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Unzufriedenheit mit Koalitionskompromissen

Nach der Sitzung des Koalitionsausschusses haben sich Politiker von SPD und Union gegenseitig fehlende Bereitschaft zu Zugeständnissen an den jeweiligen Regierungspartner vorgeworfen. Der saarländische SPD-Landeschef Heiko Maas sieht durch die starre Haltung der CDU zum von seiner Partei geforderten Mindestlohn das Koalitionsklima belastet. Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, beklagte in Bezug auf die Pflegereform, "dass die SPD programmatisch nicht mehr bewegungsfähig ist".

Moderation: Christine Heuer | 19.06.2007
    Christine Heuer: Bis drei Uhr morgens haben die Spitzen der Koalition über den Mindestlohn und die Reform der Pflegeversicherung beraten. Am Telefon begrüße ich den saarländischen SPD-Chef Heiko Maas, einer der es im Wahlkampf gegen die Linke und Oskar Lafontaine besonders schwer haben dürfte. Guten Morgen, Herr Maas!

    Maas: Guten Morgen!

    Heuer: Nun steht also fest, es wird keinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Wie, glauben Sie, kommt das bei den SPD-Wählern an?

    Maas: Ich glaube, es geht nicht in erster Linie darum, wie das bei den Wählern ankommt, sondern es gibt in Deutschland ein Problem mittlerweile in vielen Branchen, das viele Menschen betrifft. Acht Millionen Menschen arbeiten zurzeit im so genannten Niedriglohnsektor, und ein nicht unerheblicher Teil davon wird in Deutschland mit Hungerlöhnen abgespeist. Dagegen wollen wir was tun. Das heißt, dass diejenigen, die einen Job haben, ihr Leben und wenn es geht auch ihre Familie davon ernähren können. Dafür brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn. Dass das Entsendegesetz jetzt ausgeweitet wird auf zehn bis zwölf Branchen, das kann für etwa vier Millionen Arbeitnehmer eine gute Sache sein, aber es bleibt darüber hinaus die Notwendigkeit, alle Branchen zu erfassen, und dafür braucht man einen gesetzlichen Mindestlohn. Deshalb muss das Thema auf der Tagesordnung bleiben, völlig unabhängig davon, was die Koalition jetzt in einem Kompromiss vereinbart hat.

    Heuer: Also es wird das Wahlkampfthema geben. Herr Maas, dass die Wähler nicht so interessant sind oder die Reaktion der Wähler, dass Sie das sagen, das überrascht mich jetzt ein bisschen, denn im März haben Sie gesagt, die SPD müsse sich beim Mindestlohn durchsetzen, weil dann das soziale Profil der SPD sehr viel deutlicher wird. Gilt jetzt auch der Umkehrschluss? Haben Sie heute Nacht soziales Profil verloren?

    Maas: Nein. Das Profil der SPD ist ja nichts anderes als eine Konsequenz aus dem, was wir in dieser Regierung zu Stande bringen oder eben nicht. Das Thema Mindestlohn ist für uns ein sehr wichtiges Thema, im Übrigen für viele Menschen, die es betrifft, auch. Ich hätte mir gewünscht, dass die CDU sich an dieser Stelle bewegt. Es ist ja nicht an der SPD gescheitert, sondern an der CDU, und ich gehe davon aus, dass dies das Regieren in der Großen Koalition nicht einfacher machen wird, sondern schwieriger machen wird, denn die CDU hat sich in einer zentralen Frage, wie ich finde, nicht ausreichend bewegt.

    Heuer: Was heißt schwieriger? Heißt das, dass Sie ein Ende der Großen Koalition, ein vorzeitiges Ende ins Auge fassen?

    Maas: Nein, das würde ich jetzt so apodiktisch nicht sagen. Aber es ist doch vollkommen klar: Die SPD hat sich in den letzten Monaten in vielen Punkten sehr auf die Union zubewegt. Ich nenne nur mal das Thema Unternehmenssteuerreform, um einen Kompromiss dann auch möglich zu machen. Und ich stelle fest, dass hier in einer zentralen Frage die CDU allenfalls Trippelschritte vorangekommen ist. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das positiv auswirkt auf das Klima in der Großen Koalition, denn es kann ja nicht sein, dass die einen sich immer bewegen und die anderen einfach immer nur Njet sagen. Das macht es sicherlich schwieriger, in Zukunft Kompromisse zu finden, denn die SPD muss daraus ja auch ihre Konsequenzen ziehen.

    Heuer: Wäre doch eine mögliche Konsequenz, Herr Maas, doch rot-rote Bündnisse auf Bundesebene ins Auge zu fassen, denn die Linke ist ja zum Beispiel was den Mindestlohn angeht, mit Ihnen ganz auf einer Linie?

