Donnerstag, 25. April 2024

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US-Band King Buffalo
Psychedelische Langstreckenläufer

Das Trio King Buffalo bedient sich gerne der langen Song-Form, ohne dass die Musik dabei langwierig oder langweilig klingt. Ihre prägnanten Stoner Rock-Riffs mit psychedelischen Hallräumen zeigen: Rock ist längst nicht tot, er geht nur hin und wieder zum Friseur.

Von Fabian Elsäßer | 18.04.2021
    Zwei Männer stehen an einer Mauer, einer steht rechts vor ihnen auf dem Boden. Das Bild ist dreifach übereinander gelegt und farblich verändert.
    Spielen nach eigener Aussage "Heavy psychedelic": King Buffalo aus dem US-Bundestaat New York. (Stickman Records)
    Musik: "Sleeps on a vine"
    Sean McVay: "Making Noise was always something that I was drawn to. Good noise or bad noise."
    Wenn man es liebt, Krach zu machen, ist das wohl eine gute Voraussetzung, um Rockmusiker zu werden. Wobei man hier gar nicht von Krach sprechen möchte. Aber düster und melancholisch, so klingt die Musik dieser Band sehr oft. Und 2021 wird sich ihr Sound noch etwas mehr verdüstern. Es gibt ja auch Gründe dafür.
    Sean McVay: "It was a pretty dark year."
    Für seinen Stil bietet das Trio gleich selbst eine Einordnung an: "Heavy Psychedelic", so steht es auf der Homepage. Dabei sind die Vorbilder und Einflüsse gar nicht so eindeutig:
    Sean McVay: "Rage Against the Machine, Radiohead, Pink Floyd, Sabbath, Hendrix."
    Bei Musik geht es um Gefühl. Das ist ja das allerallerwichtigste. Und das Gefühl, das die Band King Buffalo antreibt, beschreibt Gitarrist, Sänger und Haupt-Songschreiber Sean McVay, Ende 30 und seit mehr als zehn Jahren im professionellen Musikgeschäft, wie folgt:
    "Wenn man mit seinen Freunden in einem Raum ist und sozusagen auf der Rasierklinge reitet und in diesem Moment etwas erschafft. Dieses Gefühl ist mir das wichtigste am Musikmachen."

    Katzengeschnurr in Drop-C

    Was kümmert es da, wie die Musik entsteht und wer sie entstehen lässt? Indes: wenn Musiker wissen, was sie da tun, dann dient das der Musik mitunter ungemein. Sean McVay beispielsweise weiß das ziemlich genau, denn er hat eine musikalische Ausbildung genossen, die sich direkt auf das Klangbild seiner Band auswirkt.
    Sean McVay: "Der Großteil unseres Materials steht in Drop C. Alles andere steht in D-Standard, also einen kompletten Ton runtergestimmt. Mit Ausnahme von Dead Star. Dieses ganze Album ist in "Alternate Tuning" geschrieben. Das ist so wie D-Standard, aber die vierte Saite, die sonst G ist und runtergestimmt würde auf F, bleibt in G."
    Das ergibt dann Frequenzbereiche, die an das Schnurren einer großen Katze erinnern, also durchaus beruhigend wirken können.
    Musik: "Etae Carina"
    Der Song "Etae Carina" stammt vom 2020 erschienen Mini-Album "Dead Star" der US-amerikanischen Band King Buffalo. Dass der Rhythmus zwischen einem Fünf-Achtel und einem Vier-Viertel-Takt wechselt, zeigt schon, dass diese Band, die seit 2013 Tonträger veröffentlicht, musikalisch nicht in der Regional-Liga spielt. Die abgedämpft gespielten Riffs der Gitarre erinnern an Black Sabbath, über der vertrackten Rhythmik weht weithin sichtbar die Flagge des Progressive Rock. Die Band selbst nennt ihren Stil Heavy-Psych. Die Musik klingt mächtig, hart und schön-schwebend zugleich. Ein ganz wichtiges Stil-Element im Sound von King Buffalo ist neben Stimmung, Rhythmik und Tonart – die Akustik.

