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"Unverantwortlich"

In der Frage des Bleiberechts ist innerhalb der Koalition strittig, wie viel Zeit den Ausländern für die Arbeitssuche eingeräumt werden soll. Während Union und SPD eine Frist bis Ende 2009 favorisieren, verlangt der bayerische Innenminister Beckstein als Termin den September dieses Jahres. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Leutheusser-Schnarrenberger sagte, dies sei zu kurzfristig. Man müsse den Menschen genug Zeit lassen, für sich selber sorgen zu können.

Moderation: Jochen Spengler | 05.03.2007
    Jochen Spengler: Heute Abend versammeln sich die Spitzenpolitiker der Großen Koalition zur Runde im Kanzleramt. Übers Wochenende haben sie sich schon mal wie üblich mit Interviews in Stellung gebracht und verlauten lassen, was alles mit ihnen geht und vor allem was mit ihnen nicht geht. An vorderster Front die CSU. Der aktuellen Streitpunkte gibt es vor allem drei. Punkt 1: Wie sollen die gewünschten zusätzlichen Kinderbetreuungsplätze bezahlt werden? Punkt 2: Sollen in Deutschland Mindestlöhne eingeführt werden? Und Punkt 3: Welchen Kompromiss soll es beim Bleiberecht für geduldete Ausländer geben?

    Einen, den letzten der Koalitionsstreitpunkte wollen wir herausgreifen und näher beleuchten. Es geht um das Thema Bleiberecht. Wir sprechen über fast 200.000 Ausländer, die nicht die formalen Kriterien für eine Einbürgerung oder für den Status des anerkannten Asylbewerbers erfüllen. Fast die Hälfte von ihnen wird seit mindestens zehn Jahren in Deutschland geduldet, das heißt nicht abgeschoben.

    Am Telefon ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Innenpolitikerin und derzeit in ihrem Wahlkreisbüro in Tutzing. Guten Tag Frau Schnarrenberger.

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Tag!

    Spengler: Nun wollte man ja jenen Ausländern, die schon seit Jahren geduldet werden, die Möglichkeit eines Daueraufenthaltsrechts eröffnen. Warum ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Aus meiner Sicht ist das sinnvoll, damit einmal diejenigen, die jetzt alle monateweise hoffen müssen, eine Duldung zu bekommen, dann auch einen sichereren Rechtsstatus haben und dann natürlich auch erstmals die Chance haben, überhaupt auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden. Und ich finde auch aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland ist es gut, wenn wir nicht nur aus humanitären Gründen endlich wegkommen von dieser monateweisen Verlängerung von Duldungen mit erheblichem bürokratischen Aufwand, sondern wenn wir einfach akzeptieren, dass hier Menschen da sind, die hier weitestgehend schon integriert sind und die vor allen Dingen zu Hause keine Perspektive haben und wo es wirklich auch eine humanitäre Verantwortung ist, ihnen die in begrenztem Umfang dann auch in Deutschland zu geben.

    Spengler: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, sagen Sie uns kurz, warum darf man die nicht abschieben? Warum kann man sie nicht abschieben?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das sind häufig sehr unterschiedliche Gründe. Das liegt daran, aus welchem Land diese Menschen kommen. Zum Teil sind es Menschen, die kommen aus Ländern, wo es früher Bürgerkrieg gegeben hat, also aus den früheren Balkan-Staaten. Da ist alles so verändert und durcheinander. Menschen sind vertrieben worden. Es sind jetzt Ethnien in bestimmten Bereichen konzentriert worden, dass Sie Menschen gar nicht dahin zurückschicken können wo sie herkommen, weil dort zum Beispiel Serben, Bosnier oder Albaner nicht mehr leben können aufgrund der Veränderungen in den letzten Jahren. Es sind aber auch Menschen, die aus Ländern kommen, wo sie letztendlich alles verloren haben, wo es vielleicht eine Innlandsperspektive wie im Irak geben mag, im Norden nämlich, wo sie aber einfach sehen müssen, dass sie Menschen dort doch ohne jegliche Chance auf Ausblick zurückschicken, besonders die Kinder, die ja in Deutschland zum Teil in die Schule gehen und hier eine Chance haben, einen Schulabschluss zu machen. Ich denke das sind sehr unterschiedliche Fälle, traumatisierte Flüchtlinge, die schon aus diesen Gründen nicht zurückgeschickt werden können, weil sie hier auch eine Behandlung brauchen. Sehr viele Einzelfälle also, die es wirklich rechtfertigen, hier wie schon vor Jahren auch einmal geschehen zu einer Bleiberechtsregelung zu kommen.