    Maas: Das ist in der Frage Mindestlohn der Fall, aber Politik besteht ja nicht nur aus dem Mindestlohn. Es gibt eine Vielzahl etwa von internationalen Fragen, also in der Außen- und Sicherheitspolitik, in denen die Linkspartei Positionen vertritt, die mit der SPD nicht zu machen sind, die auch dazu führen müssten, dass Deutschland sich aus nahezu allen internationalen Organisationen zurückzieht und irgendwie eine große Mauer um sich herumbaut in der Hoffnung, dass wir von keiner Entwicklung auf dieser Welt in irgendeiner Weise betroffen sind. Das ist nicht ernst zu nehmen. Das hat auch nichts mit internationaler Verantwortung zu tun. Das ist zum Beispiel ein Punkt, wo man in der Sache, und ich bin dafür, eine sachlich inhaltliche Auseinandersetzung mit der Linkspartei zu führen, zu dem Ergebnis kommen muss, auch wenn es beim Mindestlohn vielleicht passen würde, es gibt andere Themen, bei denen passt es überhaupt nicht. Deshalb gibt es auch keine rot-rote Zusammenarbeit auf Bundesebene.

    Heuer: Da müsste die Linke sich also noch ein bisschen bewegen. Die Grünen zum Vergleich sind ja auch realpolitischer geworden im Laufe der Zeit.

    Maas: Ja. Das ist der Punkt, um den es geht. Ich mache das ja nicht abhängig vom Gesicht oder der Farbe oder von was auch immer, die eine Partei mit sich rumträgt, sondern ich mache das abhängig von den inhaltlichen Positionen. Wenn die inhaltlichen Positionen so sind, dass man sagen kann, da kann man zusammenarbeiten, dann muss man so was ernsthaft prüfen. Bei der Linkspartei ist das jetzt nicht der Fall, und ich gehe auch mal bei dem, was jetzt auf dem Vereinigungsparteitag beschlossen worden ist, davon aus, dass das auf Bundesebene in den nächsten Jahren auch nicht der Fall sein wird, weil: Da hat man sich ja noch einmal festgelegt auch vor der nächsten Bundestagswahl. Aber die Inhalte müssen den Ausschlag geben und nicht irgendwelche anderen Kriterien.

    Heuer: Herr Maas, wie sieht es auf Landesebene aus? Im Saarland steht ja auch der Wahlkampf bevor. Schließen Sie ein rot-rotes Bündnis aus?

    Maas: Das ist so meine Lieblingsfrage "schließen Sie aus?" Wir sind jetzt zweieinhalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl. Das ist ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt, um Koalitionsaussagen weder im Positiven noch im Negativen zu machen. Das macht im Übrigen auch keine andere Partei im Saarland. Auch da sage ich: Ich werde mich einzig und allein an den inhaltlichen Positionen aller politischen Parteien orientieren, ob ich mit einer Partei eine Koalition eingehe oder eben nicht. Aber unser primäres Ziel für 2009 im Saarland wird sein, stärkste Partei zu werden. Das ist ein Ziel, das nach wie vor möglich ist. Dann ist es im Übrigen auch weitaus einfacher, sich den Koalitionspartner aussuchen zu können.

    Heuer: Da dürfen wir also gespannt sein., Heiko Maas, der SPD-Chef im Saarland.

    Und am Telefon ist jetzt Kurt Lauk. Er ist der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, ein Mann, der zum Thema Mindestlohn gesagt hat, ein Markt ist ein Markt und keine sozialstaatliche Wellness-Oase. Da hat sich Kurt Lauk beim Arbeitnehmerflügel der CDU ganz besonders beliebt gemacht, wie man sich vorstellen kann. Guten Morgen, Herr Lauk!

    Lauk: Guten Morgen!

    Heuer: Die Große Koalition regiert mal wieder richtig durch. Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen dieser Nacht?

    Lauk: Dieses Ergebnis hat Licht und Schatten. Licht ist in der Pflegeversicherung zu sehen, weil hier für Demenzkranke und für die häusliche Pflege, die bislang völlig unterfinanziert war - wenn die Familie sich engagiert hat, war das im Grunde nicht machbar -, Fortschritte erzielt worden sind. Wir haben gleichzeitig im Beschluss vermeiden können, dass die Lohnzusatzkosten insgesamt ansteigen, sondern noch mal leicht sinken. Das ist sozusagen das Licht, was die Pflegeversicherung angeht.