    Umhüllt vom räumlichen Klang der Songs

    Die Musik wirkt räumlich, erzeugt Weite, durch den endlosen Nachklang der Töne. Und zwar aller Töne vom Gesang bis zu den Standtoms des Schlagzeugs. Die meisten King Buffalo-Alben – inzwischen sind es, wenn man die EPs mitzählt, ein halbes Dutzend, hat Sean McVay nicht nur selbst produziert, sondern auch selbst abgemischt. Das zeigt, wie viel Wert er auf die akustische Anmutung legt.
    Sean McVay: "Ein räumlicher Klang ist bei den Aufnahmen immer ganz wichtig für uns. Wir haben keine Angst davor, viel Hall und Echo zu benutzen. Wir mögen die Vorstellung, dass die Musik einen regelrecht in den Raum versetzt, dass es sich anfühlt, als wäre die Musik überall um einen herum."
    Musik: "Echo of a waning star"
    "Echo of a waning star" kommt dem Ideal von Komponist Sean McVay schon sehr nah: Musik, die einen regelrecht umhüllt. Mit einer Spieldauer von knapp drei Minuten ist "Echo" ein sehr kurzer King Buffalo-Song. Um seine post-psychedelischen Klangwolken in Dienstgipfelhöhe aufsteigen zu lassen, nimmt sich das Trio aus dem US-Bundesstaat New York sonst meistens fünf Minuten Zeit, häufig aber auch das Doppelte und in Ausnahmefällen gar eine Viertelstunde.

    Wie eine Last, die vom Rücken fällt

    Dabei verlieren die Songs aber nie an Struktur, verschwinden nicht in den Einöden der Pseudo-Improvisation von Psychedelic-und Jam-Pionieren wie Pink Floyd in ihrer Frühzeit oder den Gratefuld Dead. "Echo of a waning star" stammt vom 2020 erschienenen Mini-Album "Dead Star". Es fügt sich nahtlos in die King-Buffalo- Diskografie ein – mit dieser Balance aus Druck und Wärme.
    Sean McVay: "Ein Song wie "Echo of a waning star" hat eher ein entspanntes, melancholisches, nachdenkliches Gefühl, während Red Star mehr Angespanntheit und Ängstlichkeit ausdrückt. Die erste Hälfte ist nicht besonders schnell, aber wir versuchen eine Spannung aufzubauen. Andere Songs sind fast schon kathartisch, weil sie gegen Ende hin immer massiver klingen, so als würde eine große Last von einem abfallen."
    "Pocket full of knife" ist einer der ersten King Buffalo-Songs überhaupt. Zu finden ist er auf dem schlicht "Demo" betitelten Debüt-Mini-Album, das in nur zwei Tagen im bandeigenen Proberaum aufgenommen und im November 2013 veröffentlicht wurde. Was da schon alles an Referenzen drinsteckt, ist verblüffend: von 60er Psychedelic bis frühen Metal der 70er bis hin zum Stoner Rock der 2000er. Das ist zweifelsohne: Informierte Musik.

    Lieber keine Musik hören beim Komponieren

    Entweder haben diese Typen alles gehört, dessen ihre Ohren habhaft werden konnten, oder aber: wenig bis gar nichts, um ihre eigenen Ideen nicht zu verwässern.
    Sean McVay: "Es ist wahrscheinlich beides. Wenn ich eine Schreib-Phase habe, höre ich nicht viel Musik. Dann passiert es mir nämlich schnell, dass ich eine Melodie spiele und merke: verdammt, die habe ich gerade aus Versehen woanders geklaut. Und ich bin ja der Hauptschreiber. Aber wie alle Musiker sind wir ein Produkt dessen, was wir verinnerlicht haben. Ein paar Gemeinsamkeiten von uns sind Rage Against the Machine, Radiohead, Pink Floyd, Sabbath, Hendrix, all die Gitarrengötter der 70er. Ich mag auch Rush, aber Scott und Dan überhaupt nicht."
    Damit das auch geklärt ist: McVay spielt, auch wenn es von weitem so aussieht, keine Halbresonanz-Gitarre der ES-Serie von Gibson. Seine "Dienst-Gitarre" hat zwar Humbucker, stammt aber vom schwedischen Hersteller Hagström. Und anders als eine ES hat sie kaum Hohlraum, nur ein kleines Violin-Schlüssel-Loch über den Ton-Abnehmern. Früher spielte er auch Stratocaster, doch auch denen verpasste er irgendwann Humbucker – klingt einfach satter.
    Musik: "Longing to be the mountain"

