Koreas nach Nord-China verschleppt wurde.

    "Der Alltag bestand darin, geschlagen zu werden. Immer wieder. Wir Mädchen waren zwischen 11 und 15 Jahren alt. 40 bis 50 Soldaten mussten wir bedienen – jeden Tag. Dafür haben wir uns fast zu Tode gearbeitet. Wie hätten wir uns das jemals vorstellen können? Wir waren nicht verheiratet; wir waren ja zuvor noch nicht einmal mit einem Mann ausgegangen."

    Bedienen. So nennt das Yi Ok-Seon – wenn sie eigentlich Zwangsprostitution meint. Sie sitzt auf ihrem Bett und blickt zu Boden. Sie hat weiße, kurze Haare; trägt eine Brille. Auf einem kleinen Schrank hat sie ihren privaten Altar aufgebaut: Kerzen, ein Kreuz, eine Figur der heiligen Maria.

    Als Yi Ok-Seon 1927 geboren wird, ist Korea bereits japanische Kolonie. Und Japan will mehr. Es überzieht seine Nachbarn mit einem Eroberungsfeldzug: Das Militär rückt vor bis China, Birma, die Philippinen.

    Japans Armeeführung organisiert an den Fronten systematisch den Bau von Bordellen mit Zwangsprostituierten. Offiziell geht es darum, Massenvergewaltigungen in den Kriegsgebieten zu verhindern. Auch will man Soldaten auf diese Weise vor Geschlechtskrankheiten schützen – und ihre Kampfeslust steigern.

    Schätzungsweise 200.000 junge Frauen werden meist gewaltsam in solche Frontbordelle verschleppt. Die meisten sind minderjährig und kommen aus Korea, aber auch China, Taiwan, Indonesien. In den Bordellen herrschen Hunger und Gewalt.

    Mehrmals versucht Yi Ok-Seon zu fliehen:

    "Einmal sollte ich mich entschuldigen und versprechen, dass ich nie wieder flüchte. Aber ich weigerte mich. Sie brachten mich zur Militärpolizei. Die hatte jegliches Recht; sie konnte Menschen leben lassen oder sie einfach töten. Sie traten mich mit ihren schweren Stiefeln. Ich fiel hin, stand wieder auf, fiel wieder hin. Sie haben mich getreten wie einen Fußball."

    Yi Ok-Seon überlebt. Fast drei Jahre lang muss sie in einem der Frontbordelle ausharren.

    Bis heute empfindet sie große Scham über das, was man ihr angetan hat. Dieser Makel, wie sie sagt, hält sie 1945 nach Kriegsende davon ab, nach Korea zurückzukehren. Was hätte sie ihren Eltern erzählen sollen?

    Sie bleibt in China und hat Glück: Sie lernt einen Koreaner kennen, ihm kann sie sich anvertrauen, heiratet ihn schließlich. Erst nach dem Tod ihres Mannes kommt Yi Ok-Seon im Jahr 2001 zurück nach Südkorea, hierher ins "Haus des Teilens".

    Mittagessen. Auf den Portionstellern klappern die metallenen Stäbchen. Im Speiseraum hängt der Duft von Eiern, eingelegtem Kohl und scharfen Gewürzen.

    Yi Ok-Seon sitzt an einem großen Holztisch gemeinsam mit sieben anderen ehemaligen Trostfrauen. Die Jüngste ist 83, die Älteste 90.

    Über ihr Schicksal wurde jahrzehntelang geschwiegen. Zwangsprostitution war nach dem Krieg ein Tabuthema – in Japan und in Korea. Bis vor 20 Jahren die erste Trostfrau begann, über ihre Vergangenheit zu sprechen. In Südkorea meldeten sich in den folgenden Jahren 235 Frauen, weltweit waren es 700. Und die Frauen wurden politisch aktiv. Denn bis heute hat sich Japan offiziell nicht entschuldigt und keine Entschädigungen gezahlt.

    "Es ärgert mich, wie sich Japan verhält. Wir Frauen haben Spuren an unseren Körpern, von Messern, von Patronen; so klar sind die Beweise. Wie können sie da sagen, das sei alles eine Lüge?"

    Yi Ok-Seon kämpft. Ihre Waffe: ihre Geschichte. Sie hat sie in Japan erzählt, in den USA und in England. Auch das Leben im "Haus des Teilens" ist Teil ihrer Entscheidung, sich sichtbar zu machen. Regelmäßig kommen Schüler und Studenten hierher. Auch aus Japan kommen Gäste. Sie besuchen das Museum, das direkt neben dem Wohnhaus steht und das Schicksal der Trostfrauen aus Korea und ganz Asien dokumentiert.

    Yi Ok-Seon hofft, dass sich Japans Regierung irgendwann doch noch zu einer Wiedergutmachung entschließt. Ihr eigentlicher Wunsch aber ist nicht zu erfüllen: Die Zeit als Zwangsprostituierte ungeschehen zu machen. Doch zumindest das Erzählen hilft – auch gegen ihre Wut auf Japans Regierung.

    "Sie sollten zugeben, dass sie uns gekidnappt und gewaltsam verschleppt haben. Dass sie uns kaputt gemacht haben. Sie sollten ihre Fehler zugeben, doch das tun sie nicht. Deshalb fühlen sich unsere Herzen noch immer so schwer an. Aber wenn ich meine Geschichte erzähle, befreit mich das. Deshalb will ich davon berichten."

    Vor der japanischen Botschaft reckt Yi Ok-Seon ihre Hand in die Höhe. Ein letztes Mal braust die kleine Menge auf. Doch die Forderungen verpuffen. Die Fenster der Botschaft bleiben verschlossen. Kommende Woche wird Yi Ok-Seon wieder hier sitzen. Wieder auf ihrem Klappstuhl in der ersten Reihe. Mit 84 Jahren hat sie nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Eine offizielle Entschuldigung Japans drängt, für Yi Ok-Seon wär es eine späte Genugtuung.