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Uran für sowjetische Kernkraft

Zeitweise 200.000 Menschen standen auf den Lohnlisten des zunächst rein sowjetischen, später sowjetisch-deutschen Bergbauunternehmens WISMUT AG. Als der Uranbergbau im Erzgebirge 1991 eingestellt wurde, hatte man 231.000 Tonnen zu Tage gefördert, die Gesundheit tausender Bergleute ruiniert, ganze Landstriche ökologisch verwüstet. Zwei neue Bücher beschäftigen sich auf höchst unterschiedliche Weise mit der Unternehmensgeschichte. Günter Beyer hat beide Bücher gelesen.

19.03.2007
    "Liebe Gäste, ich begrüße Sie mit einem ganz herzlichen Glückauf! hier in unserem Besucherbergwerk Stollen Pöhla. Ich hoffe, dass Sie Einblick gewinnen in die Arbeit des Uranbergmannes hier an der Lagerstätte Pöhla. Wir werden mit einem Mannschaftszug..."

    Rund 20 Besucher, verpackt in gelbe Gummijacken, scharen sich um den pensionierten Bergbauingenieur Johannes Böttcher. Der Stollen Pöhla im Kreis Aue-Schwarzenberg ist nur einer von Dutzenden Schächten im Erzgebirge, in denen die WISMUT AG bis 1990 Uranerze schürfte. Die WISMUT - das war ein von Legenden umwobenes Unternehmen, wegen der harten und gefährlichen Arbeit bisweilen verdächtigt als menschenunwürdiges Arbeitslager, als "GULAG im Erzgebirge".

    "Ich würde den Begriff 'Arbeitslager' nicht verwenden wollen","

    relativiert der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch, Autor des Buches "Uran für Moskau".

    ""Es sind viele Zehntausende Menschen zwangsweise zum Uranbergbau geschickt worden, das ist wahr. Die Verhältnisse drohten in den ersten Monaten des WISMUT-Bergbaus in der Tat Zwangsarbeitscharakter anzunehmen. Es gab dann allerdings massive Proteste couragierter deutscher Gewerkschafter gegen diese untragbaren Zustände, und erstaunlicherweise hat die Besatzungsmacht eingelenkt und seit Ende 1947 in etwa sich bemüht, den Zwangscharakter dieses Bergbaus zu mildern."

    Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts war im Erzgebirge und in Böhmen die so genannte Pechblende gefördert worden, ein uranhaltiges Erz, das man für die Herstellung von Farben nutzte. Später verwendete man das in der Pechblende enthaltene Radium, um selbstleuchtende Zifferblätter für Flugzeug- und U-Boot-Armaturen zu fertigen. Welches Potenzial in den Lagerstätten schlummerte, wurde erst vollends klar, als die Amerikaner im August 1945 zwei Atombomben über dem feindlichen Japan abwarfen.

    "Nach Hiroshima hat Stalin die wichtigsten Physiker und Militärs zusammengeholt und erklärt: Hiroshima hat die Welt verändert, baut die Bombe, baut sie rasch, dies wird eine Bedrohung von uns nehmen."

    Erstaunlicherweise gab es in der riesigen Sowjetunion bei Kriegsende keine nennenswerte Uranförderung. Mit der vorrückenden Roten Armee jedoch kamen auch Geologen nach Mitteleuropa und wurden in der Tschechoslowakischen Republik, in Bulgarien sowie in Sachsen und Thüringen fündig. 1947 wurde die WISMUT AG zunächst als sowjetisches Staatsunternehmen gegründet, verborgen hinter hohen Zäunen, bewacht von Soldaten der Roten Armee.

    "Es gab kaum Bohrhämmer, selbst Helme für die Bergleute, Stiefel, all dies waren Mangelwaren, so dass auf äußerst primitiver Grundlage in den ersten Monaten begonnen wurde. Alte Bergleute haben davon gesprochen, dass die Wismut in etwa in dieser Zeit vergleichbar war mit dem Bergbau im späten Mittelalter. Es gab nicht genug zu essen, es herrschte Hunger, Mangel an Wohnraum, und die Besatzungsmacht hat sich aus verständlichen Gründen für die Nöte der Deutschen nicht sonderlich interessiert."

    In Johanngeorgenstadt und Schneeberg, in Schlema und Annaberg lagerten die größten Uranvorkommen im sowjetischen Einflussgebiet. Ohne diese Vorkommen hätte es 1949 keine sowjetische Atombombe gegeben. Moskaus Planer diktierten die Liefermengen zu Festpreisen. Wie diese Mengen zu fördern waren, blieb das Problem der DDR-Führung. Stets musste die WISMUT aus dem Staatshaushalt subventioniert werden. Bis Mitte der 50er Jahre blieben die Arbeitsbedingungen skandalös: Der Gehalt von radioaktivem Radon-Gas in der Atemluft wurde nicht gemessen, kein Bergmann über das Strahlenrisiko belehrt. Dafür wurde die Belegschaft mit relativ hohen Löhnen bei der Stange gehalten.

    1954 wurde die WISMUT in eine so genannte Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft umgewandelt. Formell erhielt damit die DDR-Führung mehr Einfluss, ohne freilich mit den sowjetischen "Freunden" auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können. Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik 1990 bedeutete das Aus auch für die WISMUT. Die DDR war zwar drittgrößter Uran-Produzent der Welt, aber das teuer geschürfte Erz hatte auf dem Weltmarkt keine Chance. Der einzige Abnehmer, die Sowjetunion, hatte nun andere Sorgen.