    Der Nachteil, der Schatten bei der Pflegeversicherung ist, dass dieses System nach wie vor nicht zukunftsfähig ist. Der Beschluss selbst sagt, dass bis 2014 oder 2015 vielleicht die jetzige Lösung reicht. Das ist natürlich zu kurz gesprungen. Wir brauchen dringend, das sagen alle Sachverständigen, die Umstellung auf die Kapitaldeckung. Kapitaldeckung heißt nichts anderes als, wie der Volksmund es ausdrückt, "spare in der Zeit, dann hast du in der Not".

    Heuer: Also kein großer Wurf bei der Pflegeversicherung. Das zweite wichtige Thema war ja der Mindestlohn. Immerhin: Einen gesetzlichen Mindestlohn wird es jetzt erst einmal nicht geben. Da müssten Sie eigentlich zufrieden sein?

    Lauk: Zunächst mal ist die Tarifautonomie bestätigt. Das ist ganz wichtig. Das haben bislang alle Parteien, die SPD wie die Gewerkschaften wie unsere Partei, verteidigt. Auch der Wirtschaftsrat hat sich immer wieder für die Stärkung der Tarifautonomie ausgesprochen. Das ist im Moment der Fall, dass hier nicht eingegriffen worden ist, wobei ein Ausschuss beschlossen worden ist, der paritätisch besetzt mit Arbeitgebern und in Einzelfällen entscheiden soll. Das muss noch im Detail geklärt werden, ob das nicht ein Stück weit Unterlaufen der Tarifautonomie ist. Im Moment sieht es nicht so aus. Insofern müssen wir hier abwarten. Wichtig ist, dass der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn nicht gekommen ist und dass wir weiterhin die Möglichkeit haben, marktgerecht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Löhne zu verhandeln.

    Heuer: Das heißt auch, Herr Lauk, wenn ich Sie richtig verstehe, die Sorge, die Sie ja im Vorfeld wiederholt formuliert haben, dass nämlich mit Untergrenzen beim Lohn viele Leute arbeitslos werden, haben Sie nach heute Nacht nicht mehr?

    Lauk: Das kommt jetzt darauf an, in welchen Branchen und in welchen Gebieten die Ausweitung und die Allgemeinverbindlichkeit für die Eingangstarifstufe erklärt wird. Insofern ist eine endgültige Beurteilung zu früh. Aber wichtig ist, dass der gesetzliche flächendeckende Mindestlohn nicht gekommen ist.

    Heuer: Unterm Strich, Herr Lauk, es ist ja schwer für eine Große Koalition zu regieren. Das ist keine Frage. Trotzdem: Hätten Sie sich von der Koalitionsausschuss-Sitzung heute Nacht vielleicht dann doch ein bisschen mehr erwartet als diese Kompromisse, die da herausgekommen sind?

    Lauk: Ja, eindeutig! Es wäre eigentlich wünschenswert gewesen, das mehr rauskommt. Wir stellen aber fest, dass die SPD programmatisch nicht mehr bewegungsfähig ist. Sie kann sich nicht mal mehr an Koalitionsbeschlüsse halten. Beispielsweise steht im Koalitionsvertrag, dass der Einstieg in die Pflegeversicherung kapitalgedeckt gemacht werden muss. Das ist nicht geschehen.

    Heuer: Da stand ja auch was anderes noch!

    Lauk: Ja, und dann das Thema Mindestlohn. Das ist natürlich populistisch hochgezogen, denn wir haben auskömmliche, von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Lohnniveaus in Branchen und Gebieten in dieser Republik. Das, was darunter liegt und sittenwidrig ist, ist heute schon ungesetzlich, darf nicht sein und wird auch von keinem gebilligt. Wichtig in dem Zusammenhang ist noch, dass wir die Situation haben können, die niedrigen Löhne insbesondere im Osten Deutschlands nicht in die Arbeitslosigkeit zu schicken durch hohe gesetzliche Mindestlöhne.

    Heuer: Herr Lauk, wenn die SPD programmatisch nicht mehr beweglich genug ist, ist das dann die richtige Koalition für die CDU?

    Lauk: Im Moment gibt es keine Alternative, aber sie sollte sicherlich nach der nächsten Bundestagswahl aufgrund programmatischer Erschöpfung nicht fortgesetzt werden.

    Heuer: Kurt Lauk, der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates. Auch Ihnen vielen Dank fürs Gespräch, Herr Lauk.

    Lauk: Vielen Dank.
    Heiko Maas, Vorsitzender der Saar-SPD
    Heiko Maas, Vorsitzender der Saar-SPD. (AP)
    Kurt J. Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates
    Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates (Wirtschaftsrat der CDU)