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Updike sah "Literatur als Ort der Freiheit"

John Updike ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Der in Pennsylvania geborene Autor von mehr als 50 Romanen, Kurzgeschichten, Essay- und Lyrikbänden war nach Ansicht des Literaturredakteurs Denis Scheck eine Persönlichkeit, die sich immer wieder neu erfunden hat. "In welcher Form auch immer, Updike war eigentlich immer glänzend", sagte Scheck.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Denis Scheck | 28.01.2009
    Stefan Koldehoff: Die Stimme von John Updike, Geld ist etwas wunderbares, sagt sie unter anderem in einem Gedicht, das sie länger heute Abend noch mal in der Lesezeit um 20.30 Uhr hören können. Geld braucht so wenig Platz, Geld ist eine saubere Sache, einfach klasse. Gestern Abend ist John Updike gestorben, einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart. Wir würdigen ihn in dieser Sendung.

    John Updike ist tot. Im Alter von 76 Jahren ist der in Pennsylvania geborene Autor von mehr als 50 Romanen, Kurzgeschichten, Essay- und Lyrikbänden gestern Abend gestorben - an Lungenkrebs. Berühmt machten ihn die seit 1960 erschienenen Rabbit-Romane. In ihnen erzählt John Updike die Geschichte und Geschichten von Harry "Rabbit" Armstrong, der auf seiner Highschool ein Basketballstar war, nun 26 ist, verheiratet, bald Vater eines Kindes, und sich immer wieder fragt, ob das nun alles ist, und der trotz aller Fluchtversuche dann doch immer wieder nur zu Hause ankommt. Vier weitere Rabbit-Bücher folgten, in den Jahren danach weitere bedeutende Romane und weitere bedeutende Preise folgten ebenfalls.

    Und irgendwann hatte Updike eine feste Rolle im Literaturbetrieb, er galt als der Chronist des amerikanischen Lebens in den Suburbs, den bürgerlichen weißen Vorstädten, den "little boxes made of ticky tacky", die Pete Seeger einmal besungen hat. Und er galt als durchaus liebevoller Beschreiber der täglichen Lebenslügen und des täglichen Dennoch. John Updike war also deutlich mehr als nur der Rabbit-Autor.

    Bei mir im Studio ist Denis Scheck, Literaturredakteur des Deutschlandfunks. Sie haben John Updike, Herr Scheck, verschiedene Male getroffen. Woran erinnern Sie sich aber zunächst einmal als Leser?

    Denis Scheck: Als Leser erinnere ich mich natürlich an die jeweils ja im Abstand einer Dekade veröffentlichten vier großen Romane und die kleine Novelle, die schon posthum spielt, nämlich zu Zeiten von Rabbits Tod, an die vier Rabbit-Romane auf jeden Fall. Das waren die Romane, die eine gültige Beschreibung der amerikanischen Wirklichkeit, insofern sie für den weißen Mittelstand gilt, vorgelegt haben. Große Romane, muss man sagen.

    Aber was mich bei John Updike am meisten berührt, ist, dass das jemand ist, der mit einer so scheinbaren, mit einer so großen, spielerischen Leichtigkeit so viele verschiedene Genres perfekt gemeistert hat. Um mal einen kleinen Bescheidenheitstopus anzubringen - dieses Gedicht "Geld", "Money", was wir hörten, finde ich ein sensationelles Gedicht. Es zeigt den ironischen, den spielerischen, den heiteren Teil, den an Hans Magnus Enzensberger erinnernden John Updike. Aber er war eben auch ein Mann, der die große Romanform meisterte, neben der Lyrik, und - hier kommt die Bescheidenheit ins Spiel - der als Kritiker mehr auf dem Kasten hatte als die meisten, die auf diesem Spielplatz zugange sind. In meinem Arbeitszimmer stehen drei Bände mit seinen gesammelten Kritiken, die locker alles in die Tasche stecken, was wir so, oder jedenfalls was ich so von mir gebe.

    Koldehoff: Was hat er kritisiert, Literatur ausschließlich?

    Scheck: Nein, er war gerade in den letzten Jahren auch ein bedeutender Kunstkritiker, um mal auf das Feld von Stefan Koldehoff zu gehen. Im Grunde war überhaupt nichts vor ihm sicher, ob er ein Blümelein in Neuengland auf einigen Seiten in einem Roman beschreibt, ob er ein Beinahe-Flugzeugunglück beschreibt, ob er 9/11 beschreibt, in welcher Form auch immer, Updike war eigentlich immer glänzend. Jedenfalls tat er es mit einem Niveau, von dem ich nicht ... kaum jemand anzugeben wüsste, wer so vielseitig, so brillant es macht. Freilich: Mit ihm war andererseits nicht wirklich Staat zu machen. Er hatte immer eine spielerische Reserve, glaube ich, ein Spielfeld, auf das er ausweichen konnte.