    Drei Recken rocken in Rochester

    King Buffalo besteht neben Gitarrist und Sänger Sean McVay aus Bassist Dan Reynolds und Schlagzeuger Scott Donaldson, der sich auch ums Geschäftliche kümmert. Die drei Musiker trafen sich Anfang der 2010er-Jahre in ihrer Heimatstadt Rochester im US-Bundesstaat New York, einer Stadt mit rund 200.000 Einwohnern am Ontariosee. Dort spielten sie in unterschiedlichen Bands mit lokaler Bekanntheit, manchmal auch zusammen. Einer von ihnen war in einer Band, die sich gerade auflöste, aber eine Tour gebucht hatte. Also sprangen die anderen beiden ein, lernten das Material und dachten dann irgendwann: wollen wir nicht lieber was eigenes draus machen? Anfangs war King Buffalo ein Quartett, doch der zweite Gitarrist zog irgendwann aus Rochester weg. Seitdem steht die Trio-Besetzung. Manchmal liebäugele er damit, noch einen vierten Mann dazu zu holen, sagt Sean McVay, aber er wolle die gute Arbeitsbeziehung zwischen den drei Musikern nicht gefährden.
    Sean McVay: "Es ist nett, ein paar Regeln zu haben, was Arrangements betrifft. Es ist ja leicht, einen Song immer noch komplizierter zu machen. Aber wir sagen uns dann: wir müssen in der Lage, das zu dritt zu spielen. Anstatt also noch einen Gitarren- oder Keyboard-Part hinzuzufügen, sollten wir uns lieber darauf konzentrieren, die Teile, die wir haben, aufregender zu machen. Wir versuchen immer, nicht wie ein Trio zu klingen, sondern so groß wie möglich."
    "Orion" ist der Titelsong des ersten vollwertigen Studio-Albums von King Buffalo, veröffentlicht im Sommer 2016.
    Musik: "Orion"

    Himmel, Sonne, Sterne, Steine

    Sean McVay: "Wir haben alle unterschiedliche Einflüsse. Ich bin etwas klassischer ausgebildet, ich bin auf eine Musikschule gegangen, die anderen nicht. Scott, der Schlagzeuger, spielt eher geradeaus, Dan ist manchmal fast schon außer Kontrolle. Der spielt, was er gerade fühlt, sehr kreativ. Fast schon, als würde er Lead Bass spielen. Er hat eine sehr eigene Herangehensweise ans Bass-Spielen und bringt dann Sachen an, wie es nur jemand kann, der nicht zwingend Bass von der Pike auf gelernt hat."
    Auffällig und eigenständig sind auch die Texte von Frontmann Sean McVay. Bestimmte Wörter kehren immer wieder, oft schon in den Songtiteln von King Buffalo: Himmel, Sterne, Sonne, Steine.
    Sean McVay: "Ich glaube wir alle versuchen, eine Art von Gelassenheit, Verständnis und Frieden zu finden. Und für viele Menschen, auch für mich, ist die Natur ein gutes Umfeld dafür. In der Natur alleine zu sein, kann die Dinge beruhigen, einem vielleicht ein bisschen mehr Verständnis dafür bringen, was im Leben gerade passiert. Für mich war es immer wichtig, draußen Zeit zu verbringen. Und daher war es einfach, dass in meine Musik einzubringen. Vor Jahren hat ein guter Freund von mir mal einen Witz gemacht: es ist kein King Buffalo-Song, wenn im Titel nicht das Wort Himmel vorkommt. Ich versuche seitdem, es zu vermeiden, deshalb benutze ich jetzt vielleicht öfter das Wort "Stein"."
    Musik: "Red Star Part II"

