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Urbane Utopien

Die Platoon Kunsthalle ist immer hier, das mobile Guggenheim Lab hat den Prenzlauer Berg in Berlin nur auf Zeit mit seiner Anwesenheit beehrt und zieht am Wochenende nach Mombai weiter. So unterschiedlich die Initiativen auch sind, beide haben sich zuletzt mit urbanen Utopien und gentrifizierten Gesellschaften befasst.

Von Gerd Brendel | 26.07.2012
    Nachmittags in einem stillen Hinterhof im Prenzlauer Berg. Auf dem gepflegten Rasen erhebt sich ein schlanker Stahlquader auf Stelzen. Unter seinem Dach begrüßt Alexandra ein Dutzend Zuhörer zum Guggenheim Lab.

    "Die Leute sollen so eine Art Essenssafari machen."

    Das Thema heute: Edible Geographies - essbare Geografien

    "Die Leute sollen einen Klebepunkt geben für auffällige Essensreklame und Nahrungsquellen für Nichtmenschen","

    erklärt die junge Wissenschaftlerin die Workshop-Übung. Sechs Wochen lang war das mobile Guggenheim Lab in Berlin zu Besuch. Im Auftrag des Guggenheim Museums New York und finanziert von einem großen Autokonzern reist das mobile Laboratorium durch die Welt auf der Suche nach urbanen Lebenskonzepten. In Berlin gehörte ein täglicher Frauen-Fahrrad-Workshop zum Programm genauso wie Kaffeerösten mit Solarstrom. Natürlich spielten auch die großen Themen eine Rolle: An einem Nachmittag referierte ein Soziologe referierte über Furcht, Angst und Zorn - Dimensionen sozialer Ungleichheit. Nicht unbedingt das, was kritische Bürger und besorgte Mieter zum Thema Gentrifizierung hören wollen. Kuratorin Maria Nicanor allerdings sieht ihr "Lab" weniger als Protestcamp, denn als Ideenschmiede:

    ""Wir haben darüber gesprochen, wie die Menschen in Zukunft in Städten leben werden. Es ging mehr um Lebensstile als um städtische Infrastruktur."

    Nicanors Traum von einer lebenswerten Stadt fängt bei der Tür zur Nachbarwohnung an.

    "In vielen Städten gibt es eine Kommunikationskrise , aber Veränderung muss von unten nach oben geschehen, und nicht umgekehrt. Und eine Stadt verändert sich nur, wenn ihre Bewohner miteinander interagieren, von Nachbar zu Nachbar."

    Die Idee vom Netzwerk teilt Nicanor mit ihrem Nachbarn von gegenüber, der Platoon Kunsthalle.

    Am späten Abend, als im Guggenheim Lab längst die Lichter ausgegangen sind, dringt Clubmusik durch die Metallwände der Halle: ein Riesenraum aus drei Dutzend Schiffscontainern. Die Metallkästen gehören seit über zehn Jahren zum Markenzeichen von Platoon. Hinter dem martialischen Namen verbergen sich eine Kommunikationsagentur und ein Netzwerk. Zu den Kunden der Agentur gehören die Gewerkschaften mit ihrer Mindestlohn-Kampagne genauso wie Adidas und Volkswagen. Zum Netzwerk zählen ein paar Tausend Designer, Reklamefachleute und Künstler. Die haben jetzt mit der Kunsthalle wieder einen Treffpunkt. Bilder oder Plastiken sucht man darin allerdings vergebens, so Platoon-Erfinder Christoph Frank:

    "Wir versuchen solche Begegnungen, in denen Kunst entsteht, zu erzeugen"

    Die Kunsthalle erinnert an ein sehr cooles Nachbarschaftshaus für Kreative. An den Tagen nach der Party wird auch hier wie beim Nachbar Guggenheim Lab über die Zukunft der Stadt nachgedacht, allerdings weniger spielerisch.

    "Wir haben ja vor ein paar Wochen hier auf dem Gelände genau zu dem Thema Gentrifizierung schon einen provokativen Talk gemacht, der hieß: Graffiti gleich Gentrification? Und die Antwort ist die: Wir sind Teil der Gentrifizierung. Wenn wir illegale Galerien aufmachen, Clubs, Urban Art produzieren, werden Stadtteile interessanter und es ziehen Leute dahin, die vielleicht extra deswegen hierherziehen, und die haben teilweise mehr Geld und können höhere Mieten bezahlen."

    Fragt sich nur, wer am Ende das letzte Wort behalten wird: die gut vernetzten Bastelbürger und die Künstler oder die Investoren, für die Platoon und Guggenheim Lab vor allem eins sind: eine schöne Erinnerung, mit der sich in Zukunft Immobilien im Prenzlauer Berg noch besser vermarkten lassen.


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