Dienstag, 19. März 2024

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Uraufführung der Oper "Adriana"
Kognitive Dissonanz

In Rheinsberg wurde die Oper "Adriana" der Librettistin Elke Heidenreich und des Komponisten Marc-Aurel Floros uraufgeführt. Die Macher versuchen darin, mit Mobiltelefon, Drogenmissbrauch und Seitenhieben gegen den Kunstbetrieb zeitgenössisch zu sein. Als Ausdrucksmittel wählen sie aber leider eine Musik, die schon unseren Urgroßeltern gefallen hätte.

Von Uwe Friedrich | 01.08.2015
    Adriana hat es auch nicht leicht im Leben. Nicht nur, dass sie sich nicht zwischen zwei Männern entscheiden kann, der ein eiskalter Börsenmakler, aber erfolgreich, der andere, sein Bruder, drogenabhängiger Musiker, aber sexy. Zudem hat Adrianas Mutter Mann und Tochter vor vielen Jahren verlassen und dadurch ein bislang unbewältigtes Trauma verursacht, ihre beste Freundin ist eine Zynikerin und die sie umgebende Gesellschaft herzenskalt und sensationslüstern. Elke Heidenreich liefert in ihrem Libretto also beste Voraussetzungen für die opernüblichen Gefühlsausbrüche, Arien, Duette und Großensembles.
    Auch die gewagtesten Metaphern purzeln nur so aus den Sängermündern. Das hat mitunter den Charme eines grob vorsortierten Zettelkastens, ermüdet aber auch schnell, zumal Elke Heidenreich die ihrer Meinung nach schönsten Wortfindungen auch gerne von den angesungenen Personen der Handlung wiederholen lässt. Nur für den Fall, dass irgendjemand im Publikum die Schönheit eines Begriffs wie beispielsweise "Anfängerherz" für erneute Verliebtheit im ersten Anlauf noch nicht verstanden hat. Denn Elke Heidenreich spürt eine pädagogische Verpflichtung. Die Oper soll populär sein und nicht elitär, zeitgenössisch und doch allgemein verständlich, relevant und doch irgendwie schön. Vor diesem Anspruch mussten schon ganz andere kapitulieren, zumal wenn sie dabei auch noch im weitesten Sinne innovativ sein wollten.
    Demütiges Dasein im Epigonentum
    Dieses Ziel hatte Elke Heidenreich allerdings gar nicht erst anvisiert. Es habe sich ausgeavantgarded, verkündete die Librettistin im Vorfeld und sprach damit gewiss auch für den Komponisten Marc-Aurel Floros. Und so bescheiden sich die beiden Künstler mit einem demütigen Dasein im Epigonentum, darin ganz ähnlich dem eher unsympathisch gezeichneten zweiten, zynischen Paar der Oper, das nur noch aus Gewohnheit und Angst vor Veränderung zusammen ist.
    Keine Frage, der Komponist Marc-Aurel Floros kann was. Und zudem hat er seine Vorgänger, zumal die Tonsetzer der deutschen Spätestromantik in der Wagnernachfolge genau studiert. Spannungsaufbau und harmonische Verläufe, Konversationston und bedeutungsschwangere Arien, all das ist mit Meisterschaft kombiniert, ohne ins allzu offensichtlich Epigonenhafte abzugleiten. Und doch leidet die Oper "Adriana" unter einer Art kognitiver Dissonanz: Die Macher wollen mit Mobiltelefon, Drogenmissbrauch und Seitenhieben gegen den Kunstbetrieb zeitgenössisch sein, wählen als Ausdrucksmittel aber eine Musik, die schon unseren Urgroßeltern gefallen hätte. Das ist zwar, zumal wenn es handwerklich so gut gemacht ist wie hier, durchaus nicht ehrenrührig, zeugt aber vor allem von einem starken Fluchtreflex einer sich selbst als bürgerlich definierenden Schicht.
    Im Dunkeln der Operngeschichte verschwunden
    Früher war eben doch alles besser, da reichten noch sieben Töne zum Komponieren, niemand brauchte zwölf oder gar noch mehr in einer Reihe, von Teufelszeug wie elektronischen Gerätschaften ganz zu schweigen. Die Dirigentin Judith Kubitz lenkt den Orchesterapparat der Kammerakademie Potsdam effizient und geschmackvoll, lässt die Streicher mächtig aufrauschen und das Schlagwerk kräftig trommeln. Dazu agieren die jungen Sänger der Kammeroper Schloss Rheinsberg unter Bernd Mottls effizienter Regie auf einem schmalen Spielsteg. Ein paar Tische und eine Handvoll Stühle werden immer wieder umarrangiert und bilden angenehm abstrakte Räume.
    Der Tenor Luke Sinclair gibt dem lebensuntüchtigen Julian ein verführerisch-geheimnisvolles Timbre, Philipp Mayer gestaltet schneidigen Bariton-Bruder stimmlich durchsetzungsfähig und dramatisch, Julia Bachmann gibt der entscheidungsschwachen Titelheldin ansprechende Spitzentöne mit auf den weiteren Lebensweg. Immerhin erspart der Regisseur seiner Heldin den im Libretto angelegten Freitod mittels Sprungs aus dem Hochhausfenster. Diese "Adriana" verschwindet einfach spurlos im Dunkel der Operngeschichte.