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Uri Caines Wunderhorn-Lieder
Gratwanderung zwischen Jazz und Mahlers Spätromantik

Der amerikanische Pianist und Komponist Uri Caine ist bekannt für unkonventionelle musikalische Grenzgänge zwischen Klassik, Jazz und weiterer Musikrichtungen. Beim Heidelberger Frühling wurden seine Orchesterlieder auf Texte aus "Des Knaben Wunderhorn" uraufgeführt. "Das klingt wie Mahler auf Speed", so der Dirigent des Abends Kristjan Järvi.

Von Ines Stricker | 24.04.2017
    Zwei Hände dirigieren ein Orchester.
    Kristjan Järvi leitete das SWR Symphonieorchester in der Heidelberger Uraufführung von Uri Caines Orchesterliedern. (picture-alliance/ dpa / Hermann Wöstmann)
    Musik: Uri Caine, "Ehestand der Freude"
    "Es ging mir um diese unterschiedlichen Charaktere und Stimmungen in den Texten. Das sind oftmals boshafte oder zynische und auch etwas bizarre kleine Erzählungen. Es geht um den Verlust von Liebe oder die kindliche Unschuld, um Themen also, die auch Mahler liebte. Und ich glaube, ich habe mich bei meinen Texten danach gerichtet und überlegt, wie ich sie musikalisch umsetzen kann."
    Musik: Uri Caine, "Ehestand der Freude"
    Kein leichter Auftrag, den Uri Caine da vom Künstlerischen Leiter des Heidelberger Frühlings bekommen hat: Texte aus der Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" zu vertonen, also Volkslieder, die Anfang des 19. Jahrhunderts herausgegeben wurden und deren Wurzeln noch viel weiter zurückreichen.
    Außerdem tritt der amerikanische Komponist mit seinen "Four Wunderhorn Songs" in große Fußstapfen: Vor ihm haben schon Komponisten wie Felix Mendelssohn, Johannes Brahms und Richard Strauss "Wunderhorn"-Lieder geschrieben – und, allen voran, Gustav Mahler, ein Komponist, dessen enorme expressive Bandbreite Uri Caine fasziniert und dem er sich seelenverwandt fühlt.
    "Es sind diese ganzen Gegensätze und Gefühle, die er herausarbeitet. Es gibt volkstümliche Elemente, aber auch unheimliche und tragische, und dann wieder ungestüme fröhliche Momente. Das liegt auch in diesen Gedichten, sie tragen eine besondere Weisheit in sich. Es ist schön, musikalisch damit zu arbeiten."
    Gustav Mahler als Bezugspunkt
    Uri Caine hat es zwar vermieden, die gleichen Texte zu vertonen wie einer der älteren Komponisten. Aber seine Textwahl orientiert sich schon an Gustav Mahlers bevorzugten Themen zwischen Volkston, Todesahnung und Erlösungssehnsucht: So kommt zu "Ehestand der Freude" über die eheliche Liebe und "Amor", der Beschreibung vom Herzschmerz eines jungen Mädchens "Die Judentochter", eine Ballade über ein stolzes jüdisches Mädchen, das lieber den Freitod wählt, als sich für die Hochzeit mit dem Geliebten taufen zu lassen. An den Schluss setzt Uri Caine das "Erntelied" über den Schnitter Tod aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Hier wird das Wissen um die irdische Vergänglichkeit von der Hoffnung auf das himmlische Paradies überstrahlt.
    Musik: Uri Caine, "Erntelied"
    Nicht nur die Themen erscheinen als Hommage an Gustav Mahler, sondern stellenweise auch Uri Caines auf starke Kontraste setzende musikalische Umsetzung für ein spätromantisches Symphonieorchester mit üppiger Bläser- und Schlagzeugausstattung und Claudia Barainskys äußerst höhensicheren und beweglichen Sopran. Unvermittelte Ausrufe, satte lyrische Kantilenen und Flüstern beschreiben die Gefühlsschwankungen der Protagonisten, und das Orchester zieht die Hörer in einen wahren Klangstrudel.
    Aus der Perspektive des Jazz
    Dazu kommen bei Uri Caine, dem intellektuell wachen und souveränen Wanderer zwischen den Welten der abendländischen Klassik, des Jazz und einiger weiterer Musikrichtungen, aber auch sehr eigene Elemente, ein spezieller Groove so zu sagen. Kristjan Järvi, der das SWR Symphonieorchester in der Heidelberger Uraufführung von Uri Caines Liedern leitete, beschreibt es so:
    "Das klingt wie Mahler auf Speed, ungeheuer chromatisch, aber mit vielen tonalen Rhythmik-Elementen, die ganz eindeutig ein Merkmal von Uri Caine sind. Im zweiten und vierten Lied kommt sein eigener Stil ganz besonders durch, das zweite würde ich als Renaissance-Jazzballade bezeichnen."
    Musik: Uri Caine, "Amor"
    Kristjan Järvi hat beim Heidelberger Konzert Uri Caines zwischen Himmel und Hölle schwebende Lieder passend umrahmt mit dem von Gustav Mahler arrangierten, eher düsteren Beethoven-Streichquartett f-Moll op. 95 und Strawinskys opulenter "Feuervogel"-Suite. So gelang eine Art Einordnung des amerikanischen Blicks auf die lange europäische Tradition der "Wunderhorn"-Vertonungen.
    Genau diese ganz neue Perspektive ist es, die Kristijan Järvi an den "Wunderhorn Songs" von Uri Caine, dem Komponisten von jenseits des großen Teichs, so reizt. Zum einen, weil er selbst stilistische Offenheit und Auseinandersetzung liebt. Und vielleicht auch, weil Uri Caines Synthese aus Eigenem und Fremdem geradezu idealtypisch zum Motto des diesjährigen Heidelberger Frühling passt.
    "Seine Wurzeln liegen im Jazz, in Philadelphia und New York, also den nördlichen Städten an der Ostküste. Ohne die europäische Tradition gäbe es diese Lieder zwar nicht. Aber sein Blick auf diese Tradition kommt aus einer ganz anderen Richtung."