Dienstag, 16. April 2024

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Urteil zum NC für Medizin
"Eher eine graduelle Änderung als eine Revolution"

Viel werde sich nicht ändern mit dem Urteil, sagte Cort-Denis Hachmeister, Experte für Hochschulzulassung, im Dlf. Schon jetzt würden die meisten Hochschulen zusätzliche Tests zur Aufnahme durchführen. Die müssten nun vereinheitlicht werden. Dennoch gäbe es auch eine entscheidende Verbesserung für Bewerber.

Cort-Denis Hachmeister im Gespräch mit Silvia Engels | 19.12.2017
    Mehrere Medizinstudenten behandeln die Hightech-Puppe "HAINS" in einem Operationssaal der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
    Das Bundesverfassungsgericht will einen chancengleichen Zugang zum Medizinstudium - aber wie genau lässt sich das umsetzen? (dpa / picture-alliance)
    Silvia Engels: Wartezeiten von mehreren Jahren oder ein Abiturschnitt von 1,2 und besser - das sind derzeit die Hauptmöglichkeiten, um an einen Studienplatz für Medizin zu kommen. Dazu legen Universitäten auch eigene Auswahlkriterien an; die beinhalten aber auch viele schulische Leistungen, die gezeigt werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt hier nun Abänderung. Mitgehört hat Cort-Denis Hachmeister. Er ist Experte für Hochschulzulassung beim Centrum für Hochschulentwicklung Gütersloh. Guten Tag, Herr Hachmeister.
    Cort-Denis Hachmeister: Guten Tag!
    "An vielen Teilen wird sich gar nicht viel ändern"
    Engels: Das Bundesverfassungsgericht will einen chancengleichen Zugang zum Medizinstudium. Das sind die Hausaufgaben für Bund und Länder. Haben Sie eine Idee, wie das gehen soll?
    Hachmeister: Ich glaube, an vielen Teilen wird sich vielleicht gar nicht so viel ändern, wie man das jetzt erst vermuten könnte. Die Hochschulen gerade im Fach Medizin machen das ja jetzt schon so. Es gibt nur drei Hochschulen, die ausschließlich nach der Abiturnote auswählen. Die anderen, ungefähr die Hälfte der Hochschulen, benutzt jetzt schon einen zusätzlichen Test und viele benutzen auch dieses Kriterium der vorherigen Berufsausbildung. Insofern wird sich da von der Gesetzgebung zwar was ändern, aber die Hochschulen werden wahrscheinlich nicht so viel anders auswählen, als sie das heutzutage tun.
    Engels: Sie haben es angesprochen. Viele Hochschulen verweisen heute schon auf einen Test, den sie durchführen. Da sagt das Bundesverfassungsgericht aber auch, hier müssen einheitliche Kriterien zugrunde liegen der verschiedenen Interviewführungen oder dieser Tests, die die Hochschulen ableisten. Kommen wir dann über kurz oder lang wieder zu einem zentralen Medizinertest zurück, wie wir das ja schon mal hatten?
    Hachmeister: Halb sind wir ja schon da. Die Hochschulen, die das jetzt machen mit den Tests, die haben auch schon einen weitestgehend einheitlichen Test. Fast alle verwenden den gleichen und nur ein paar verwenden noch einen anderen. Das würde ja im Prinzip dem Anspruch, dass das strukturiert und standardisiert ist, auch genügen. Ich kann mir aber vorstellen, dass da noch mehr Hochschulen dann einsteigen werden in diese Testung.
    Weitere Kriterien neben Abiturnote sinnvoll
    Engels: Wie ist es denn mit diesem berühmten anderen Kriterium, was nicht mit Schulnoten zu tun haben sollte? Sollte man da noch stärker als bisher Ihrer Meinung nach medizinische Vorkenntnisse, andere Ausbildungswege im Bereich Medizin berücksichtigen?
    Hachmeister: Ja, ich denke schon, dass das auch sinnvoll ist, tatsächlich neben der Abiturnote noch weitere Kriterien zu verwenden. Das wäre auch hilfreich und ein Ansporn für die Leute, die sich bewerben, Kriterien zu verwenden, wo man auch selber was tun kann. Die Abiturnote hat man ja einmal und dann kann man sie nicht mehr verändern. Wenn ich aber weiß, wenn ich das und das tue oder hier und da mich weiter fortbilde, dass ich damit meine Chancen erhöhe, das halte ich für sinnvoll.
