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Urteil zu Hartz-IV-Leistungen
"Überprüfung ist schwierig"

Der Städte- und Gemeindebund hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den Hartz-IV-Leistungen für EU-Ausländer begrüßt. Die Entscheidung sei in gewisser Weise eine Erleichterung, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im Deutschlandfunk. Allerdings seien die Voraussetzungen, unter denen Leistungen verweigert werden können, relativ eng und schwierig zu überprüfen.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.11.2014
    Landsberg sprach von einem kleinen Baustein, um den "Sozialtourismus" in Deutschland einzuschränken. Die deutsche Rechtslage sei bestätigt worden. Nach seiner Ansicht ließen sich andere Motive, die Ausländer als Grund für ihren Aufenthalt in Deutschland angeben, nur schwer überprüfen. "Jede Regelung bietet Möglichkeiten, sie zu umgehen."
    Landsberg sprach sich dafür aus, die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern. Dies sei die Aufgabe der EU, sagte er.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Seit vier Jahren lebt die junge Frau aus Rumänien bei ihrer Schwester in Leipzig. Dort hat sie für sich und für ihren minderjährigen Sohn Hartz-IV-Leistungen beantragt. Das Jobcenter aber weigerte sich zu zahlen. Auch das Sozialgericht in Leipzig entschied, die Frau habe sich nicht erkennbar um Arbeit bemüht. Zurecht, wie der Europäische Gerichtshof jetzt geurteilt hat.
    Am Telefon begrüße ich Gerd Landsberg, den Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Schönen guten Tag.
    Gerd Landsberg: Ja! Guten Tag, Herr Barenberg.
    Barenberg: Ist für Sie das Urteil eine Erleichterung?
    Landsberg: Das Urteil ist für uns in gewisser Weise eine Erleichterung. Es ist ein wichtiger Baustein, aber eben nur ein kleiner, um den Sozialtourismus, den es in Europa eindeutig gibt, etwas einzuschränken. Und das Urteil bestätigt die deutsche Rechtslage.
    Barenberg: Warum ist das nur ein kleiner Baustein und keine große Erleichterung?
    Landsberg: Das ist deswegen nur ein kleiner Baustein, weil die Voraussetzungen, unter denen Sie die Leistung verweigern können, relativ eng sind und auch schwer zu überprüfen. Die einschlägige Regelung sagt: Der Ausländer, der nur hier herkommt, um Sozialhilfe zu begehren, oder der nur zur Arbeitssuche kommt, der ist ausgeschlossen. Wenn er noch andere nachweisbare Motive hat, sieht die Situation ganz anders aus. Und diese Voraussetzungen im Einzelfall darzulegen - in dem Fall ging das -, ist häufig ausgesprochen schwierig.
    Barenberg: Da hat also die grüne Europa-Parlamentarierin Ska Keller, die wir gerade gehört haben, Recht: Es muss jeder Einzelfall genau geprüft werden. Man kann jetzt aus diesem Urteil nicht eine pauschale Regelung ableiten?
    Landsberg: Nein. Das war immer so. Das haben die Städte und Gemeinden auch gemacht und das werden wir in Zukunft auch tun. Es ging ja um die Frage, ist diese Regelung in Deutschland, dass man sagt, wenn du nur kommst, um Sozialhilfe zu bekommen, oder nur kommst, um Arbeit zu suchen, dann hast du grundsätzlich keinen Anspruch - das ist ja eine generelle Regelung -, ist die richtig. Und da sagt der Europäische Gerichtshof: Ja, sie ist richtig.
    "Jede Regelung bietet natürlich auch Möglichkeiten, sie zu umgehen"
    Barenberg: Was macht es so schwer, das zu überprüfen?
    Landsberg: Natürlich ist in den Ländern, aus denen diese Menschen kommen, die Rechtslage hier bekannt. Nehmen Sie ein ganz einfaches Beispiel: Sie behaupten einfach, selbstständig zu sein. Das ist ganz schwer nachzuprüfen. Sie melden ein Gewerbe an; ob Sie das dann wirklich beherrschen, ob Sie das wirklich wollen, ist schwer nachprüfbar. Schon fallen Sie aus diesem Raster heraus. Das ist wie bei allen Regelungen: Jede Regelung bietet natürlich auch Möglichkeiten, sie zu umgehen. Das eigentliche Problem liegt ja viel tiefer. Das sind die wahnsinnig unterschiedlichen Sozialtransfer-Niveaus in den europäischen Staaten.