    Ein Opfer für den Obelisken

    Auf dem Mini-Album "Dead Star" aus dem Jahr 2020 werden die Texte noch verklausulierter. Sean McVay benutzt mystische Metaphern, die einem Fantasy-Roman entsprungen sein könnten, etwa von George R.R. Martin, dem Schöpfer der Saga "Das Lied von Eis und Feuer", das unter dem Titel "Game of Thrones" als Fernsehserie verfilmt wurde. Im Song "Red Star" – wie war das doch gleich mit den Sternen? – heißt es etwa: "Reaping the blood of the innocent, the Obelisk demands its sacrifice…." – "Indem er das Blut der Unschuldigen erntet, verlangt der Obelisk sein Opfer." So, so.
    Sean McVay: "Dieser Song sollte sich eigentlich auf die Machtverhältnisse in den USA beziehen und auf das, was politisch und gesellschaftlich gerade passierte. Ich wusste aber nicht recht, wie ich das formulieren sollte, daher habe ich Allegorien benutzt. Vielleicht war das ein kleiner Einfluss, obwohl ich nie eines der Bücher gelesen habe, aber ich habe natürlich die Serie "Game of thrones" gesehen. Fand ich großartig. Ich denke, dass die Idee von Unterdrückung und Ausbeutung in der Literatur und in der Welt häufig zu finden ist, und darauf wollte ich mich beziehen. Die Dinge waren hier eine Zeitlang ziemlich durcheinander. Ich war nicht unbedingt superstolz darauf, hier zu leben."
    Im Juni 2021 erscheint ein neues Album von King Buffalo. Es heißt "The Burden of Restlessness" heißt und ist stark von der Covid-19-Pandemie geprägt, was ja auf viele Musik-Veröffentlichungen der Jahre 2020 und 2021 zutrifft. McVay schreibt und singt darauf über die Unruhe und die Beklommenheit, die Erstarrung und den Frust.

    Beängstigend ehrlich und metaphernfrei

    Und er tut das ganz anders als auf früheren King Buffalo-Platten, befreit von Natur- und Fantasie-Metaphern.
    Sean McVay: "Seelische Gesundheit ist etwas, womit ich eine Zeitlang zu kämpfen hatte, um ehrlich zu sein. Ich weiß, dass es vielen Menschen so geht. Und vieles daran wurde durch die Pandemie nur noch schlimmer. Und als ich überlegt habe, worüber ich für die neuen Alben schreiben könnte, fiel mir immer wieder nur ein, wie es mir gerade geht. Es war ziemlich beängstigend, dieses Album zu schreiben, denn es ist unser wohl ehrlichstes und wortwörtlichstes bisher. Da ist kaum etwas verklausuliert, alles wird direkt gesagt."
    Die Vorab-Single des Albums hat McVay "Hebetation" betitelt. Das bedeutet: "Abstumpfung". Nicht nur die Wortwahl scheint anders zu sein auf diesem neuen Album von King Buffalo. Auch der Sound hat sich verändert: er klingt roher, schroffer, weniger einschmeichelnd.
    Sean McVay: "Wir versuchen, auf jedem Album einen etwas anderen Ansatz zu finden. Und bei Burden of Restlessness ging alles mehr nach vorne, es ist alles direkter. Es klingt sicherlich noch wie ein King Buffalo-Album, aber ich habe mich bewusst bemüht, weniger Hall einzusetzen oder ihn nur sparsam als Effekt zu nutzen. Bisher war das ja immer das Markenzeichen. Diesmal wollte ich das alles ein bisschen entschlacken, damit es direkter klingt, vielleicht auch intimer."

    Gleich drei Alben in einem Jahr

    Trotz oder gerade wegen der weltweiten Vollbremsung für den Tourbetrieb haben King Buffalo große Pläne für das Jahr 2021. Insgesamt sollen gleich drei Alben erscheinen, von denen "The Burden of restlessness" das erste ist. Auch das ist eine direkte Folge der Pandemie. Denn als die im März 2020 für den Zusammenbruch des öffentlichen Lebens sorgte, hatten King Buffalo gerade "Dead Star" veröffentlicht und wollten damit auf Tour gehen. Stattdessen hatte die Band auf einmal sehr viel Zeit. Also zogen sich die drei Musiker in ihren turnhallengroßen Proberaum zurück, der zugleich als Aufnahmestudio dient, bauten Plastik-Trennwände auf und begannen, zu spielen und zu spielen und zu spielen. Und sie nahmen einfach ALLES auf.
    Sean McVay: "Irgendwann saßen wir dann auf 50, 60 Stunden Musik. Wir sagten natürlich, Oh Gott, das ist viel zu viel! Als ich das alles durchhörte, dachte ich mir irgendwann: diese paar Songs hier würden ein gutes Album ergeben, diese hier auch. Und in meiner übereifrigen Art habe ich dann gesagt: Leute, wir müssen vier Platten machen. Und die anderen dann so: naja, versuchen wir mal lieber drei. Das ist auch schon genug Arbeit. Und diese drei Alben werden alle ein bisschen anders klingen."
    Musik: "Sun Shivers"