Donnerstag, 25. April 2024

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Urteil zur Schufa
"Eine mehr als enttäuschende Entscheidung des Gerichts"

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Schufa nicht Auskunft über ihr Bewertungssystem geben muss. Der Gesetzgeber müsse deshalb jetzt handeln, fordert Renate Künast (Grüne), Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, im DLF. Es sei ein Grundrecht, selbst zu entscheiden, wer was mit den persönlichen Daten mache.

Renate Künast im Gespräch mit Bettina Klein | 30.01.2014
    Bettina Klein: Nicht wenigen wird Angst und Bange, wenn das Wort Schufa fällt. Man könnte den Eindruck gewinnen, es handele sich um eine Außenstelle des Finanzamtes oder gar des Finanzministeriums. Doch mitnichten ist das der Fall. Die Schufa ist ein privatwirtschaftlich organisiertes, profitorientiertes Unternehmen, das mit Daten aller erwachsenen Bundesbürger Geschäfte betreibt, oder sie zumindest in ein Geschäft verwandelt, und dem andere Unternehmen vertrauen. Daran hat sich auch in den vergangenen Jahren nichts geändert, trotz öffentlich gewordener Pannen, teils fälschlicher Datensammlungen und teils fälschlich berechneter Kreditwürdigkeit.
    Die Schufa musste mehr Transparenz versprechen, aber die hat ihre Grenzen. Vorgestern wurde höchstrichterlich verkündet: Das Unternehmen muss nicht offenlegen, wie es zu dem berüchtigten Scoring kommt, das sie als eine Art Gütesiegel allen Bürgern mit Blick auf Seriosität oder Kreditwürdigkeit umhängt. Am Telefon ist die Vorsitzende vom Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die Grünen-Politikerin Renate Künast. Guten Morgen!
    Renate Künast: Guten Morgen, Frau Klein.
    "Es ist für meine Begriffe die Spitze des Eisberges"
    Klein: Frau Künast, angesichts der enormen Vertrauensstellung und des Einflusses, die der Gesetzgeber der Schufa ja derzeit einräumt, ist es da eigentlich akzeptabel, dass der Umgang mit Kundendaten, die ja nicht freiwillig von uns genehmigt eingesammelt werden, geheim bleibt und mit dem Coca-Cola-Rezept verglichen wird?
    Künast: Ja, es ist schon mal absurd, wenn es um den Vergleich des Coca-Cola-Rezeptes geht, weil wir wollen ja nicht die Schufa nachahmen und es geht auch nicht darum, die geheimnisvolle Formel für dieses Zuckergetränk zu erfahren, sondern es geht darum, ob Sie und ich, wir alle erfahren dürfen, nicht nur welche Daten, private Daten über uns gesammelt werden, woher auch immer, sondern wie dahinter auch diese, man nennt das, statistischen Bewertungsverfahren sind. Darum geht es ja. Statistisches Bewertungsverfahren heißt: sie haben so ein System, mit dem sie Ihre Adresse - gute Gegend, schlechte Gegend - die Tatsache, ob Sie schon mal einen Kredit hatten oder nicht, oder arbeitslos waren oder nicht und wie alt Sie sind, das alles wird zusammengerührt in eine Art Suppe, eben statistisches Bewertungsverfahren, und raus kommt die Schublade, in die Sie gesteckt werden - nennen wir das mal statistische Schublade. Und es ist für meine Begriffe die Spitze des Eisberges und eine mehr als enttäuschende Entscheidung des Gerichts, wenn jetzt angesichts der digitalen Veränderungen, was die alles können, der Profile, dieser Bewertungen, die über uns erstellt werden, die einfach sagen, wie die Daten ins Verhältnis zueinander gestellt werden, dürfen wir nicht wissen.
    "Die Daten müssen öffentlich gemacht werden und wie die bewertet werden"
    Klein: Frau Künast, ich entnehme Ihren Worten, dass Sie sagen, der Gesetzgeber muss jetzt handeln?