    Barenberg: Jetzt haben wir aus Brüssel die Kritik gehört, in dem Beitrag auch, man könnte jetzt nicht immer mit dem Finger auf Brüssel zeigen. Dort sei die Situation jetzt geklärt und umso mehr käme es jetzt darauf an, dass Städte und Gemeinden ihren Anteil an der Aufgabe übernehmen und diese Ansprüche wirklich gründlich prüfen und gegebenenfalls ablehnen.
    Landsberg: Das ist natürlich immer leicht gesagt und es ist immer üblich, dass eine Ebene auf die andere zeigt.
    Natürlich müssen die Kommunen das prüfen, das tun sie und das werden sie auch in der Zukunft tun. Und wir haben auch eine nationale Hausaufgabe. Deswegen hat ja die Bundesregierung gerade einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der sagt, dass in nachgewiesenen Fällen von Sozialmissbrauch auch befristete Wiedereinreiseverbote für EU-Zuwanderer durchgesetzt werden können.
    Insofern geschieht auf der nationalen Ebene etwas.
    Aber sicherlich hat die EU auch Hausaufgaben, nämlich die Lebensbedingungen in den EU-Ländern, aus denen diese Menschen zu uns kommen - die kommen ja nicht, weil sie Spaß daran haben, sondern weil sie in bitterster Armut leben und keine Perspektiven haben. Das ist sehr wohl eine Aufgabe der EU, diese Lebens-, Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen mit den Investitionsmittel-Fonds, die ja zur Verfügung stehen, zu verbessern. Insofern ist das eine gemeinsame Aufgabe.
    Wiedereinreisesperre für Armutsflüchtlinge ist ein wichtiges Signal
    Barenberg: Sie haben den Gesetzentwurf angesprochen, der auf dem Tisch liegt, beschlossen von der Bundesregierung, der dazu führen soll, das was die CDU ja gelegentlich Armutszuwanderung nennt, zu begrenzen und dafür auch Strafen einzuführen. Sie haben die Wiedereinreisesperre angesprochen. Sie halten das nach wie vor für notwendig?
    Landsberg: Ich halte es für ein wichtiges Signal. Ich sage aber auch, es ist auch wieder nur ein Signal, weil der Vollzug schwierig ist. Sie haben ja im Prinzip offene Grenzen. Das ist doch reiner Zufall, wenn Sie feststellen: Mensch, der war ja schon mal hier, da besteht ja ein Wiedereinreiseverbot.
    So ganz einfach ist das auch nicht umzusetzen. Aber als Signal ist es aus meiner Sicht richtig, übrigens auch ein Signal für das Inland. Wir stehen zur Integration, wir stehen zur Freizügigkeit, aber wir stehen auch dazu, dass Ansprüche auf soziale Leistungen nur diejenigen bekommen, die darauf nach unserem Gesetz berechtigterweise einen Anspruch haben.
    Barenberg: Die Opposition, Gewerkschaften, Sozialverbände, die sagen ja mit Blick auf dieses Gesetz, damit reagiere die Bundesregierung auf ein Problem, das es überhaupt gar nicht gibt.
    Landsberg: Das sehe ich anders. Das Problem gibt es. Es hat sicherlich nicht das Ausmaß, wie es teilweise dargestellt wird. Eine ganz große Menge von Menschen, die zu uns kommen, wollen hier arbeiten, arbeiten hier auch. Sie wissen, wir haben hier Fachkräftemangel. Wir haben auch bei einfachen Tätigkeiten inzwischen teilweise Mangel. Es ist ein Problem. Es ist vielleicht nicht so groß, wie es immer dargestellt wird. Aber dass es keines ist, würde ich nicht so sehen.
    Ein Bus von Rumänien nach Deutschland - nun soll es ein Gesetz gegen Sozialmissbrauch durch Zuwanderer aus der EU geben.
    Ein Bus von Rumänien nach Deutschland - nun soll es ein Gesetz gegen Sozialmissbrauch durch Zuwanderer aus der EU geben. (dpa / picture-alliance / Marc Tirl)
    "Sehr viele sind sehr gut integriert"
    Barenberg: Sehen Sie denn auch das, was das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) jetzt herausgefunden hat, dass da sich eine Schere auftut, dass es einerseits immer mehr Zuwanderer gibt, sagen wir, aus Rumänien und Bulgarien, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, in Anspruch nehmen müssen, dass es auf der anderen Seite aber auch immer mehr Zuwanderer aus diesen Ländern gibt, die sich sehr gut in unseren Arbeitsmarkt integrieren, und immer mehr, die einen Job finden?