    "Die Sowjetunion wollte schon seit 1986/1987, also nach der Katastrophe von Tschernobyl, aus den Verträgen mit der DDR aussteigen. Sie hat also nicht mehr so viel Uran wie zu Zeiten des Kalten Krieges benötigt und wollte also die Einkäufe in der DDR bei der SDAG WISMUT drastisch reduzieren."

    Rainer Karlsch liefert eine anschaulich geschriebene, packende Darstellung dieses ungewöhnlichen Kapitels deutsch-russischer Geschichte, schöpft souverän aus den Quellen, ohne sich in Details zu verlieren. Er vergisst auch nicht die Opfer: 15.000 Fälle von Silikose, 5300 Kumpel mit Lungenkrebs, 4700 Fälle von Lärmschwerhörigkeit.

    Vom Volkskorrespondenten zum Romanautor
    Die WISMUT war nicht nur das größte Kombinat zu DDR-Zeiten. Der Urangigant faszinierte Filmemacher wie Konrad Wolf, der in Johanngeorgenstadt seinen, zunächst verbotenen, Film "Die Sonnensucher" drehte, und Schriftsteller wie Erwin Strittmatter und Werner Bräunig. Bräunig, 1934 in Chemnitz geboren, stellte die frühen Jahre der WISMUT in den Mittelpunkt seines ersten, mehr als 600 Seiten starken Romanmanuskripts. Über seinen Werdegang erzählte er im "Rundfunk der DDR":

    "Ich habe zunächst mal Schlosser gelernt, dann war ich in der SDAG WISMUT, und dann hab ich angefangen als Volkskorrespondent für die Parteipresse damals im Bezirk Karl-Marx-Stadt zu schreiben."

    Werner Bräunig verfasst Reportagen aus dem Alltag und erste Erzählungen, die positiv aufgenommen werden. Aufgrund seines Talents und seiner lupenrein proletarischen Herkunft bittet man den vielversprechenden Genossen 1959, den Aufruf zur "Ersten Bitterfelder Konferenz" zu verfassen. Mit ihr will die DDR eine klassenbewusste Arbeiterliteraturbewegung anstoßen.

    "Schreiben ist wie Bergmannsarbeit. Tief in die Stollen des Lebens eindringen muss der Schriftsteller. Greif zur Feder, Kumpel!"

    1961 beginnt Werner Bräunig mit der Arbeit an dem Roman. Er soll "Der Eiserne Vorhang" heißen, ein düsteres proletarisches Epos über Nachkriegsdeutschland. Bräunig lässt keinen Zweifel aufkommen: Er hält die DDR für das bessere Deutschland, folgt in der Deutung der Nachkriegsereignisse durchaus den Propagandalinien der SED - kein Wunder, dass ihm die in der Bundesrepublik angesiedelten Kapitel flach und kolportagehaft geraten. Aber die bei der WISMUT und in einer benachbarten Papierfabrik angesiedelten Abschnitte bestechen durch unerschrockenen Realismus und die spitze Zunge des Autors:

    "Die Wismut ist ein Staat im Staate, und der Wodka ist ihr Nationalgetränk."

    Über das fiktive Erzgebirgsstädtchen Bermsthal heißt es:

    "Bermsthal aber war ein Ort, der von allen guten Geistern verlassen war, hier besaß jeder nur sich selbst, und geschenkt wurde keinem. Von wem auch. Die Besiegten waren arm, die Sieger, scheint´s, noch ärmer."

    In der Bahnhofskneipe beobachtet Bräunig die angeblichen neuen Herren des Landes:

    "Da saßen sie an den Tischen, schütteten Bier in sich hinein, lebten von Bockwurst und Gerüchten, von Skat und immer den gleichen Witzen, im Dreieck zwischen Biertisch, Barackenmatratze und Bohrhammer, tagaus - tagein."

    Das ist starker Tobak, zumal Bräunig einige SED-Funktionäre als "allwissende Marxversteher" verspottet. Dennoch hat eine Literaturzeitschrift 1965 den Mut, ein Kapitel vorab zu veröffentlichen. Daraufhin setzt ein regelrechtes Kesseltreiben gegen den Autor ein. Bräunig habe die Wismut-Kumpel beleidigt, heißt es. Der Verlagsvertrag wird ihm gekündigt, das Manuskript zurückgegeben. Verbittert und alkoholkrank stirbt er 1976 in Halle. Wenn nun der Aufbau Verlag Bräunigs unterdrückten Roman unter dem Titel "Rummelplatz" vollständig herausbringt, lässt das an die Bergung eines raren archäologischen Fundes denken: Unter der Deckschicht von 40 Jahren schimmert da eine drastische, ungeschminkte Geschichte, die mehr vom Alltag der jungen DDR erzählt als alle Parteitagsprotokolle.


    Rainer Karlsch: Uran für Moskau. Die Wismut - eine populäre Geschichte!
    Ch. Links Verlag, Berlin 2007
    272 Seiten, 14,90 Euro

    Werner Bräunig: Rummelplatz
    Aufbau-Verlag, Berlin 2007
    750 Seiten, 24,95 Euro