Donnerstag, 18. April 2024

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US-Abhöraktionen
Ischinger: Obama wird Spionage nicht einstellen

Heute wird US-Präsident Barack Obama in einer Rede Stellung zum Abhörskandal nehmen. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geht im Gespräch mit dem DLF aber nicht davon aus, dass die USA ihre Spionagemaßnahmen stoppen werden. Das Land sei nach wie vor traumatisiert durch die Anschläge vom 11. September 2001.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 17.01.2014
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, vormals Staatssekretär im Auswärtigen Amt und deutscher Botschafter in den USA. Guten Morgen.
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Ischinger, Kernsanierung oder ein bisschen Tünche? Wofür wird sich der Präsident entscheiden?
    Ischinger: Reparaturbeginn, sicher keine Kernsanierung in dem Sinne, dass wir hier ein völlig neues schönes Gebäude erkennen werden. Aber ich habe auch nicht den Eindruck, dass es nur um bloße Tünche gehen wird. Mein Eindruck ist, der Präsident wird irgendwo in der Mitte ankommen. Das wird für uns vermutlich nicht befriedigend sein. Es wird aber – und darauf muss man auch immer wieder hinweisen: Wir sind ja nicht, das mag man bedauern, aber wir sind ja nicht Teil der amerikanischen Innenpolitik. Das wird auch unbefriedigend sein, wenn es so sein wird, für Teile der amerikanischen Innenpolitik. Die amerikanische Civil Liberties Union, also eine Organisation, die die Freiheitsrechte der Bürger seit Jahrhunderten verteidigt, wird ihn genauso kritisieren wie so mancher Kritiker auf der eher linken Seite des amerikanischen Senats und des Repräsentantenhauses. In Amerika gibt es ja auch eine Innenpolitik und die ist auch nicht wie ein Mann der Auffassung, dass das, was hier geschehen ist, was uns alle nur immer mehr bestürzt machen kann, dass das alles in Ordnung ist.
    Heinemann: Sie meinen, dass er das sich innenpolitisch nicht leisten könnte, die Befugnisse des Geheimdienstes einzuschränken?
    Ischinger: Ich glaube, dass die amerikanische Innenpolitik heute noch – das ist zwar erstaunlich, dass es so ist, aber vielleicht durchaus erklärbar -, dass die amerikanische Innenpolitik heute nach wie vor dominiert wird von dem Gedanken, wir müssen uns mehr schützen als früher, sonst wäre 9.11 nicht passiert. Das Land ist traumatisiert, auch heute noch, durch diese Vorgänge und deswegen wird der Präsident sicher nicht, wenn ich es so sagen will, das Kind mit dem Bade ausschütten und sozusagen die NSA abschaffen.
    "Ich rate also: cool bleiben"
    Das ist eine Illusion zu glauben, dass die Nutzung moderner Kommunikationsmittel im Bereich der Spionage und der Aufklärung einfach hier aufhört. Das wird er sich politisch nicht leisten können. Aber nach dem, was ich höre und was auch Ihr Korrespondent gerade berichtet hat, wird der Präsident durchaus auch etwas sagen zu der Frage der Auswirkungen der amerikanischen Aufklärungsprogramme auf den Ausländer, auf das Ausland. Es geht ja nicht nur um die Beeinträchtigung der Rechte der amerikanischen Bürger und Bürgerinnen, sondern auch des Auslands. Ich gehe also davon aus, dass wir da etwas zu hören bekommen. Vielleicht reicht es nicht aus, aber dann wird darüber zu reden sein.
    Darf ich noch einen Satz sagen, Herr Heinemann. Ich habe ja Kommentare verschiedener deutscher Politiker in den letzten Tagen oder Stunden vernommen, wie wir alle. Ich denke, warten wir doch jetzt erst mal ab, was genau er sagt, und warten wir doch bitte auch ab, was die Herren Außenminister Kerry und Verteidigungsminister Hagel uns vorzutragen haben, wenn sie in zwei Wochen bei der Münchner Sicherheitskonferenz hier in Deutschland Rede und Antwort stehen. Jetzt mit Schaum vor dem Mund sozusagen auf die USA einzudreschen und Rachepläne zu schmieden und Sanktionen verhängen zu wollen, das ist in der Diplomatie selten ein gutes Rezept. Ich rate also: Cool bleiben, die Sache nicht verniedlichen. Dies ist ein außerordentlich ernster Vorgang mit schweren Schäden für das transatlantische Vertrauensverhältnis. Aber jetzt nur draufhauen hilft auch nicht.
    Heinemann: Herr Ischinger, eine Vorlage gibt es ja schon einer Entscheidung. Das heißt, die US-Regierung ist ja offenbar nicht zu einem Abkommen bereit, das die gegenseitige Spionagetätigkeit regelt.
