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Urbane Landwirtschaft

"Urbanes Gärtnern", Gärtnern mitten in der Stadt ist angesagt. Auf Brachflächen, Parkdecks oder in Hinterhöfen werden Beete angelegt. Anwohner begrünen triste öffentliche Flächen. In interkulturellen Gärten bauen Menschen verschiedenster Herkunft Obst und Gemüse an. Selbst der als spießig verschriene Schrebergarten erfreut sich zunehmender Beliebtheit.

Von Ingeborg Breuer | 26.05.2011
    "Das Prinzip hier ist, dass wir alle diesen Raum als Gesamtraum gärtnerisch ermöglichen und Leute dann hier, unterschiedlichsten Leuten, ob sie jeden Tag vorbei kommen oder mal vorbei kommen, die Möglichkeit geben, hier zu gärtnern. Verschiedene Erfahrungen zu machen, die sie sonst nicht machen, alte Gemüsesorten zu sehen, zu schmecken, mit nach Hause zu nehmen, um sie da anzupflanzen."

    Eigentlich ist der Garten ein Rückzugsort vom Trubel und Lärm des Alltags. Allenfalls Vogelgezwitscher und das Rauschen der Bäume sind dort erwünscht. Nicht so im Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg. Um ihn herum braust der Verkehr, Baulärm aus der Nachbarschaft ist zu hören, die Brandmauern der angrenzenden Häuser sind mit Graffitis besprüht. Auf einer 6000 Quadratmeter großen Fläche befindet sich ein sogenannter "mobiler" Garten. Das heißt in Kisten, Teesäcken und Tetrapacks werden Gemüse und Kräuter angebaut, sodass man mit dem Garten jederzeit auch umziehen kann. Und natürlich wächst alles biologisch korrekt. Und gern auch alte Sorten. Marco Clausen, Mitbegründer des Gartens:

    "260 verschiedene Sorten hatten wir letztes Jahr, dieses Jahr wird's wahrscheinlich mehr. Wir hatten zum Beispiel 16 verschiedene Kartoffelsorten angebaut, 20 Minzsorten, 20 Tomatensorten. Beim Salbei hatten wir viel, ... schon wegen dem Effekt, den das auf Kinder hat, dass die sehen, es muss nicht nur so sauber aussehen, wie ich das aus dem Discounter kennen und es schmeckt auch ganz unterschiedlich."

    "Urbanes Gärtnern", Gärtnern mitten, in der Stadt ist angesagt. Auf Brachflächen, Parkdecks oder in Hinterhöfen werden Beete angelegt. Anwohner begrünen triste öffentliche Flächen. In interkulturellen Gärten bauen Menschen verschiedenster Herkunft Obst und Gemüse an. Am Rand der Städte kann man auf vorbearbeiteten Feldern für eine Saison ein Gemüsebeet mieten. Und selbst der als spießig verschriene Schrebergarten erfreut sich mittlerweile zunehmender Beliebtheit - auch bei jungen Familien. Das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin veranstaltet ab heute ein Seminar zum Thema "Urbane Landwirtschaft". Dr. Stefanie Bock, Mitveranstalterin der Tagung:

    "Unter dem Begriff urbane Landwirtschaft gibt es unterschiedliche Ausprägungen. Zunächst fällt einem natürlich das urbane Gärtnern auf, die kleinen Gemeinschaftsgärten. Dann die, die unter dem Titel 'interkulturelle Gärten' fungieren, die Begrünung von kleinsten Baumscheiben, von Brachen in den Städten. Gleichzeitig umfasst urbane Landwirtschaft aber auch die größere landwirtschaftliche Produktion in den Städten und es gibt die neuen Ansätze, wo man sich überlegt, wie man so etwas wie industrialisierte Landwirtschaft unter der Prämisse, nicht so viel Fläche zu verbrauchen, auch in der Stadt wieder ansiedeln kann."

    Nun schlossen sich Stadt und Garten nie völlig aus. Mit dem Wuchern der Städte zu Zeiten der Industrialisierung entstanden die sogenannten Schreber- oder Kleingärten, wo vor allem arme Städter ihr eigenes Gemüse anbauen konnten. In den Hungerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde gar so mancher Stadtpark umgegraben und zum Kartoffelacker umfunktioniert. Doch die neuen Gärtner wollen mehr als bloß ein paar eigene Radieschen ernten.