    Künast: Genau. Sie können es übersetzen: Der Gesetzgeber muss handeln, er muss eine klare Regelung haben. Das ist alles in Paragraf 34 Bundesdatenschutz geregelt, welche Auskunftsrechte wir als individuelle Kunden haben. 2009 hat das die damalige Große Koalition so formuliert, wie es jetzt ist. Das war damals schon kritisch und jetzt ist klar: er muss handeln und er muss nämlich ganz klar sagen, sonst kommen wir nämlich nicht nur in die Schufa-Fänge, sondern wirklich in Teufelsküche im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte, er muss klar sagen, die Daten müssen öffentlich gemacht werden und wie die bewertet werden. Weil wenn Sie jemals wieder einen Kredit aufnehmen wollen, müssen Sie ja wissen, was Sie jetzt aufklären müssen, und es ist immer peinlich genug, wenn man feststellt, man hat damals mal einen Kredit nicht zügig zurückgezahlt, dass man da jetzt nachweisen muss, dass man ihn zurückgezahlt hat, dass man jetzt eine bessere finanzielle Situation hat. Peinlich genug!
    Klein: Es geht ja nicht nur um Kreditvergabe. Es wird ja teilweise oder inzwischen fast schon flächendeckend verlangt eine Schufa-Auskunft, wenn man eine Wohnung mieten möchte. Dann allerdings reicht dieses allgemeine Führungszeugnis, sage ich mal, das die Schufa dann für jeden Bürger ausstellt. Was alles mit einfließt, das können die Kunden ja erfragen. Aber Sie haben es angedeutet: Das sind etliche Kriterien, und was da wie gewichtet wird, das darf die Schufa unter Verschluss behalten. Wenn wir die Richter richtig verstehen, dann sagen sie, das ist Betriebsgeheimnis und das ist etwas, was in der Marktwirtschaft auch üblich ist. An welchem Gesetz müsste denn dann etwas geändert werden?
    Künast: Dafür muss man anfangen beim Bundesdatenschutzgesetz, indem man klar sagt, wer immer private Daten über uns angelt, muss die Daten, ihre Erhebung, an wen sie weitergegeben worden sind, und zwar nicht nur das letzte Jahr, wie es jetzt das Gesetz vorgibt, und diesen statistischen Bewertungsverfahren, in welches Verhältnis die Daten zueinander gesetzt werden, mindestens erfahren. Ich will ja nicht wissen, wie deren Rechner funktioniert, und ihre Software ausspähen, sondern zumindest müsste man dann erfahren, ob Jobs, Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Wohngegend, wohne ich in reichen oder armen Gegenden oder so, was wirkt wie viel Prozent, um dann auch sagen zu können, das erkläre ich oder das verändere ich, um dann entsprechend an diese Informationen zu kommen.
    "Es ist mein Grundrecht, zu bestimmen, wer Daten von mir hat"
    Klein: Dass das viele Leute interessiert und dass sie das wissen möchten, das können wir, glaube ich, mal unterstellen an dieser Stelle. Die Frage ist natürlich: Die Befürworter dieses Verfahrens argumentieren ja, das ist ein marktwirtschaftlich organisiertes Unternehmen, die Schufa, und die dürfen das einfach. Es ist einfach nicht zulässig, da einen Eingriff in die Marktwirtschaft zu tätigen.
    Künast: Na ja, es ist eben was anderes als Coca-Cola, und zwar nicht nur, weil es da um einen anderen Gegenstand, um ein Getränk geht. Wir haben ja als potenzielle Kunden oder Vertragspartner, ob Kredit- oder Mietvertrag, oder wir kaufen ein Auto, mit Coca-Cola gar nichts zu tun. Die haben irgendwo ihre Fabrik und produzieren. Hier geht es aber um unsere privaten Daten, und es gibt ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Man nennt das auch Datenschutz-Grundrecht. Das hat vor vielen Jahren mal ein Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das zu unserem Persönlichkeitsrecht gehört. Und da handelt jemand mit unseren Daten, mit meinen Daten. Wie kommt der eigentlich dazu, Dinge über unser Leben von vor 20 Jahren alle zu sammeln, um dann noch daraus Auswertungen zu machen? Es ist mein Grundrecht, eigentlich zu bestimmen, wer hat Daten von mir, hält sie vor und macht damit was, und insofern ganz anders als das Betriebsgeheimnis.
