Donnerstag, 28. März 2024

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Urbanes Leben
"Stadt gesamtheitlich denken"

Die Stadt müsse als "gesamtheitlicher Organismus" gedacht werden, sagt Stadtplaner Matthias Sauerbruch im Dlf. Die Zeit der autogerechten Stadt sei vorüber. Klimawandel und Baukosten lassen den Ruf nach neuen Baustoffen und nachhaltigem Bauen lauter werden. Aber ist das auch wirtschaftlich?

Matthias Sauerbruch im Gespräch mit Anja Reinhardt | 06.09.2020
 Ein Besucher fährt auf dem als Tempelhofer Freiheit bezeichneten ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin mit einem Windsegel Longboard
Auch Stadt: Streetsurfer und Waveboarder auf dem Tempelhofer Feld (imago images / Andreas Prost)
Die Stadt ist Magnet und Problemfall zugleich. Viele Wege lassen sich gut ohne Auto machen. Die Klimabilanz des urbanen Raums sieht allerdings schlecht aus: Versiegelte Böden, Betonwüsten, zu wenig und zu teurer Wohnraum. An der Auto-orientierten Stadtplanung ist wenig geändert worden. Wie wird die Stadt lebens- und klimafreundlicher? Das zeigt die Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste "urbainable – stadthaltig".
"Spurmacher" malen auf eine Straße in Berlin einen neuen Fahrradstreifen.
Stadtentwicklung - Wie die Corona-Pandemie unsere Städte verändert
Plötzlich entstanden Pop-up-Radwege, der Autoverkehr wurde eingeschränkt und das öffentliche Leben in Städten verlagerte sich in die Parks. Was die Pandemie für Stadtentwicklung und Architektur bedeuten könnte, zeichnet sich schon jetzt ab.
Matthias Sauerbruch, Stadtplaner und Kurator der Ausstellung "urbainable", ist Direktor der Sektion Baukunst an der Berliner Akademie der Künste. Auf die Frage, ob es eine durchgehende Idee gibt, was die Stadt im 21. Jahrhundert sein soll, antwortet er: "Aber grundsätzlich gibt es natürlich übergreifend das Problem des Klimawandels und ich glaube das ist insgesamt ein deutlich gravierenderes Thema, das eine grundlegende Reform – oder wenn man so möchte – oder vielleicht sogar Revolution unseres Lebens notwendig ist, wenn wir abwenden wollen, was wir ja schon im Augenblick beobachten können, wie die Auflösung des Permafrosts, die Entstehung extremer Dürrezonen, Waldbrände global usf. Da ist ein Gefühl unter den Mitgliedern der Akademie der Künste, dass man nicht untätig zugucken darf, sondern, dass man in irgendeiner Art und Weise, was tun sollte. Das geht von großmaßstäblichen Strategien, die sich auf ganze Regionen beziehen bis hin zu Projekten, die sich mit dem Einsatz von Baustoffen auseinandersetzen und der Frage wie weit man das Bauen einfacher machen kann, auf Technologie verzichten kann, fossile Brennstoffe vermeiden kann."
Ganzheitlicher Organismus Stadt
Die Stadt war lange auf den Menschen und das Auto fokussiert, lässt sich das künftig umfassender denken? Für Stadtplaner Sauerbruch müsse die Stadt definitiv "als ein gesamtheitlicher Organismus gesehen" werden. "Das ist einer der Gründe, weswegen wir meinen, dass die Stadt möglicherweise auch der richtige Ort ist, und auch die Organisationsform in der tatsächlich wirksame Maßnahmen passieren können. Denn hier gibt es schon die Art von integrierter Existenz. Es hängt alles zusammen. Das Bauen hängt zusammen mit der Stadt. Die Stadt hängt zusammen mi dem sozialen Leben. Das soziale Leben hängt zusammen mit dem kulturellen Leben usw. Und natürlich, Ökologie, Pflanzenwelt, Tierwelt usw."
Städtische Artenvielfalt höher als im Umland
Die Stadt habe schon heute überraschende Aspekte, die in eine neue Richtung zeigen, so Sauerbruch: "Zum Beispiel ist die Artenvielfalt, also, wenn man die ganze Tierwelt inklusive Insekten usw. betrachtet ist die Artenvielfalt höher als im Umland zumindest hier in Deutschland. Wir finden mehr Tierarten, Pflanzenarten in den Zwischenräumen und den Parks der Stadt als in den Zonen industrialisierter Landwirtschaft."
Auf die Frage, ob die Ideen nachhaltiger Stadtplanung nicht mit den wirtschaftlichen Interessen kollidieren, antwortert Matthais Sauerbruch: "Irgendwo muss man ja anfangen. Ich glaube, da wir als Architekten mit der Wirtschaft, mit Entwicklern und Unternehmern usw. verbunden sind, kann durchaus die Diskussion eine andere Richtung nehmen, eine andere Form annehmen, wenn diese Themen von uns mit eingebracht werden. D.h. nicht notwendigerweise, dass sie dann auch gleich jedesmal umgesetzt werden, aber Stück für Stück, Pilotprojekt für Pilotprojekt ändern sich dann doch allmählich auch die Konventionen auch des Bauens."