    Sie pflanzen, wie es in einem Aufsatz über "Guerilla Gardening" heißt, "mit dem Bewusstsein, gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge hinterfragen und auf unterschiedlichsten Ebenen Veränderungen bewirken zu wollen". Oder - sie leisten einen Beitrag zur Integration, wie zum Beispiel Anton Auer, Vorstandsmitglied im "Interkulturellen Garten Köln" erläutert:
    "Das ist ein Garten von ner türkischen Familie, hier aus Gambia, dann Polen, da haben wir dann Türkei,dann ne Parzelle von einem Iraner, dann Deutsche, hier eine Vietnamesin,so lernt man im Grunde durch Interaktion die unterschiedlichen kulturell agrarischen Anbauweisen kennen."

    116 interkulturelle Gärten gibt es mittlerweile in Deutschland, weitere 68 sind in Planung. In Köln etwa kann man für 60 Euro im Jahr eine 40m² große Parzelle pachten, um sein eigenes Gemüse, Obst oder auch Blumen anzupflanzen, alles natürlich streng ökologisch. Dass es dabei zu einem zwanglosen multikulturellen Austausch kommt, ergibt sich fast von selbst:

    "Da steckt der Gedanke hinter, dass man durch den Kristallisationskern des gemeinsamen Gärtnerns, wobei gleichzeitig Austausch von Samen, der Kenntnisse agrarischer Anbauweise durch diese Interaktion sich gegenseitig kennen- und schätzen lernt. Durch die gegenseitige Wertschätzung wird auch das Selbstwertgefühl angehoben. Die deutschen Mitgärtner haben bei der Idee die Funktion der Hineinführung in die deutsche Kultur, in die deutsche Sprache, bis hinein in Hilfe der administrativen Angelegenheiten, zum Beispiel bei der ARGE usw."

    "Community gardens", also Gemeinschaftsgärten gibt es in den USA schon lange, nicht zuletzt um arme Bevölkerungsschichten mit billigen und guten Lebensmitteln zu versorgen. Subsistenz, die Selbstversorgung mit dem zum Leben Notwendigen, wird möglicherweise auch in Deutschland wieder eine zunehmende Rolle spielen, zumal die Lebensmittelpreise steigen.

    Vorerst sieht allerdings Dr. Christa Müller, Mitveranstalterin der Berliner Tagung und Herausgeberin des Buchs "Urban Gardening" – also "urbanes Gärtnern" - vor allem die sozialen und auch kreativen Aspekte solcher Stadtgärten:

    "Gerade die jungen Leute finden die Welt als komplett vorgefertigt vor, die werden mit Werbebotschaften bombardiert und jede Ware ist komplett gefertigt. Und es geht darum, dass die Menschen entdecken, dass sie zwei Hände haben und selber etwas machen wollen und den öffentlichen Raum gestalten wollen. Aber es geht auch um Anbau von biologischen Lebensmitteln, es geht auch um Ernährungssouveränität, dass man herausfindet, wie man sich selbst ernähren kann."

    Christa Müller versteht den eigenen Gemüseanbau als ein durchaus politisches Handeln. Ein Betätigungsfeld für die, die den, so wörtlich, "ungehinderten und ungenierten Zugriff auf die Ressourcen der Welt in Frage stellen". "Urban Gardening" helfe, Transport- und Energiekosten zu sparen, Luft und Boden zu verbessern und ermögliche den Aufbau ökologisch nachhaltiger Strukturen:

    "Wir gehen jetzt immer noch davon aus, dass wir für wenig Geld Lebensmittel aus aller Welt beziehen können. Darauf ist das urbane Gärtnern auch eine Antwort, dass man sagt, wir wollen nicht auf Kosten von anderen leben, sondern die Lebensmittelgrundlagen selber schaffen, weil die Konsumgüter bei uns die Energiebilanz negativ macht. Es geht darum, dass man über das selber Anbauen und selber Machen auch sensibilisiert wird für einen anderen Konsum und dass man beim Gärtnern erfährt, wie aufwendig es ist, seine Produkte anzubauen. Es sind im Moment bescheidene Anfänge, aber die Aufmerksamkeit, die auf diesen Anfängen liegt, weist darauf hin, dass das Thema in Zukunft ein zentrales sein wird."