    Klein: Frau Künast, wenn es für Sie so klar ist, dann würde mich schon mal interessieren, weshalb hat denn der Gesetzgeber diesem Unternehmen eine solche einflussreiche Stellung eingeräumt bisher?
    Künast: Ja, jetzt müssten Sie eigentlich jemand aus der Großen Koalition fragen, der 2009 dabei war.
    Klein: Die Grünen waren auch ein paar Jahre an der Regierung.
    Künast: Ja natürlich! Natürlich! Aber trotzdem haben wir dieses Gesetz nicht gemacht, sondern wir waren die, das sehen Sie in den Bundestagsprotokollen, die schon 2009 genau das kritisiert haben, als viel zu eng, dass man nur die Daten, nicht die Bewertungsverhältnisse kriegen kann, und haben damals ja schon so viel Druck gemacht. Dann wurde ein entsprechendes Gutachten gemacht und wir gucken uns jetzt an und fordern auch auf: macht die Bundesregierung mit ihrer Mehrheit jetzt, zieht sie daraus Schlüsse, gegebenenfalls bringen wir selber einen Entwurf ein. Aber wir wissen: Am Ende stellen wir nicht alleine die Mehrheit im Deutschen Bundestag dar. Aber wir haben damals und heute auch wieder kämpfen wir dafür, dass wir wirklich die Hoheit über unsere Daten haben und erfahren dürfen, was andere damit tun.
    "Wir müssen natürlich jetzt auch den Druck eröffnen"
    Klein: Das ist klar, Sie haben keine Mehrheit, Sie sind die kleinste Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, die kleinste Fraktion. Werden Sie denn eine Initiative zumindest mal auf den Weg bringen, um das Thema auf der Tagesordnung zu halten?
    Künast: Wir fragen jetzt die Bundesregierung ab, ob sie eine macht. Wenn nicht, kommt auch eine von uns. Das Ding ist schon sowieso, es kommt auf die Tagesordnung der Diskussion sowieso. Aber wir müssen natürlich jetzt auch den Druck eröffnen. Ich hoffe, dass da auch viele Verbraucherverbände mitmachen und sagen, hier sehen wir jetzt die Spitze des Eisberges und eine Gefahr des Profilings und Scorings an der Stelle und da brauchen wir eine Regelung. Mit etwas Unterstützung kriegen wir es bestimmt zu einem echten Thema im Deutschen Bundestag.
    Klein: Aber, Frau Künast, Sie deuten auch schon an: eine wirkliche Mehrheit hat sich dafür bisher nicht gefunden, findet sich im Augenblick möglicherweise auch nicht. Es ist vielleicht erstaunlich, dass beim Thema Datenschutz ja sehr, sehr schnell Empörung gerade heutzutage ausgelöst werden kann. Beim Thema Schufa, da hat man den Eindruck, alle halten sich ein wenig zurück. Liegt das auch daran, an den ganz konkreten Einflussmöglichkeiten, die dieses Unternehmen mit Blick auf das persönliche Leben jedes einzelnen haben kann?
    Künast: Das weiß ich nicht. Vielleicht ist der eine oder andere betroffen und hat schon mal schlechte Erfahrungen mit der Schufa gemacht. Da will ich gar nicht drüber philosophieren. Ich glaube, der allerwichtigste Punkt ist, dass der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit versteht, auch mit Blick auf NSA zum Beispiel und die ganzen Geheimdienste, dass man sowohl gegenüber Geheimdiensten, aber auch gegen diese ganzen privat tätigen, die unsere privaten Daten sammeln und damit Geld verdienen, und zwar nicht schlecht, ich hoffe, dass die Mehrheit auch versteht, dass in diesem privaten Bereich auch den Entwicklungen etwas entgegengesetzt werden muss, weil es ist ja wie gesagt nicht nur hier. In allen Verträgen unseres Lebens taucht das wieder auf ...
    Klein: Wir verlieren gerade die Leitung zu Renate Künast. Ich glaube aber, Ihre Botschaft, Frau Künast, ist deutlich geworden. Sie fordern, dass der Gesetzgeber tätig wird nach dem Bundesgerichtshofs-Urteil in Sachen Schufa. Das war Renate Künast, die Vorsitzende vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.