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Unzumutbare Unistellen boykottieren

85 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen arbeiten in befristeten Stellen. Ein Boykottaufruf kritisiert dies. Thomas Bürk, einer der Erstunterzeichner dieses Aufrufs, hofft, dass die Aufmerksamkeit Dinge verändert.

Thomas Bürk im Gespräch mit Manfred Götzke | 06.08.2012
    Manfred Götzke: Wer heute an der Uni Karriere machen will, der braucht entweder Idealismus oder einen gut verdienenden Partner, denn an den Hochschulen ist eine neue Form des Prekariats entstanden. Unglaubliche 85 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Hochschulen sind befristet angestellt. Und das wollen die prekarisierten Wissenschaftler jetzt nicht mehr mitmachen. Nachwuchsforscher aus ganz Deutschland haben einen Boykottaufruf gestartet und fordern ihre Kollegen auf, sich nicht mehr auf unzumutbare Stellen zu bewerben. Speziell sind damit Stellen für Lehrkräfte für besondere Aufgaben gemeint, die es ab dem Wintersemester zum Beispiel in Berlin verstärkt geben soll.

    - Thomas Bürk ist promovierter Geograf und einer der Erstunterzeichner des Aufrufs. Herr Bürk, was ist denn aus Ihrer Sicht das besonders Prekäre an diesen Lehrkräften für besondere Aufgaben?

    Thomas Bürk: Es verbindet sich da also sowohl die schlechte Bezahlung als vor allem auch die – also die prekäre, sprich, die befristete Einstellung und vor allem dann teilweise auch die Teilzeiteinstellung. Und insgesamt, die Ressourcen, die dann diesen Lehrkräften zur Verfügung gestellt werden, sind in der Regel relativ dürftig an den Unis. Es ist so eine Art Institutionalisierung dieser Lehraufträge. Also wir richten das ja auch ein bisschen noch gegen den ganzen aus, also gegen die Praxis, eigentlich mit Lehraufträgen, die ja letztendlich ja so eine Vorform dieser Lehrkräfte für besondere Aufgaben sind. Und auch da ist meistens das Problem, dass die jeweiligen Beschäftigten keinen, oft noch nicht einmal einen eigenen Raum haben, sehr oft von zu Hause aus arbeiten, die Seminare von zu Hause aus vorbereiten, wenig ansprechbar sind für die Studierenden und so weiter. Bei diesen Lehrkräften für besondere Aufgaben, diesen LFBA-Stellen, die Leute sind dann an den Unis auch zwar zugegen, sind aber durch ihr hohes Lehrdeputat und ihre hohen Lehrveranstaltungen in der Regel so im Stress und so eingebunden, dass sie die Studierenden relativ schlecht betreuen können.

    Götzke: Nun ist ja eine reine oder überwiegende Lehrtätigkeit wie bei diesen Stellen als Unidozent ja per se nicht verwerflich. Ich sag mal, ein Lehrer macht ja auch nichts anderes.

    Bürk: Ja, aber der Köder beziehungsweise natürlich auch das große Versprechen, auch das bildungspolitische Versprechen ist natürlich, einen akademischen Beruf zu wählen, der die Kombination aus Lehre und Forschung beinhaltet. Und das ist auch eine ganz alte Debatte um die Frage, was ist eigentlich Bildung. Und ist Bildung jetzt nur mehr Ausbildung, geht es eigentlich nur um eine berufliche Orientierung, oder geht es eigentlich um mehr. Und ich denke mal, dass dieser alte Bildungsbegriff, der ist ja mittlerweile ziemlich ausgehöhlt. Und das ist auch ein Problem von diesen Lehrkräften, dass sie faktisch nur für Lehre und für reine Lehre eingestellt werden. Und, wie gesagt, das wiederum zu tariflichen und teilweise untertariflichen Bedingungen, die also ihrer Ausbildung als entweder Doktoranden, aber vor allem auch als Postdoktoranden, also als promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überhaupt nicht gerecht wird.

    Götzke: Das heißt, das Problem ist, sie können sich gar nicht mehr weiterentwickeln, weil sie gar keine Zeit mehr für Forschung haben.

    Bürk: Ja, genau. Man schafft sich sowieso eigentlich so eine durchgängige, sehr fluktuierende Masse an eben diesen Maschinisten des Bildungsbetriebs, wie eine Journalistin das mal genannt hat. Also Leute, die quasi so die einfachen Lehrtätigkeiten verrichten, während eine kleinere, zunehmend kleine Minderheit an dann auch als exzellent hochgelobten Wissenschaftlerinnen die Forschungsarbeit machen. Auch das führt eben zu einer Spaltung von Lehre und Forschung, die zunehmend problematisch wird.