    Manch einer geht sogar noch weiter. Verbindet die neuen Stadtgärten mit dem sogenannten "Transition Town-Movement", einer Umweltbewegung, die angesichts schwindender Rohstoffe und negativer ökologischer Auswirkungen der Globalisierung wieder zurück zu einem einfachen Leben will. Zu einem regionalen Wirtschaften mit Formen einer neuen Subsistenzwirtschaft. Die Gemeinschaftsgärten wären dann ein wichtiger Baustein innerhalb einer "Postwachstumsökonomie", so der Oldenburger Volkswirtschaftler Niko Paech. Sie, so Paech, stärkten die Selbstversorgungsmöglichkeiten der Bevölkerung und machten sie unabhängiger von der Unberechenbarkeit der Märkte. – Doch wäre es wirklich möglich, dass sich auch nur eine mittelgroße deutsche Stadt vorwiegend von ihren eigenen Kartoffeln ernähren könnte? Prof. Frank Lohrberg, Landschaftsarchitekt an der TH in Aachen sieht das skeptisch:

    "Dieser unmittelbare Zusammenhang, das Umland versorgt die Stadt, den gibt es nicht mehr, der hat ausgedient, die Stadt versorgt sich global. Gleichwohl gibt es die Nische oder die Besonderheit, dass Betriebe am Stadtrand den nahen Markt suchen. Weil sie dort höhere Erlöse erzielen können, bildet sich da auch ne spezifische Landwirtschaft heraus am Stadtrand. Wir kennen das, da sind die Gärtner, die Baumschüler, da kann man Blumen selber pflücken, da gibt es die grüne Kiste, was auch immer. Da gibt es viele Beispiele, dass sich da ne spezifische Landwirtschaft entwickelt, mit der können wir auch sehr arbeiten, sie ist sehr innovativ. Aber es ist nicht so, dass absehbar ist, dass Städte nen markanten Anteil dessen, was sie verbrauchen, aus dem Umland beziehen."

    Nachbarschaftsgärten, Gemüsecontainer auf Dächern oder bepflanzte Verkehrsinseln hält Frank Lohrberg zwar für medial spektakulär. Doch zugleich sind dies für ihn "punktuelle Interventionen", die bislang zumindest ohne größere Raumwirksamkeit für die Stadt als Ganzes bleiben. Dennoch hält auch der Landschaftsarchitekt es für sinnvoll, gerade die grünen Flächen in und an den Rändern der Städte zu fördern. Doch nicht den "urbanen Gärten" gilt sein Interesse, sondern der "urbanen Landwirtschaft".

    "Ich glaube, um da wirklich eine nachhaltige Stadtentwicklung herstellen zu können, da müssen wir uns von dem Garten lösen und auch den Acker und die Wiese im städtischen Umfeld mit betrachten."

    Immerhin ein Viertel der Flächen deutscher Großstädte sind als Agrarland ausgewiesen. Bis in die 90er-Jahre allerdings sah man die landwirtschaftliche Nutzung solcher Areale als Auslaufmodell und wollte sie stattdessen in Parks, Grünzüge oder auch in neue Baugebiete umwandeln. Keine gute Idee, findet Frank Lohrberg:

    "IIch find es nicht nachhaltig, wenn man landwirtschaftliche Flächen in so nem stadtregionalen Kontext, wenn man die aus der Nutzung herausnimmt, um in großem Stil Parklandschaften auszugießen, um dem Erholungsanspruch der Städter oder der Vorstädter gerecht zu werden. Und ich finde auch, es gibt kaum einen Grund die landwirtschaftliche Nutzung zu substituieren. Vielleicht stört sich der eine oder andere an großen Schlägen, Stichwort Monokulturen. Aber auch da gibt es in den Köpfen ein Umdenken, auch da entdecken viele Leute Qualitäten in solchen Landschaften. Und wir haben auch Mittel, solche Agrarkulturen fast parkartig zu inszenieren, und die Leute zu informieren, was sie da produzieren."

    Die Zeiten, in denen stadtnahes Ackerland als potenzielles Bauland galt, sind vielerorts ohnehin vorbei, weil die Menschen verstärkt in die Städte zurückziehen und viele Städte schrumpfen. Zudem wird Agrarland wieder wertvoller, seitdem solche Flächen zur Bioenergieproduktion genutzt werden. Und in dem Maße, in dem Öl – und damit auch die Transportwege - sich verteuern, ist es natürlich ökonomisch als auch ökologisch klug, dass Städte wieder auf ihre eigenen Ressourcen zurückgreifen. Und so versuchen viele Kommunen mittlerweile die Landwirtschaft als Partner zu gewinnen für eine nutzbringende und ebenso attraktive Gestaltung der Freiflächen innerhalb der Stadtregionen.