    Koldehoff: Sie haben ihn mehrfach getroffen. Haben Sie herausgefunden, was seine Motivation war? Reichte ihm das alleinige Beschreiben, oder steckte da auch eine Mission hinter?

    Scheck: Eine Mission, glaube ich, sicherlich nicht, außer der Mission, ansteckend vielleicht zu wirken, dass Literatur ein Ort der Freiheit ist, das sicherlich. Aber Updike ist jemand, der sich Zeit seines Lebens mehrfach neu erfunden hat. Was wenige wissen: John Updike begann so wie Robert Gernhardt in Deutschland in Erinnerung ist, nämlich als Karikaturist, als Zeichner und als Autor von sogenannten heiteren Versen, von komischen Versen, "light verse" war dieses Genre, das damals so populär war, noch in den 50er Jahren.

    Als dann der Markt dafür zusammenbrach, begann Updike, sich neu zu erfinden als Erzähler, als autobiografisch teilweise gefärbter Erzähler, dann als Chronist der sexuellen Freiheiten, auch das werden wir heute Abend um 20.30 Uhr in einem langen Gedicht hören, das den provokativen Titel "Cuns" - "Fotzen" - trägt, also etwas, was völlig unvorstellbar noch für den Updike der 50er Jahre gewesen wäre.

    Dann allerdings, nachdem er diese wilde Epoche durchlaufen hat, in den 60ern, hat er sich in den 70ern plötzlich an Nabokov orientiert und es war auch die Geburt des großen Romanciers. Und so hat Updike mehrere Phasen immer in seinem Leben durchlaufen, wo immer, wenn das Blatt ausgereizt schien, was völlig Neues kam. Und diese Fähigkeit, in sich hineinzuschlüpfen und mit was ganz Neuem zu kommen ist das, was mich so fasziniert an seiner Arbeit als Künstler.

    Koldehoff: Wie ist er in seiner Heimat damit aufgenommen worden? Galt es dort als literaturwürdig, den Alltag, den profanen Alltag in dieser doch sich selbst als so völlig unprofan stilisierenden Nation zu beschreiben?

    Scheck: Oh, ja natürlich, aber das hat ja Updike auch nicht nur getan. Er war ja mehr als der Chronist des amerikanischen Mittelstandes, er hat ja auch Romane über einen Putsch in einem fiktiven afrikanischen Staat geschrieben, er hat einen Roman geschrieben wie es ist, wenn aus einem Mann eine Frau wird und aus einer Frau ein Mann und wie es ist, wenn man die Hautfarbe wechselt. Es gab ja auch immer den fantastischen Updike. Er hat Science-Fiction-Romane geschrieben, er hat sich permanent neu erfunden, vor allem aber war er - und das kommt auch in den Nachrufen überall raus - so unglaublich angenehm bescheiden, wahrscheinlich, weil er dann doch eine Ahnung hatte, dass er als Künstler sein Bestes gegeben hat und sich nicht auf die Talmi-Lösungen von Ruhm und Alkohol etc. einließ.

    Koldehoff: Die Frage, die heute alle Nachrufer stellen, ist die, ob er denn nicht den Nobelpreis für Literatur irgendwann mal hätte bekommen müssen. Haben Sie ihm diese Frage jemals gestellt?

    Scheck: Ich habe ihn mal danach gefragt, ob er denn im Oktober in der Nähe seines Telefons bleibt und so weiter und er bekannte schon, natürlich, aber er hat sich selber die Antwort gegeben. In einem seiner schönsten Bücher, das heißt "Bech in Bedrängnis" hält Henry Bech, ein Schriftsteller, der Kritiker ermordet, ich glaube, vier ermordet er in diesem Buch ... Und der bekommt den Nobelpreis und er schildert Updike, sein alter Ego, wie er um die Rede für den Nobelpreis ringt. Ich glaube, er hat ihn sich einfach selber verliehen, so wie Napoleon sich selber krönte, und das ist wahrscheinlich die beste Art und Weise, mit diesem gar nicht so wichtigen Preis umzugehen, wie es John Updike gemacht hat.

    Koldehoff: Und dann sitzt er jetzt vielleicht auf seiner Wolke und poliert die Medaille, die dazugehört. Vielen Dank, Denis Scheck zum Tod von John Updike.