    Ischinger: Na ja, schauen Sie mal, Herr Heinemann. Wir müssen doch auch da realistisch bleiben. Ein Abkommen im völkerrechtlichen Sinne müsste der Präsident, soweit ich mit dem amerikanischen Verfassungsrecht vertraut bin, vermutlich dem Senat zur Ratifizierung vorlegen. Das Schicksal eines solchen Abkommens können Sie nach dem, was wir gerade besprochen haben, vielleicht prognostizieren. Das wird wahrscheinlich nichts werden. Ich glaube also nicht, dass es ein Abkommen…
    Heinemann: Entschuldigung! Aber das spricht doch dann gegen die Ernsthaftigkeit der Washingtoner Seite.
    Ischinger: Nein! Das spricht dafür, dass man nach Formen einer Übereinkunft sucht, die erstens einmal nicht ratifizierungsbedürftig sind, die aber hoffentlich trotzdem belastbar und nützlich sind. Ich denke, wenn es schwierig ist, ein förmliches Abkommen abzuschließen, dann wird man nach anderen Formen suchen, eine Absprache, eine Übereinkunft zu treffen, Regeln zu entwerfen.
    Anti-Spionage-Abkommen mit den USA schwierig
    Und lassen Sie mich noch einen Punkt hinzufügen: Wir dürfen einen Kardinalfehler hier nicht machen, und manche sind der Versuchung schon etwas erlegen, diesen Fehler zu machen. Dies ist nun wirklich kein deutsch-amerikanisches Spezialproblem. Dies ist ein globales Problem. Und um es mal auf die Spitze zu bringen, Herr Heinemann: Mal unterstellt, wir hätten morgen früh das gültige und verifizierbare Abkommen mit den USA, ist denn damit Spionage gegen Deutsche, Ausspähung von SMS und so weiter und so weiter abgeschafft? Wir wissen doch gar nicht, wie viele Aktivitäten zahlreicher anderer ausländischer Mächte, vielleicht technisch etwas weniger ausgestattet, auch auf unserem Boden stattfinden.
    Heinemann: Aber durch die NSA-Geschichte sind wir ja doch sensibilisiert worden. – Zurück noch mal zu den Regeln. Sie sagten gerade, man müsse Regeln vereinbaren. Kann man denn verbindliche Regeln, kann man auch die Einhaltung dieser Regeln dann überprüfen?
    Ischinger: Ich denke, wir müssen zuhause anfangen, Herr Heinemann. Wir haben noch nicht einmal solche Regeln im Verkehr der EU-Mitgliedsstaaten, die durch Verträge stärkster Art miteinander verbunden sind. Es ist nicht verboten – ich will niemandem zu nahe treten -, dass Spanien gegen Frankreich und Portugal gegen Estland spioniert, egal mit welchen Mitteln. Mit anderen Worten: Wir brauchen zunächst einmal auch Regeln hier zuhause. Was ist denn mit der EU-Datenschutzgrundverordnung?
    Nicht einmal EU-Länder haben einheitliche Datenschutzregeln
    Selbst in diesem Bereich sind wir noch nicht imstande, mit einer Stimme zu sprechen und den USA entgegenzutreten und zu sagen, diese Regeln, die wir hier für Europa erarbeitet haben, die wollen und müssen wir auch euch gegenüber zur Anwendung bringen. Das wäre dann vielleicht schon ganz eindrucksvoll, wenn die EU hier eine klare Haltung hätte. Ich kann das bisher nicht erkennen.
    Heinemann: Herr Ischinger, Sie sprachen eben vom Schaum vor dem Mund. Wir wollen uns eine Reaktion anhören, die von Philipp Mißfelder, demnächst Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, und er fordert mit Blick auf das Freihandelsabkommen handfeste Konsequenzen.
    O-Ton Philipp Mißfelder: "Ich bin auch der Meinung, dass wir bei den Verhandlungen um das Handelsabkommen im Sinne Deutschlands auftreten müssen. Was die Setzung gemeinsamer Standards beispielsweise angeht, bin ich der Meinung, dass wir den Amerikanern nicht zu sehr entgegenkommen dürfen, sondern tatsächlich auch deutsche und europäische Interessen vertreten, und das ist ja auch unsere Aufgabe als Politik."
    Heinemann: Könnte da Druck die US-amerikanische Einsichtsfähigkeit erhöhen?
    Ischinger: Ich teile die Auffassung von Philipp Mißfelder insoweit schon, dass wir uns bei all dem, was wir jetzt überlegen an Gegenmaßnahmen, an Druck, natürlich nicht salopp ausgedrückt ins eigene Knie schießen dürfen. Wir dürfen nur solche Maßnahmen ins Auge fassen, die uns nicht mehr Schaden zufügen würden als den USA. Wenn es Sinn macht – ich bin nicht sicher, ob ich das persönlich beurteilen kann -, wenn es Sinn macht, was ja manche auch im Europäischen Parlament fordern, das sogenannte SWIFT-Abkommen auszusetzen, dann soll man daran denken. Es gibt auch andere Möglichkeiten. An TTIP, also an das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen heranzugehen und hier einen Link, eine Verknüpfung herzustellen, davon möchte ich dringend und dringlich abraten. Das wäre wirklich die Beschädigung eigener Interessen, das kann kein gutes Rezept sein.
    Heinemann: Der Spitzendiplomat und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Herr Ischinger, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Ischinger: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.