    Engels: Aber ist das dann überhaupt noch vernünftig von den Universitäten abzufragen? Kann man in solchen Verfahren überhaupt noch angesichts der wachsenden Komplexität Entscheidungen treffen?
    Hachmeister: Es wurde ja vorgegeben, dass zum Beispiel die Berufsausbildung strukturiert erfasst wird. Da kann man sich ja einfach auf eine Art Punkteschema einigen und sagen, okay, die Ausbildung zählt so und so viel, diese Ausbildung zählt so und so viel. Das geht ja nur, wenn das an allen Hochschulen gleichförmig honoriert wird und dass es nicht der Willkür der einzelnen Hochschule überlassen ist, was sie akzeptiert und in welchem Maße. Aber das ist, glaube ich, eher eine graduelle Änderung, als das jetzt eine Revolution ist.
    "Über Zahl der Studienplätze entscheidet der Gesetzgeber"
    Engels: Sie sprechen es an: Es ist keine Revolution. Denn das, was natürlich viele Medizinstudenten oder die, die es werden wollen, interessieren würde, wäre, dass es einfach mehr Studienplätze gibt. Dazu macht das Verfassungsgericht nun keine Vorgaben. Hätten Sie sich da mehr versprochen?
    Hachmeister: Ich habe damit gerechnet, dass das eventuell kommen könnte. Jetzt hat das Verfassungsgericht aber gesagt, über die Anzahl der Studienplätze entscheidet der Gesetzgeber, und es geht bei dem Urteil tatsächlich nur um die Frage, wie werden die vorhandenen Plätze am sinnvollsten und am gerechtesten verteilt. Das heißt natürlich nicht, dass es genügend Studienplätze gibt. Nur das Verfassungsgericht hat eben nicht sich selber die Kompetenz zugesprochen zu sagen, es gibt zu wenig oder wir müssen das irgendwie prüfen.
    Kriterien werden einheitlicher
    Engels: Nun haben Bund und Land erst mal diesen Gesetzesveränderungsauftrag. Ich werde den Eindruck nicht los, als ob wir langsam wieder eine Entwicklung zurücknehmen. Vor einigen Jahren wurde das Medizinstudium eher dezentral organisiert, was die Vergabe angeht. Nun kommen wir wieder zur Zentralisierung zurück. Das hatten wir alles schon mal. Ist das auch der richtige Weg?
    Hachmeister: Es bleibt ja trotzdem dezentral, nur dass die Kriterien vielleicht einheitlicher werden, beziehungsweise die Vergabe technischer Art geht ja weiterhin über die Stiftung für Hochschulzulassung. Die Entscheidung bleibt aber bei den Hochschulen. Das Hochschul-Auswahlverfahren an sich, dass die Hochschulen selber eine Quote haben, wo sie selber die Kriterien festlegen können, das gibt es ja weiterhin, nur dass diese Kriterien stärker vereinheitlicht werden müssen und dass es da ein bisschen stärkere Vorgaben gibt, wie diese Kriterien zu verwenden sind. Insofern ist das eher eine graduelle Anpassung.
    Vorteil: Ortspräferenz wird gekippt
    Engels: Wird durch dieses Urteil irgendetwas besser für die Studienbewerber?
    Hachmeister: Was ich auf jeden Fall einen Vorteil finde, ist, dass die Ortspräferenz, die es jetzt gab, offensichtlich gekippt ist vom Verfassungsgericht, dass die Studierenden nicht vorher sagen müssen, welche Hochschule gebe ich als Erstwunsch an. Das macht es ja tatsächlich ein bisschen undurchsichtiger, weil man vorher abschätzen muss, wie sind die Chancen bei dieser Hochschule und gebe ich jetzt die richtige an. Es könnte ja passieren, man hat dann eine Hochschule, bei der man eigentlich reingekommen wäre, die hat man aber nicht als erste Ortspräferenz und kommt deswegen da nicht rein, obwohl man besser geeignet ist als jemand anders. Diese Komplexität, dass man auch noch taktisch sich bewerben muss, das wird reduziert, und das finde ich jetzt eigentlich schon mal eine Verbesserung.
    Engels: Was können dann die Länder und der Bund noch als Erleichterung bieten?
    Hachmeister: Ja, gut - eigentlich nichts weiter.
    Engels: Ich sehe, da muss in der Tat offenbar der Gesetzgeber noch nachgrübeln. Ich bedanke mich herzlich für das Interview. Das war Cort-Denis Hachmeister vom Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.