    "Ich hab neulich in einem Vortrag ein Bild gezeigt, der Vortrag hieß, die Schönheit der Zuckerrübe, und die Frage an das Publikum hieß, ob man mir da folgen könne, ob auch die Zuckerrübe ne gewisse Ästhetik hat. Und ich glaube, dass wir da heute weiter sind als vor 20 Jahren, wo man eigentlich, wenn die Erwartung von Park eher die gepflegte Rasenfläche haben musste, das Rosenbeet das Wasserspiel. Ich glaube auch, dass wir auch als Landschaftsarchitekten ein Zuckerrübenfeld, ein Weizenfeld so inszenieren können, dass es als schön empfunden wird. Es hat auch ästhetische Qualitäten, da ist ein Aufwuchs drin, da knacken die Körner, wenn man im Weizen steht, vielleicht gibt auch noch den einen oder anderen Blühsaum am Rand."

    Möglicherweise, so Christa Müller, entwickelt sich in unseren westlichen Großstädten ein "neues Verständnis von Urbanität". Städtisches Grün dient dann eben nicht mehr nur als Erholungsraum, sondern auch als landwirtschaftliche Nutzfläche, als kreativer Raum des Selbermachens, des Selberproduzierens. Stefanie Bock vom Deutschen Institut für Urbanistik stimmt dem durchaus zu:

    "Es gibt verschiedene Veränderungen, die dafür sprechen. Einerseits, die Kosten für Lebensmittel steigen. Und prognostiziert wird sehr deutlich, dass Lebensmittel auch wieder ein etwas wertvolleres Gut werden. Gleichzeitig ist es so, dass auf den bisher nur landwirtschaftlich genutzten Flächen durch die erneuerbaren Energien eine starke Konkurrenz verschiedener Anbieterformen passiert, das heißt die landwirtschaftlichen Flächen werden wertvoller und sie werden auch knapper. Gleichzeig muss man auch bestimmt andere Vorstellungen im Blick behalten, dass es für viele Menschen und das erinnert an die Schrebergärten, dass es ein Qualitätsgewinn ist, vor der Haustür eigene Lebensmittel anzubauen, sei es, weil sie es sich sonst nicht so leisten können oder weil es um das sinnliche Erleben geht."

    Allerdings sieht Stefanie Bock mehr Berührungspunkte zwischen dem guten alten Gärtnern in der Laubenpieperkolonie und dem neuen "urban gardening", als es so manchen Protagonisten der neuen Stadtgärten lieb sein wird. Weil diese ihre Möhrenbeete lieber als "Orte des Widerstands gegen die neoliberale Ordnung" verstehen, so nach dem Motto: "Eine neue Welt ist pflanzbar". Geht es nicht auch ein bisschen kleiner? Ein paar grüne Lungen mehr in den Städten, ein bisschen mehr ökologisches Bewusstsein und vor allem der Spaß, in der Erde zu wühlen, um hinterher die Früchte der eigenen Arbeit zu genießen, das reicht doch eigentlich schon, um "urban gardening" gut zu finden.

    "Man kann schon sagen, dass es trotz der Abgrenzung der Akteure voneinander – natürlich der Schrebergärtner versteht sich als Schrebergärtner und der Gemeinschaftsgärtner als Gemeinschaftsgärtner, es doch einerseits ne Verbindungslinie gibt, weil beide beschäftigten sich mit dem Verhältnis von Natur und Stadt. Und meine Prognose ist, dass sich beide Formen zunehmend ähneln werden. Aber dieser Hype, der junge Kreative bastelt in der Erde und versucht einen neuen Gesellschaftsentwurf entwickeln, hat sehr viel mit dem Klima auch in der Stadt Berlin zu tun und von daher würde ich bei einer Einschätzung der Bedeutung dieser Gärtnern sehr vorsichtig sein. Der Trend, dass sich daraus bundesweit eine neue grüne Bewegung mit Kreativwirtschaft ableitet, ist meines Erachtens so noch nicht zu sehen."