    Götzke: In den 80er-, 90er-Jahren gab es ja den akademischen Mittelbau, das waren ja vornehmlich unbefristete Stellen. Das waren ja damals sozusagen die Maschinisten. Der Mittelbau in der Form ist ja abgeschafft worden, weil man gesagt hat, es wird exzellenten Nachwuchsforschern die Karriere verbaut. Die kommen überhaupt nicht mehr in die Unis rein, weil so viele Stellen schon besetzt sind. Wie wollen Sie denn verhindern, dass wieder mediokre oder schlechte wissenschaftliche Räte die Hochschulen verstopfen?

    Bürk: Na ja, ich glaube nicht, dass es eigentlich eine verstopfte Hochschule gab. Ich glaube, dass sich die Debatte um Qualität und eben dieser unsägliche Exzellenzbegriff, dass das schon aus einer bestimmten politischen Logik heraus formuliert worden ist. Natürlich ist die Gesamtstruktur jetzt nicht – also die Forderung wäre jetzt nicht, zu sagen, zurück zu den Achtzigern. Wir wollen das, wie es damals war, weil da war es alles so schön kuschelig, sondern eher die grundsätzliche Infragestellung, ob das, was aktuell bildungspolitisch verhandelt wird und sich unter anderem im Extrem eben in diesen LFBA-Stellen ausdrückt. Ob das nicht eben ein Ausdruck ist von einer massiven Ökonomisierung und Funktionalisierung auch von Wissenschafts- und Bildungsbetrieb für sehr, na ja, eben sehr schmale Interessen beziehungsweise eben für die aktuell herrschenden ökonomischen Interessen, die ein quasi zukünftiges und auch zukunftsfähiges Nachdenken überhaupt nicht mehr möglich machen. Also, man hat da wirklich relativ viele verschieden Problemlagen, die sich an dieser aktuellen Situation festmachen lassen und – diese ganze Exzellenzdebatte würde ich erst mal quasi als Ausdruck werten genau dieser, ich sag mal, Zerschlagung dieser alten Strukturen.

    Götzke: Sie selbst sind ja von der Situation auch betroffen. Auf welche Stellen bewerben Sie sich denn noch, wenn befristete eigentlich nicht infrage kommen?

    Bürk: Na ja, ich bewerbe mich natürlich trotzdem auf befristete Stellen, weil, was soll ich denn machen? Boykott ist natürlich auch ein, sagen wir mal, es ist eine Trotzreaktion oder irgendwie so – es ist natürlich kein scharfes Mittel des Aktivismus oder der Aktivitäten. Man kann also nur sagen, okay Leute, wir brauchen diese Stellen eigentlich nicht machen, weil es bringt uns sowieso nichts. Also weder materiell noch ideell. Also, wir haben da also eigentlich nicht viel zu gewinnen in diesen Stellen, dann skandalisieren wir das erst mal. Es ist kein Vorwurf natürlich an Leute, die sich auf diese Stellen bewerben, das müssen wir alle machen. Wir sind ja alle irgendwie angewiesen auf eben diese Saisonarbeiten, das mache ich auch. Also es ist nicht ein Vorwurf gegenüber Leuten, die sich bewerben.

    Götzke: Herr Bürk, gibt es denn schon Reaktionen seitens der Universitäten?

    Bürk: Mittlerweile gibt es relativ viel Resonanz, aber auch auf so einer Ebene, die wir bisher eigentlich nicht erwartet hatten, dass nämlich auch Ausschreibende von verschiedenen Universitäten nunmehr im einleitenden Satz beim Mailen dieser Ausschreibung dazugeschrieben haben, dass sie hoffen, dass die Boykottkriterien damit nicht erfüllt werden beziehungsweise darauf hingewiesen haben, dass es eine Boykottkampagne gibt. Also, man könnte auch hoffen, dass das vielleicht auf einer anderen Ebene auch ein bisschen Druck erzeugt, beziehungsweise zumindest Aufmerksamkeit erzeugt, die verhindert, dass also wirklich allzu derb schlecht bezahlte oder unterfinanzierte Stellen dort ausgeschrieben werden.

    Götzke: Sagt der Geograf Thomas Bürk. Er ruft zu einem Boykott unzumutbarer Stellen im Wissenschaftsbetrieb auf. Mehr dazu gibt es im Netz unter kritische-geografie-berlin.de.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.