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Urteil zum dritten Geschlecht
"Für uns ist das eine kleine Revolution!"

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das sogenannte dritte Geschlecht offiziell anerkannt wird. "Der Gesetzgeber und die Gesellschaft können uns nicht mehr ignorieren", sagte Moritz Schmidt von der Kampagne "Die dritte Option" im Dlf. Dennoch sieht er weiterhin viel Handlungsbedarf.

Moritz Schmidt im Gespräch mit Sabine Demmer | 08.11.2017
    Die Gruppe "Dritte Option" fordert, dass es beim Geschlechtseintrag im Geburtenregister eine weitere Option neben "männlich" und "weiblich" gibt.
    "Wir haben Persönlichkeitsrechte": Die Gruppe "Die dritte Option" hat den Erfolg für die Anerkennung intersexueller Menschen juristisch erstritten (dpa-Bildfunk / Jan Woitas)
    Sabine Demmer: Männlich oder weiblich? Zwei Geschlechter - zwei Optionen. Mehr Auswahl gab es bei deutschen Behörden bisher nicht beim Geschlechtseintrag. Doch das wird sich künftig ändern. Bei der Angabe braucht es eine dritte zusätzliche Option. So sehen es die Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und sie haben heute entschieden, dass es für intersexuelle Menschen auch eine Möglichkeit geben muss, sich dort wiederzufinden. - Intersexuell heißt: Das sind Menschen, die sich weder dem männlichen, noch weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
    "Wir haben Persönlichkeitsrechte"
    Es wird bald eine dritte Option für den Eintrag ins Geburtsregister geben. "Dritte Option" heißt übrigens auch die Kampagne, die durch alle Gerichtsinstanzen gekämpft hat, um diese Entscheidung voranzubringen. Moritz Schmidt ist Sprecher dieser Kampagne. Herr Schmidt, Sie haben heute recht bekommen. Was bedeutet Ihnen dieses Urteil, dass es diese dritte Option künftig in amtlichen Dokumenten geben wird?
    Moritz Schmidt: Für uns ist das eine kleine Revolution und wir feiern natürlich, dass wir endlich recht bekommen haben. Für uns heißt das Urteil, dass betroffene Menschen, die nicht männlich oder weiblich sind, endlich einen offiziellen Eintrag haben, dass sie sagen können, wir existieren und wir haben Persönlichkeitsrechte, und sowohl der Gesetzgeber als auch die Gesellschaft kann uns nicht mehr einfach ignorieren, sondern wir sind da.
    Demmer: Sind Sie denn selbst intersexuell, oder warum war es Ihnen ein Bedürfnis, dies in Deutschland voranzubringen?
    Schmidt: Nein, ich selbst bin Transgender.
    Demmer: Können Sie den Unterschied noch mal vielleicht ein bisschen erklären?
    Schmidt: Intergeschlechtlichkeit ist eine körperliche Konstitution, die von den Vorstellungen, wie Männer oder Frauen auszusehen haben, abweicht. Transgeschlechtlichkeit ist eine Geschlechtsidentität, die nicht mit dem Geburtsgeschlecht übereinstimmt.
    "Nicht alle intergeschlechtlichen Menschen finden diese Option für sich selber gut"
    Demmer: Okay. Das heißt, was werden Sie künftig ankreuzen?
    Schmidt: Ich für mich werde weiterhin männlich ankreuzen. Aber ich habe auch nicht geklagt; ich habe Vanja bei der Klage unterstützt.
    Demmer: Okay. - Was glauben Sie denn, wie viele Personen diese dritte Option künftig nutzen werden?
    Schmidt: Es gibt leider überhaupt keine statistischen Erhebungen oder Zahlen, die uns darüber Auskunft geben. Ich denke, es wird sich die nächsten Jahre erst herausstellen, wie viele Menschen diese Option für sich nutzen wollen. Nicht alle intergeschlechtlichen Menschen finden diese Option für sich selber gut. Viele intergeschlechtliche Menschen sagen auch, sie sind eindeutig Mann oder eindeutig Frau.
    Demmer: Vielleicht können Sie uns noch mal ein bisschen was über diesen Prozess erzählen, von der Vergangenheit, als Sie entschlossen haben, dafür zu kämpfen, bis heute. Wie lang hat das insgesamt gedauert?
    Schmidt: Von dem Beschluss bis heute hat es fünf Jahre gedauert. Wir haben uns erst zusammengefunden, dann den Antrag formuliert und dann letztendlich 2014 im Sommer beim Standesamt eingereicht. Dann zog sich das jetzt übers Amtsgericht, übers Oberlandesgericht bis hin zum Bundesgerichtshof, der unseren Antrag ablehnte, und jetzt haben wir endlich vorm Bundesverfassungsgericht recht bekommen.
    Viel Unterstützung und Zuspruch
    Demmer: Haben Sie starken Gegenwind zu spüren bekommen, oder viel Unterstützung?
    Schmidt: Wir haben im Laufe des Prozesses vor allem viel Unterstützung bekommen. Wenn man sich die Kommentarspalten bei den Presseberichten durchliest, dann sieht das manchmal auch anders aus. Die Reaktionen, die wir direkt bekommen haben während der Zeit, waren fast durchweg positiv - von Menschen, die darauf gewartet haben, dass wir endlich gewinnen, weil sie die Option für sich selber auch wollen, über Menschen, die das einfach politisch gut fanden, was wir gemacht haben.
    Demmer: Es wird ja dauern, bis es diese dritte Option dann auch wirklich bis in alle amtliche Dokumente geschafft hat. Angekündigt ist das bis Ende 2018. Sind Sie denn jetzt zufrieden, oder sehen Sie nach dem Urteil noch weiteren Handlungsbedarf in Punkto Intersexualität?
    Schmidt: Wir sind erst mal zufrieden, dass unser primäres Ziel, womit wir uns beschäftigt haben, jetzt umgesetzt wird, wie auch immer der Gesetzgeber das dann konkret umsetzen wird. Aber es gibt natürlich weitere Felder, die bearbeitet werden müssen. Das ist zum einen die Frage von der gesellschaftlichen Akzeptanz, die nicht einfach durch ein Urteil herbeizuführen ist, über die Frage von unnötigen Operationen an Kleinkindern, um ihnen ein Geschlecht zuweisen zu können. Da ist noch viel Handlungsbedarf und noch viel Luft nach oben, sage ich mal.
    Demmer: Intersexuellen Menschen soll ermöglicht werden, ihre geschlechtliche Identität in amtlichen Dokumenten eintragen zu lassen. Das hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden. Darüber habe ich mit dem Sprecher der Kampagne "Dritte Option" gesprochen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Schmidt: Ja! Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.