    Spengler: Das ist nicht nur die Haltung der FDP, der Grünen, sondern auch von CDU und CSU und SPD. Die entscheidenden Politiker, die in der Großen Koalition sitzen, hatten sich ja schon darauf geeinigt, dass diese Menschen dauerhaft bleiben können, vorausgesetzt sie können eine Arbeit nachweisen. Lassen wir jetzt mal dahingestellt, bis wann sie das nachweisen müssen, aber was ist genau mit Arbeit gemeint? Ist das zum Beispiel Zeitarbeit, oder ist das eine richtig feste Stelle?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist nach dem bisherigen Kompromiss nicht allein auf ein dauerhaftes Arbeitsbeschäftigungsverhältnis festgelegt. Das kann auch ein Beschäftigungsverhältnis sein, was vielleicht derzeit befristet ist, aber wo eine Chance besteht, dann dauerhaft beschäftigt zu sein. Es kann auch zum Beispiel ein Berufsausbildungsarbeitsverhältnis sein, das dann auch die Chance in sich birgt, danach wieder weiter beschäftigt zu werden. Also verschiedene Formen, nicht nur ein Dauerarbeitsplatz und das ist ja auch richtig, denn die konnten ja häufig gar keinen Dauerarbeitsplatz bekommen, weil sie in diesem Status der Duldung gar nicht das Recht hatten, sich so um Arbeit zu bemühen.

    Spengler: Jetzt ist der aktuelle Streit darum: Bis wann muss man die Beschäftigung nachweisen? Bayern sagt jetzt, wir wollen das, was die Innenminister von Bund und Ländern mal vereinbart haben, nämlich September dieses Jahres. SPD und Union sagen, vor allem die CDU sagt, wir haben uns geeinigt auf Ende 2009. Was macht da eigentlich den Unterschied aus?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist ein ganz großer Unterschied, denn wenn sie nur die Frist September 2007 nehmen, dann werden sie einen Großteil der Menschen letztendlich nicht einen gefestigten Aufenthaltsstatus geben, sondern sie ausweisen und abschieben, weil sie bis dahin einen Arbeitsplatz vielleicht nicht werden vorweisen können.

    Spengler: Darf ich ganz kurz dazwischenfragen. Wieso kann man sie dann abschieben, wo man sie doch bislang aus humanitären Gründen nicht abschieben konnte?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Rechtlich sind ja humanitäre Gründe, gerade die, die ich Ihnen genannt habe, nicht in jedem Fall so in unserem Gesetz als Abschiebungshindernis anerkannt, so dass politisch, rechtlich, juristisch das möglich wäre, in meinen Augen politisch, humanitär unverantwortlich wäre.

    Spengler: Also Sie sagen auch es muss auf jeden Fall dieser Termin 2009 sein, damit die eine Chance haben?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, natürlich muss das der Termin 2009 sein, denn man muss einmal sehen: worum geht es. Es geht darum, dass Menschen, die eben jetzt vielleicht anfangen, aufgrund dessen, dass es ihnen erlaubt wird, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern, ja aus der sozialen Versorgung von Seiten des Staates hineinkommen können in eine eigene Versorgung in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Von daher ist es falsch zu sagen, hier wandern Menschen ein in unsere Sozialsysteme. Es geht darum, wie viele rauswandern können aus unseren sozialhilferechtlichen Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz und anderen sozialen Gesetzen hinein in eine Selbstversorgung.

    Spengler: Was steckt hinter dem Argument der CSU?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Hinter dem Argument der CSU steckt zum einen eines - und das hat ja Günther Beckstein heute ganz klar und schonungslos gesagt. Die CSU will sich den Wählerinnen und Wählern gegenüber darstellen als die Partei, die - so sagt er - keine Milde walten lässt im Ausländerrecht. Also harte Kante im Ausländerrecht.

    Spengler: Die SPD sagt, das ist aber jetzt gar nicht Ländersache, sondern das ist Sache des Bundes. Hat sie damit Recht?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist Sache des Bundes, da es hier um eine bundeseinheitliche Regelung geht, denn es kann ja nicht sein, dass jedes Land versuchen würde, Eckpunkte dann nach eigenen Vorstellungen auszulegen und anzuwenden. Deshalb geht es jetzt darum, dass ein bundeseinheitliches Gesetz kommt. Aber es gilt der Grundsatz: das muss im Koalitionsausschuss einstimmig erfolgen. Von daher hat die CSU jetzt hier den Hebel, das zu verhindern. Wenn sie das aber wirklich tun sollte, dann wird sie verantwortlich dafür sein, dass es überhaupt keine aufenthaltsrechtlichen Regelungen geben wird und dass dann Deutschland zurückfällt gerade auch in der Europäischen Union. Das hielte ich auch für unverantwortlich.

    Spengler: Das war Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Innenpolitikerin. Danke für das Gespräch, Frau Schnarrenberger.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Bitte schön!