    Landsberg: Das ist aus meiner Erfahrung eine zutreffende Zustandsbeschreibung. Sehr viele sind sehr gut integriert, machen einen guten Job, verdienen Geld, bezahlen in unsere Sozialsysteme ein. Aber es gibt wie gesagt auch die sicherlich deutlich kleinere, aber doch vorhandene andere Gruppe, und die macht den Kommunen ja nicht nur Probleme unter dem Aspekt der Sozialleistungen. Sie macht uns insbesondere unter dem Aspekt Probleme: Wie bringe ich diese Menschen unter, wie schaffe ich, dass die Kinder in die Schule gehen und dort auch mitkommen, wie vermittele ich denen unser Leben, unsere Lerninhalte. Das ist die eigentliche Herausforderung, die wir haben. Das andere ist auch wichtig, aber steht gar nicht so im Vordergrund.
    Barenberg: Was den letzten Punkt angeht, den Sie angesprochen haben, hat die Bundesregierung ja angekündigt, auch im Rahmen dieser Gesetzgebung, die geplant ist, dass es da mehr Geld für die Städte und Gemeinden, mehr Geld für die Kommunen geben soll, mehr Unterstützung, gerade was die Fragen von Unterbringung, Sprachkurse, Sozialarbeit, Integration angeht. Ist das ausreichend, was die Bundesregierung da liefert?
    Landsberg: Als Vertreter eines Spitzenverbandes ist es natürlich nie ausreichend.
    Landsberg: Nie ausreichend - ist klar.
    Landsberg: Nein, es ist schon wirklich so: Für das erste Jahr 40 Millionen, das ist eine nennenswerte Summe. Die geht allerdings teilweise aus den Fördermitteln soziale Stadt. Aber das ist wichtig, das ist richtig und das hilft uns enorm, weil sich diese Gruppen, über die wir sprechen, ja auf 10, 14 Städte in Deutschland konzentrieren, und diese Städte haben davon Vorteile.
    Dass man sich mehr wünscht, ist auch klar. Dass wir nächstes Jahr wieder verhandeln werden, wie viel stellt der Bund oder auch die Länder bereit, wie viel brauchen wir, wie entwickelt sich das, das ist selbstverständlich. Das heißt, das Problem ist damit nicht erledigt, aber das Problem ist erkannt und die Regierung hilft und das muss man einfach auch mal anerkennen.
    EU muss Sozialgefälle in Europa abflachen
    Barenberg: Das heißt, wenn wir davon ausgehen, dass die Attraktivität von Deutschland als Land für Zuwanderung ungebrochen ist und möglicherweise noch wachsen wird in den nächsten Jahren, dann würden Sie sagen, diese Entscheidung des EuGH heute zum einen und die gesetzgeberischen Maßnahmen der Bundesregierung zum anderen und die Unterstützung für die Kommunen als drittes, das ist schon ein Rahmen, mit dem Sie jetzt ganz gut leben werden?
    Landsberg: Das ist ein Rahmen, mit dem wir leben müssen und von dem wir aber hoffen, dass er breiter und stabiler wird, und dazu gehört meiner Ansicht nach auch, dass man das vermeidet, dass das Gefälle von Sozialleistungen Deutschland und andere EU-Länder immer größer wird. Das heißt, wir werden immer attraktiver und die anderen immer weniger attraktiv. Das können wir nicht ändern, aber die EU kann sehr wohl Maßnahmen ergreifen, die das etwas abflachen.
    Barenberg: Das ist natürlich mutmaßlich ein eher langfristiger Prozess. Für den Moment können wir festhalten: Diese ganze Aufregung um das, was manche Armutszuwanderung in die Sozialsysteme nennen, die können wir uns ein Stück weit sparen?
    Landsberg: Die können wir uns ein Stück weit sparen. Das ändert aber nichts daran, dass es sie gibt und dass wir damit umgehen müssen.
    Barenberg: ... , sagt Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Landsberg: Bitte! Auf Wiederhören!
    Barenberg: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.