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Ursprung der Europäer
Unbekannter Einfluss aus Eurasien entdeckt

Paläogenetik. - Die Europäer haben außer den einheimischen Jägern und Sammlern sowie den von Süden eingewanderten Ackerbauern noch eine dritte Stammpopulation. Genetische Untersuchungen, die jetzt in "Nature" veröffentlicht werden, zeigen enge Beziehungen zu einer Population am sibirischen Baikal-See, die auch Kontakte zu den Stammvätern der heutigen amerikanischen Ureinwohnern hatte.

Von Michael Stang | 18.09.2014
    Zwar sei die europäische Bevölkerung heute unbestritten ein Schmelztiegel vieler verschiedener Kulturen, aber eine einheitliche Erklärung, wer die ursprünglichen Ahnen waren, konnten Genetiker bislang nicht angeben. Das gelang nun im Rahmen eines internationalen Projekts, an dem mehr als 100 Wissenschaftler gearbeitet haben. Anhand von zwölf alten Genomen und dem Erbgut knapp 1300 heute lebender Menschen aus 192 Populationen haben Paläogenetiker um Johannes Krause aus Tübingen herausgefunden, welche Einflüsse das Genom heutiger Europäer formten.
    "Und was wir dabei festgestellt haben ist, dass die heutigen Europäer nicht einfach eine Mischung sind aus frühen Jägern und Sammlern, die früher ursprünglich in Europa existierten, und vielleicht nach dem Neandertaler nach Europa gekommen sind, und diesen Ackerbauern, die vor 7.000 Jahren eingewandert sind - was ganz klar ist, dass dort eine Einwanderung stattgefunden hat; sondern in Europa gibt es noch ein dritte genetische Komponente."
    Unbekannte dritte Komponente
    Doch wer war diese bislang unbekannte Nummer drei neben den Jägern und Sammlern und den ersten Bauern aus dem Nahen Osten? Und woher stammten diese Menschen? Den Schlüssel lieferte eine Arbeitsgruppe aus Kopenhagen im vergangenen Jahr. Diese hatte das Genom eines Jungen veröffentlicht, der vor 24.000 Jahren in Sibirien in der Nähe des Baikalsees bestattet worden war.
    "Das war genau die genetische Komponente, die man in diesem Kind gesehen hat, die uns gefehlt hat. Und was jetzt interessant ist, ist, dass diese genetische Komponente nicht nur in diesem Kind am Baikalsee zu finden ist, sondern auch in Indianerpopulationen in Nordamerika und auch in Europäern. Das heißt, das ist eine genetische Komponente, die Europäer und Indianer in Nordamerika im Prinzip zusammenbringt. Das heißt die haben einen gemeinsamen Vorfahren, der wahrscheinlich vor 20.000 bis 15.000 Jahren wahrscheinlich irgendwo in Zentralasien einmal existiert hat."
    Woher genau diese Linie ursprünglich stammt, ist unklar. Fest steht nur, dass sie einen erheblichen Einfluss auf das Erbgut heutiger Europäer hatte, so Johannes Krause.
    "Und die heutigen Europäer tragen alle, in ganz Europa, diese drei genetische Komponenten in sich, das heißt die Komponente der Jäger und Sammler, die Komponente der Ackerbauern und Viehzüchter und im Prinzip die dieser anzestralen Nordeurasier."
    20 Prozent des Erbguts steuern Nordeurasier bei
    In Deutschland sieht die Verteilung wie folgt aus: 40 Prozent des Erbguts stammen von den ersten Ackerbauern und Viehzüchtern aus dem Nahen Osten, weitere 40 Prozent gehen auf die ursprünglichen Jäger und Sammler zurück und 20 Prozent macht der Beitrag der alten Linie aus Nordeurasien aus. Schaut man auf die einzelnen Länder Europas, verschieben sich die Anteile immer ein wenig. Während Menschen in Sardinien etwa größtenteils direkt auf die frühen Bauern zurückgehen, weisen Balten den größten Anteil der alten Jäger und Sammler auf. Einen zeitlichen Ablauf der Vermischung konnten die Genetiker auch simulieren.
    "Unser Szenario sieht jetzt so aus: Vor 7000 Jahren kamen die Ackerbauern und Viehzüchter aus dem Nahen Osten mit ihren domestizierten Tieren, mit ihren landwirtschaftlichen Produkten, die haben sich dann zum Teil vermischt auf ihrem Weg nach Zentraleuropa. In Zentraleuropa haben sich mit den Jägern und Sammlern vermischt, das hat wahrscheinlich eine Weile gedauert und vor ungefähr 5000 Jahren kommt eine neue Population nach Europa."
    Und dieser neue Einfluss vor 5000 Jahren passt auch gut mit den Erkenntnissen anderer Disziplinen zusammen. So hatten Linguisten etwa spekuliert, dass vor 5000 Jahren die ersten indoeuropäischen Sprachen nach Europa kamen und kurze Zeit darauf waren auch domestizierte Pferde im Einsatz, sowie Rad und Wagen.